Sendling - Nirgends ist Sendling mehr Schwabing als im Café Dankl. Schon morgens um halb zehn sind in dem hohen, hellen Raum alle Plätze belegt. Man hat offenbar weder ein Problem mit fehlender Zeit, noch mit fehlendem Geld, schaut in Ruhe vom teuren Kaffee auf zu den sanierten Altbauten draußen vor den großen Fenstern. Doch noch ist der Laden, in dem die AZ Bezirksausschuss-Chef Markus Lutz von der SPD trifft, im Viertel die Ausnahme. Ein Gespräch über den rasanten Wandel, die Eigenarten der Sendlinger – und die Frage, ob hier kürzlich ein Ufo aus Giesing gelandet ist.

AZ: Neuer Gasteig, Alte Utting, der Zuzug vieler junger Leute, die Debatte um die Großmarkthalle: Herr Lutz, ist Ihr Viertel das spannendste der Stadt?
MARKUS LUTZ: Definitiv. Dazu haben auch überraschende Entwicklungen beigetragen wie eben die Utting, so etwas kann ja Politik nicht erfinden und planen. Beim Gasteig HP8 waren wir früh eingebunden. Klar: Das sind nur zwei exemplarische Sachen, insgesamt sehen wir da vieles positiv fürs Viertel.

Ihre Obergiesinger Kollegin hat mir im Sommer gesagt, sie sei gottfroh nicht solche Leuchtturmprojekte zu haben wie in Sendling. Dahinter steht die Angst vor steigenden Mieten, Unruhe, teuren Neubauprojekten. Teilen Sie das gar nicht?
Ich verstehe die Bedenken, die haben in Giesing ja auch das Sechzgerstadion, das ausstrahlt, hatten schon das Agfa-Gelände. Bei uns ist es aber schon ein bisschen anders.

Inwiefern?
Der Gasteig HP8 liegt eher am Rand des Viertels – und wir haben es geschafft, dass da Autowerkstätten, Lagerflächen bleiben konnten. Und bei der Großmarkthalle haben wir ja auch Einfluss, mit bezahlbaren Wohnungen könnten wir sogar positiv Einfluss auf den Mietspiegel in der Nachbarschaft nehmen.

Beim HP8 gibt s ja nicht nur die eher abstrakte Debatte, ob die Nachbarschaft so attraktiver wird, die Mieten noch mehr anziehen. Nehmen geldige Besucher der arbeitenden Sendlinger Bevölkerung die Parkplätze weg?
Das ist die größte Sorge im Viertel, ganz klar. Das Problem scheint zu sein, dass vielen Gasteig-Besuchern die Strafzettel zu billig sind.

Was könnte man tun?
Wir könnten das Parkraummanagement verschärfen, dass in der ganzen Umgebung nur noch Anwohner parken dürfen. Das würde ein bisschen Druck rausnehmen. Aber ganz kommen wir aus dem Problem nicht raus: Wer 200 Euro für zwei Konzertkarten zahlt, dem sind 20 Euro Strafzettel halt oft einfach wurscht. Eigentlich haben wir ja auch ein Parkhaus, aber das wird gar nicht so sehr genutzt, die allermeisten kommen offenbar schon öffentlich. Wenn die neue Großmarkthalle kommt, könnte sich aber südlich noch ein Streifen ergeben, wo wir noch einen Parkplatz für den Gasteig ansiedeln könnten.

Sie gehen von einer langfristigen kulturellen Nutzung an dem Standort aus?
Ja.

Aber an Bedeutung verlieren wird der Standort, wenn der neue, alte Gasteig in Haidhausen fertig ist?
Ich sehe es eher als Chance. Da wurde so viel Geld investiert, ich kann mir nicht vorstellen, dass man die denkmalgeschützte Halle E und die Philharmonie zurückbaut. Ein kleineres stadtweites Kulturzentrum kann man in der wachsenden Stadt mit Sicherheit auch zusätzlich weiter gebrauchen.

Der Giesinger Stehausschank mitten in Untersendling hat von Tag 1 an super funktioniert. Offenbar gibt es sehr viele junge Leute hier, die Lust darauf haben. Andererseits hat mir ein gebürtiger Sendlinger gesagt, der Laden sei wie ein Ufo in der Nachbarschaft gelandet.
Fremdkörper, na ja, wir haben in Sendling noch alteingesessene Boazn wie in Giesing auch. Insofern passt ein Stehausschank hier schon mal rein. Und "Bei Dagmar" oder die "Machete II" werden auch immer beliebter bei jungen Leuten. Aber klar, der neue Giesinger ist natürlich kein Stehausschank wie unsere alten Boazn, so ist dann wohl das Ufo gemeint.

