Giesing - Im AZ-Interview hat diese Woche Sport-Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) dem TSV 1860 die Schuld gegeben, dass die Gespräche zum eigentlich schon beschlossenen Aus- und Umbau des Grünwalder Stadions ins Stocken geraten sind. Rathaus-CSU-Chef Manuel Pretzl warf Dietl anschließend vor, unfair auf die Löwen einzuschlagen. Nun meldet sich Martin Scherbel ausgiebig zu Wort. Der Vorsitzende der "Freunde des Sechzgerstadions" erklärt, warum viele Fans nur noch frustriert sind, er den Ausbau trotz allem für richtig hält – und was er nun von beiden Seiten erwartet.

AZ: Herr Scherbel, auf einer Skala von 1 "sehr enttäuscht" bis 10 "überhaupt nicht enttäuscht" – wie enttäuscht sind Sie, was den großen Umbau des Sechzgerstadions betrifft inzwischen vom TSV 1860 und der Stadt?
MARTIN SCHERBEL: Jeweils zwischen 1 und 2. Der Zustand ist ja eigentlich immer noch unverändert.

Warum passiert nichts?
Bei den Gesprächen kommt nichts raus. Beide Seiten schieben sich einfach immer nur die Schuld zu. 1860 sagt: Die Stadt liefert keine Mietkonditionen. Die Stadt sagt: Die müssten sich erstmal bekennen.

Verena Dietl hat diese Woche als allererste Verantwortliche der Stadt überhaupt im AZ-Interview ganz explizit davon gesprochen, dass auch eine Betreibergesellschaft für das Stadion gegründet werden könnte. Welche Vorteile hätte das?
Das hätte den großen Vorteil, dass es nur noch einen Verantwortlichen, einen Ansprechpartner für das Stadion gäbe, der sich um nichts anders als eben das Stadion kümmert. Aktuell schieben sich verschiedene Referate immer wieder die Verantwortung hin und her.

Das dürfte auch bundesweit der Standard sein, dass für moderne Stadien Betreibergesellschaften verantwortlich sind und nicht irgendein Amt, oder?
Sicherlich.

Bürgermeisterin Dietl hat erneut betont, dass die Löwen das Stadion in Erbpacht übernehmen könnten. Die Idee hat sie in der AZ vor Jahren schon einmal ins Spiel gebracht. Da Sechzig nie so richtig angebissen hat, wird es so nicht kommen, oder?
Ich verstehe das aus Sicht der Stadt München. Dann wären sie das Thema los. Aber es hätte auch für Sechzig große Vorteile, was die Vermarktung angeht, man könnte auch die Namensrechte verwerten. Man könnte das Stadion untervermieten. Die Einnahmesituation würde sich erheblich verbessern.

Aber?
Beim Thema Umbau gibt es den großen Nachteil, dass das Sechzig dann stemmen müsste. Mit den Baukosten und allen damit verbundenen Risiken. Die Begrenzung der Kapazität würde trotzdem bleiben. Unterm Strich halte ich es für unrealistisch.

Was ist Ihr Eindruck, warum sich Sechzigs Profifußballfirma KGaA so schwertut, sich klar zum Standort zu bekennen? Das Schwarze-Peter-Spiel wäre ja schnell vorbei und stattdessen würde politischer Druck auf die Stadt entstehen, wenn man klar sagen würde: Ja, wir bleiben hier – und ihr habt im Stadtrat ein Versprechen gegeben. Identität, Marketing, fehlende Alternativen – alles spräche doch dafür, voll auf diese Karte zu setzen.
Es ist schon nachvollziehbar, dass die KGaA sagt, sie braucht eigentlich für eine langfristige Bindung ein Spektrum, ein Stadion, das in der Regionalliga Bayern funktioniert – und auch noch in einer Europa-League-Qualifikation. Und das ist mit den 18.000 schwierig. Ich kann diese Argumentation schon irgendwie verstehen.