Ist das Stüberl-Sterben ein großes Sendlinger Problem – oder eigentlich nicht?
Es ist schon schade. Wenn alle verschwänden wäre das auf jeden Fall nicht gut, wir wollen hier keine Schlafstadt, Sendling macht das schon immer das Kleingewerbe aus – und so soll es auch bleiben.

Was ist aktuell Ihr liebster Ort in Sendling?
Ich bin gerade tatsächlich gerne im Giesinger drinnen. Aber auch am Bahndeckel, am Herzog-Ernst-Platz und mit meinen Kindern auf Spielplätzen. Und ich mag den Harras, verkehrsumtost, er ist wie er ist, aber eben auch unser Zentrum.

Den Neubau der Großmarkthalle haben Sie einst als große Chance für Sendling bezeichnet. Das sehen Sie inzwischen nicht mehr so eindeutig, oder?
Wenn man die Planung jetzt mit 2020 vergleicht, hat sich schon viel geändert. Wir wollten immer, dass die Stadt das bebaut, kein Investor. Natürlich war es ein Fehler, das nur Büschl zu geben. Jetzt gibt es die letzte Chance, wenn alle Händler unterkommen sollen, brauchen wir eine große Fläche. Noch haben wir die Chance, alle Nutzungen in einer Halle unterzubringen.

Sie würden wahrscheinlich sagen, dass der Großmarkt zur Sendlinger Identität gehört.
Richtig. Im Bezirksausschuss sehen wir das einstimmig so, auch bei Bürgerversammlungen gab es große Mehrheiten.

Das ist schon interessant. Wie in Giesing mit dem Stadion gibt es selbst in dieser Stadt offenbar manchmal eine Stimmung vor Ort, die sich gar nicht grundsätzlich gegen alles wehrt, was vor Ort Verkehr und Lärm bringt.
Die Beschwerden, die es gibt, haben in der Regel gar nichts mit der Großmarkthalle selbst zu tun, sondern mit Händlern, die sich außenrum auf den alten Bahnflächen angesiedelt haben, aber da hat die Stadt gar keinen Zugriff. Das ist Privateigentum.

Worum geht es bei den Beschwerden konkret?
Zum Beispiel um Laster, die unnötigerweise durchs Viertel fahren.

Wenn der Großmarkt hier bleibt, was ist für Sie entscheidend: Dass sich die Flächen öffnen fürs Viertel und dort zusätzlich bezahlbarer Wohnraum entsteht?
Wir wollen zunächst ein mal die Händler weiter hier haben. Ich gehe davon aus, dass die Großlaster eh auf Wasserstoff umgestellt werden. Das Thema Abgase wird sich in der Zukunft auf jeden Fall reduzieren. Für die Händler in der Stadt und die Gastronomen sind die kurzen Wege natürlich auch ein Vorteil, so fahren sie viel kürzere Wege mit den Sprintern. Inzwischen suchen ja auch Amazon und Co nach zentralen Standorten.

So gesehen ist ein Großmarkt mitten in der Stadt sogar besonders zeitgemäß!
Genau.

Wie sehr ärgern Sie sich übers Sendlinger Loch, die riesige Baugrube mitten in Untersendling?
Sehr, natürlich. Eine Wunde mitten im Viertel.

Müsste da nicht der Druck auf die Stadt zunehmen? Der normale Nachbar denkt doch: Das ist niemandem mehr zu erklären, dass hier gar nix passiert!
Der Bundestag müsste das Baugesetz verstärken. Wenn ein Grundstück über Jahre nicht bebaut wird, müsste es halt zwangsversteigert werden oder automatisch zurück an die Stadt fällen.

Der BA hat gefordert, dass die Stadt selbst Grundstück kauft, um bezahlbare Wohnungen zu bauen. Ist das realistisch?
Die Stadt kann ja nur kaufen, wenn der Investor verkauft. Uns hat er aber gesagt, er hat keine Verkaufsabsicht. Man muss sich vorstellen: Wenn da der Quadratmeter 17.000 Euro kosten soll, muss man die 100 Quadratmeter für über 3.000 Euro vermieten. In Sendling!

Sprechen wir über die Verkehrswende, konkret, hier im Viertel. Die autofreie Sommerstraße an der Schmied-Kochel-Straße war arg trostlos. Das spart man sich besser nächstes Jahr, oder?
Ich finde okay, wenn es mal nicht funktioniert. Wir probieren aus. Anderswo machen wir es nächstes Jahr wieder.

Wann funktionieren autofreie Straßen, wann nicht?
Wenn die Leute vor Ort mitmachen, sich raushocken, Nachbarschaften Konzerte organisieren, dann funktioniert es.

Was lernt die Politik aus den Sommerstraßen?
Eine Erkenntnis ist auf jeden Fall: Kaum sind die Parkplätze verschwunden, weichen viele in die Tiefgaragen aus, die werden dann plötzlich voller. Offenbar haben sehr viele den Ausweis für das Parklizenzgebiet, obwohl sie eigentlich einen privaten Stellplatz haben, zumindest in Straßen, in denen die Häuser Tiefgaragen haben.

Die CSU hat monatelang gegen den "total ideologischen" Umbau der Lindwurmstraße im Viertel plakatiert. Unterschätzen Grüne und Rote oft die Stimmung vor Ort, wollen die Leute ihre autogerechten Straßen vielleicht doch lieber behalten, wie sie sind?
Das würde mich wundern. Insbesondere für Fußgänger wird es gerade an der Lindwurmstraße einfach besser.

Die Leute verstehen, wenn Autos Raum genommen wird?
Wir als SPD versuchen einen Mittelweg. Wenn wir Parkplätze wegnehmen, brauchen wir auch ein Konzept. An der Lindwurmstraße zum Beispiel ist klar, dass es Lieferparkplätze braucht. Wir wandeln nicht einfach alles in Radlabstellplätze um.

Die CSU hat gar keinen wunden Punkt getroffen?
Natürlich gibt es auch Leute, die solche Planungen nicht gut finden, um die wirbt die CSU. Aber ich glaube gerade die Lindwurmstraße entwickelt sich gut, wenn wir mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger haben. Das gehört auch zur Lebensqualität.

Stichwort Einzelhandel. Mein Eindruck als Sendlinger Spaziergänger ist: Es gibt wenig Leerstand, aber vieles, was viele Alteingesessene wahrscheinlich nicht als hochwertig empfinden: SB-Bäcker, Callshops. Wie sehen die Impler- oder Plinganserstraße in zehn oder 20 Jahren aus?
Vieles ist verschwunden in den letzten Jahren, viele kleine Läden, die es vor wenigen Jahren noch gab. Am Herzog-Ernst-Platz gibt es jetzt immerhin einen neuen Aldi, das ist gut fürs Viertel. Für spezialisierte Geschäfte – hier vorne haben Sie ja noch ein Fachgeschäft für Thermometer und Messgeräte - fehlt natürlich oft die Kundschaft. Wenn es in der Innenstadt schon schwierig ist für den Einzelhandel, dann wird es in den Stadtvierteln ganz schwierig.

Wenn alte kleine Läden sterben, ist dann der beste Fall, dass Gastronomie einzieht – damit öffentliches Leben im Viertel bleibt?
Richtig. Viele Wirtschaften, die ich als Kind noch gekannt habe, sind weg. Wir brauchen aber Gastronomie.

Sie sind an keinem Punkt, an dem der BA Gastro kritisch gegenübersteht wie im Gärtnerplatzviertel, wo die Lokalpolitik am liebsten keine neue mehr hätte?
Nein, das ist hier nicht virulent. Sehr viele Wirtschaften in Sendling machen auch schon um zehn, elf zu. Wir haben kein Party-Problem.

Was kann München als Ganzes von Sending lernen?
Wir gehen in vielen Punkten einen guten Mittelweg, bei Radwegen und auch sonst.

Der Oberbürgermeister ist in Sendling aufgewachsen, lebt jetzt wieder hier. Was ist sendlingerisch an Dieter Reiter?
Sein Pragmatismus. Sendling ist kein großer Stadtbezirk, aber man kann es unterteilen, am Herzog-Ernst-Platz oben die alte Arbeitergegend, hier unten ist es schon viel hipper geworden. Aber da oben ist Dieter Reiter groß geworden. Und das merkt man. Wir haben in Sendling nie Nein gesagt zu sozialen Einrichtungen, wir haben relativ viele.