Aber?
Aber ein Umbau wird jedes Jahr teurer. Es vergeht Zeit. Irgendwann muss man sich positionieren. Unsere Vorstellung wäre, dass man sich zum einen festlegt vonseiten der KGaA, dass man dortbleiben will – es gibt ja eh keine ernstzunehmenden Alternative. Natürlich unter der Voraussetzung, dass die Miete auch nach einem Umbau finanzierbar ist. Und natürlich muss es eine Exit-Strategie geben, die für beide Seiten gesichtswahrend ist. Es könnte ja theoretisch auch passieren, dass man sagt, das wird zweitligatauglich ausgebaut, Sechzig bekennt sich für zehn Jahre, aber nach acht Jahren kommt der Fußballverband und sagt wir brauchen 20.000 Plätze.

Wenn man die Liste von Fanclubs und Vereinigungen sieht, die die Initiative "Sechzig im Sechzger" unterstützen, steht die Fanszene sehr geschlossen hinter der Forderung, dass die Löwen weiter in Giesing spielen, Proteste sind trotzdem kaum noch vernehmbar. Glauben die Leute in Wahrheit nicht mehr daran, dass das Stadion wirklich ausgebaut wird?
Das hat weniger mit Pessimismus zu tun. Ich merke bei mir auch, dass sich Frust breitgemacht hat. Weil nichts weitergeht, auch ein bisschen die Idee fehlt, wie man diese Situation eigentlich verbessern kann. Die Stadt weigert sich, eine Miete zu nennen, bei Sechzig will die Ismaik-Seite kein langfristiges Bekenntnis. Keiner macht den Eindruck, die Situation verbessern zu wollen.

Frau Dietl sagt, langsam werde ihr die Geduld ausgehen mit den L̦wen. Was ist denn aus Ihrer Sicht der Worst Case Рdass die Stadt wirklich sagt, wir haben das Interesse verloren an einem modernen Umbau?
Wir wissen alle, dass die Baukosten massiv steigen. Natürlich besteht das Risiko, dass die Stadt irgendwann sagt Freunde, das ist nicht mehr vermittelbar. Bislang steht die Politik ja glücklicherweise noch zu ihren Versprechen.

Die Umbaukosten sind ja nicht nur beim unbeteiligten Steuerzahler ein Argument, es gibt auch Löwen-Fans die sagen, so viel Geld für 3.000 Zuschauer mehr – und dass man an diesem Standort niemals profitabel Profisport wird treiben können.
Ertragreich ist Ansichtssache. Die KGaA verdient mit dem Stadion ganz gut.

Die Arena war ein Draufzahlgeschäft.
Und wie!

Aber spricht die Wirtschaftlichkeit nicht trotzdem eher für einen großen Neubau nach Löwen-Vorstellungen an einem anderen Standort?
Na ja. Es gibt kein anderes Grundstück. Und: Freiburg hat ein neues Stadion für 75 Millionen gebaut – plus Infrastruktur! Da wäre man heute auch schon bei 120 Millionen. Bei vier, fünf Millionen Miete pro Saison ist man da mindestens. Wirtschaftlich ist das Grünwalder Stadion schon aktuell das Beste, was der KGaA passieren kann. Und das Geld von 11.000 verkauften Dauerkarten ist auch zu Saisonbeginn da, man kann damit planen. Das wäre übrigens auch im Olympiastadion nicht der Fall. Da würde man niemals so viele Dauerkarten verkaufen. Dann hängen die Einnahmen sehr davon ab, welcher Gegner kommt, wie das Wetter ist und wie die sportliche Situation. Sechzig verdient mit diesem Standort Geld. Alles andere ist Blödsinn.

Der Umbau wäre trotzdem teuer. Zu teuer?
Es geht um viel Geld. Aber Albert Speer und Partner hat auch betont, dass es eine qualitative Steigerung ist, keineswegs nur eine quantitative für 3.000 Fans mehr. Es geht um eine Komplettüberdachung, mehr Lärmschutz für die Anwohner, Business Seats. Und: Man muss schon auch andere Bereiche der Stadt sehen – auch beim Fußball geht vieles, ohne mit der Wimper zu zucken. Für die Europameisterschaft 2020 hat die Stadt 15,6 Millionen budgetiert – für vier Spiele! Bei der Euro 2024 sind es 27,8 Millionen – für sechs Spiele! Und beim Grünwalder Stadion reden wir von einer Investition für Jahrzehnte.