Jetzt entsteht eine große Unterkunft für wohnungslose Familien, große Proteste scheint es nicht zu geben. Noch?
Nein. Wir wehren uns nicht gegen solche Einrichtungen, schauen, dass die Leute gut betreut werden. So lange der Schlüssel stimmt und man genug Geld ausgibt für Betreuung – damit haben wir gute Erfahrungen gemacht. Es sollte sozialdemokratische Politik sein, dass alle Leute in der Stadt wohnen können – aber wir es schon auch so schaffen, dass es für die Nachbarn passt.

QOSHE - Parkplätze, Kneipensterben, Großmarkt in München: Was die größte Sorge ist - Felix Mã¼Ller
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Parkplätze, Kneipensterben, Großmarkt in München: Was die größte Sorge ist

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06.01.2024

Sendling - Nirgends ist Sendling mehr Schwabing als im Café Dankl. Schon morgens um halb zehn sind in dem hohen, hellen Raum alle Plätze belegt. Man hat offenbar weder ein Problem mit fehlender Zeit, noch mit fehlendem Geld, schaut in Ruhe vom teuren Kaffee auf zu den sanierten Altbauten draußen vor den großen Fenstern. Doch noch ist der Laden, in dem die AZ Bezirksausschuss-Chef Markus Lutz von der SPD trifft, im Viertel die Ausnahme. Ein Gespräch über den rasanten Wandel, die Eigenarten der Sendlinger – und die Frage, ob hier kürzlich ein Ufo aus Giesing gelandet ist.

AZ: Neuer Gasteig, Alte Utting, der Zuzug vieler junger Leute, die Debatte um die Großmarkthalle: Herr Lutz, ist Ihr Viertel das spannendste der Stadt?
MARKUS LUTZ: Definitiv. Dazu haben auch überraschende Entwicklungen beigetragen wie eben die Utting, so etwas kann ja Politik nicht erfinden und planen. Beim Gasteig HP8 waren wir früh eingebunden. Klar: Das sind nur zwei exemplarische Sachen, insgesamt sehen wir da vieles positiv fürs Viertel.

Ihre Obergiesinger Kollegin hat mir im Sommer gesagt, sie sei gottfroh nicht solche Leuchtturmprojekte zu haben wie in Sendling. Dahinter steht die Angst vor steigenden Mieten, Unruhe, teuren Neubauprojekten. Teilen Sie das gar nicht?
Ich verstehe die Bedenken, die haben in Giesing ja auch das Sechzgerstadion, das ausstrahlt, hatten schon das Agfa-Gelände. Bei uns ist es aber schon ein bisschen anders.

Inwiefern?
Der Gasteig HP8 liegt eher am Rand des Viertels – und wir haben es geschafft, dass da Autowerkstätten, Lagerflächen bleiben konnten. Und bei der Großmarkthalle haben wir ja auch Einfluss, mit bezahlbaren Wohnungen könnten wir sogar positiv Einfluss auf den Mietspiegel in der Nachbarschaft nehmen.

Beim HP8 gibt s ja nicht nur die eher abstrakte Debatte, ob die Nachbarschaft so attraktiver wird, die Mieten noch mehr anziehen. Nehmen geldige Besucher der arbeitenden Sendlinger Bevölkerung die Parkplätze weg?
Das ist die größte Sorge im Viertel, ganz klar. Das Problem scheint zu sein, dass vielen Gasteig-Besuchern die Strafzettel zu billig sind.

Was könnte man tun?
Wir könnten das Parkraummanagement verschärfen, dass in der ganzen Umgebung nur noch Anwohner parken dürfen. Das würde ein bisschen Druck rausnehmen. Aber ganz kommen wir aus dem Problem nicht raus: Wer 200 Euro für zwei Konzertkarten zahlt, dem sind 20 Euro Strafzettel halt oft einfach wurscht. Eigentlich haben wir ja auch ein Parkhaus, aber das wird gar nicht so sehr genutzt, die allermeisten kommen offenbar schon öffentlich. Wenn die neue Großmarkthalle kommt, könnte sich aber südlich noch ein Streifen ergeben, wo wir noch einen Parkplatz für den Gasteig ansiedeln könnten.

Sie gehen von einer langfristigen kulturellen Nutzung an dem Standort aus?
Ja.

Aber an Bedeutung verlieren wird der Standort, wenn der neue, alte........

© Abendzeitung München


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