Vor wenigen Jahren hieß es, es würden nie wieder mehr als 12.500 Zuschauer in dieses Stadion gehen, dann hat Dieter Reiter ein Spiel besucht und spontan beschlossen, weitere Blöcke zu öffnen – 15.000. Jetzt hat Verena Dietl in der AZ angekündigt, dass es bald 17.000 sein könnten – ohne Umbauten. Geht es so immer weiter?
Die 17.000 sind natürlich gut. Aber warum es überhaupt diese Begrenzungen gibt, wurde uns trotz gegenteiliger Zusagen nie erklärt. Baulich könnten ja noch deutlich mehr rein. Geht es um Fluchtwege, um Lärmschutz? Das wissen wir nicht.

Was ist Ihre Forderung für den großen Umbau an Stadt und Verein?
Unsere Forderung ist klar: Die Stadt soll endlich die Mietkosten rausrücken, schließlich mietet kein Mensch ein Haus, wenn der Vermieter die Miete nicht nennt. Und es geht ja um die marktübliche Miete, die kann man unabhängig von der Baukostenentwicklung nennen. Dann muss sich auch die KGaA positionieren. Die haben aktuell keinen Druck und sind sich intern uneinig, das ist das Grundproblem.

Woher könnte Druck kommen?
Wenn wir aufsteigen und nach einem Jahr in der Zweiten Liga bleiben müsste was geschehen, um die Auflagen zu erfüllen.

Aber?
(lacht) Aber das ist aktuell nicht absehbar.

Der 46-jährige Fachinformatiker Martin Scherbel ist seit 2017 Vorsitzender der "Freunde des Sechzgerstadions". Er arbeitet eng mit der Bürgerinitiative "Sechzig im Sechzger" zusammen, die mit Fanclubs und Giesingern für den dauerhaften Verbleib der Löwen im Grünwalder Stadion kämpft.

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Grünwalder-Ausbau: So frustriert sind die Fans vom TSV 1860 und der Stadt

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02.12.2023

Giesing - Im AZ-Interview hat diese Woche Sport-Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) dem TSV 1860 die Schuld gegeben, dass die Gespräche zum eigentlich schon beschlossenen Aus- und Umbau des Grünwalder Stadions ins Stocken geraten sind. Rathaus-CSU-Chef Manuel Pretzl warf Dietl anschließend vor, unfair auf die Löwen einzuschlagen. Nun meldet sich Martin Scherbel ausgiebig zu Wort. Der Vorsitzende der "Freunde des Sechzgerstadions" erklärt, warum viele Fans nur noch frustriert sind, er den Ausbau trotz allem für richtig hält – und was er nun von beiden Seiten erwartet.

AZ: Herr Scherbel, auf einer Skala von 1 "sehr enttäuscht" bis 10 "überhaupt nicht enttäuscht" – wie enttäuscht sind Sie, was den großen Umbau des Sechzgerstadions betrifft inzwischen vom TSV 1860 und der Stadt?
MARTIN SCHERBEL: Jeweils zwischen 1 und 2. Der Zustand ist ja eigentlich immer noch unverändert.

Warum passiert nichts?
Bei den Gesprächen kommt nichts raus. Beide Seiten schieben sich einfach immer nur die Schuld zu. 1860 sagt: Die Stadt liefert keine Mietkonditionen. Die Stadt sagt: Die müssten sich erstmal bekennen.

Verena Dietl hat diese Woche als allererste Verantwortliche der Stadt überhaupt im AZ-Interview ganz explizit davon gesprochen, dass auch eine Betreibergesellschaft für das Stadion gegründet werden könnte. Welche Vorteile hätte das?
Das hätte den großen Vorteil, dass es nur noch einen Verantwortlichen, einen Ansprechpartner für das Stadion gäbe, der sich um nichts anders als eben das Stadion kümmert. Aktuell schieben sich verschiedene Referate immer wieder die Verantwortung hin und her.

Das dürfte auch bundesweit der Standard sein, dass für moderne Stadien Betreibergesellschaften verantwortlich sind und nicht irgendein Amt, oder?
Sicherlich.

Bürgermeisterin Dietl hat erneut betont, dass die Löwen das Stadion in Erbpacht übernehmen könnten. Die Idee hat sie in der AZ vor Jahren schon einmal ins Spiel gebracht. Da Sechzig nie so richtig angebissen hat, wird es so nicht kommen, oder?
Ich verstehe das aus Sicht der Stadt München. Dann wären sie das Thema........

© Abendzeitung München


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