AZ: Herr Krause, 35.000 Münchner haben im September eher allgemein gegen rechts demonstriert, ein paar Wochen später gibt es einen bestialischen Angriff auf israelische Zivilisten – und nur ein winziger Bruchteil dieser 35.000 geht in Solidarität mit den Juden auf die Straße. Was sagt uns dieser Gegensatz?
DOMINIK KRAUSE: Natürlich ist es enttäuschend, dass es weniger Menschen sind als auf anderen Demonstrationen. Leider ist es aber auch nicht überraschend. Auch in der Vergangenheit hat man immer wieder gemerkt, dass beim Thema Antisemitismus schnell der "Ja, aber"-Reflex kommt, das ist sonst bei Gegen-Rechts-Themen nicht so.

Was folgt daraus?
Es sollte ein Anlass sein, dass wir nochmal reflektieren, warum das so ist und schauen, dass in Zukunft mehr Menschen auf die Straße gehen.

Was erhoffen Sie sich von Münchens Gegen-Rechts-Aktivisten?
Dass sie sich gegen Antisemitismus ebenso klar positionieren wie gegen Rechtsextremismus.

In den Tagen nach der Terror-Attacke hieß es aus dem Rathaus immer deutlich "München steht an der Seite Israels". Nun waren aber von Anfang an sehr viel weniger Menschen in diesem Sinne auf Demonstrationen als auf den anti-israelischen Protesten. Ist die politische Elite auch in dieser Stadt in Wahrheit bei den Themen weit weg von der Stimmung in der Bevölkerung?
Ich glaube schon, dass es eine breite Solidarität mit Israel in der Münchner Bevölkerung gibt. Aber wie gesagt: Ich wünsche mir da mehr Sichtbarkeit. Und natürlich müssen wir mehr Aufklärungsarbeit leisten. Die Politik hat die Solidarität zu Israel vornehmlich über eine historische Verantwortung begründet, aber nicht deutlich gemacht, dass Israel eben auch als einzige Demokratie im Nahen Osten unsere Solidarität verdient hat. Akteure wie die Boykott-Bewegung BDS tragen ihren Teil zu einem verzerrten Bild bei, indem sie Israel dämonisieren.

Die Stadt wollte BDS nicht mehr in städtischen Räumen, Gerichte haben diese Verbote gekippt. Wird das nochmal Thema?
Die Möglichkeiten für die Stadt sind ausgereizt, der Ball liegt beim Freistaat, der die Gemeindeordnung ändern müsste, damit die Städte Handlungsoptionen haben.

Am ersten Tag im Amt waren Sie um 8 Uhr morgens bei Charlotte Knobloch. Wie kam es dazu?
Ich fand, dass es das richtige Symbol war in der aktuellen Situation, aus zwei Gründen. Zum einen nimmt der Antisemitismus auch in München wieder massiv zu, wie es die Israelitische Kultusgemeinde schildert. Ich wollte zeigen, dass es mir persönlich aber auch der Stadt sehr wichtig ist, da Solidarität zu zeigen. Natürlich war es aber auch ein Statement darauf bezogen, was gerade in Israel passiert. Frau Knobloch hat dort Familie, ich wollte ihr die Anteilnahme der Stadt München ausdrücken.

Sie sagen, auch in München nimmt der Antisemitismus zu. Woran machen Sie das fest?
Insgesamt haben antisemitische Einstellungen in Deutschland um zehn Prozent zugenommen. Seit Neustem wird die "Jüdische Allgemeine" den Gemeindemitgliedern in neutralem Umschlag zugestellt, damit nicht erkennbar ist, wo Jüdinnen und Juden wohnen. Das ist schon eine beängstigende Stimmung, in der wir uns alle glasklar positionieren sollten. Gleichgültigkeit und Wegschauen haben in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts zur größten Katastrophe überhaupt geführt, dem Holocaust. Den Fehler dürfen wir nicht wiederholen.

Weshalb sollten sich Muslime denn von der Hamas distanzieren, hat Imam Benjamin Idriz dieser Tage gefragt. Was hätten die Muslime hier damit zu tun. Das Argument hört man öfter. Ist das nicht nachvollziehbar?
Je mehr Leute sich klar positionieren, desto selbstverständlicher wird da ein Konsens. Das kann man von niemandem verlangen, aber es wäre schön. Das macht von der Stimmungslage etwas aus. Zu unserer Gesellschaft gehören zum Glück auch Musliminnen und Muslime, deshalb sind sie auch gefragt. Letztlich gilt für Muslimverbände das selbe wie für alle anderen auch.

Experten haben der AZ gesagt, sie hätten bei sieben von 13 Münchner Imamen Beziehungen zu islamistischen Personen oder Strukturen gefunden. Klingt, als würde es vielen schwerfallen, sich glaubwürdig zu distanzieren.
Ja, diesen Eindruck teile ich. Umso wichtiger wäre es, dass sich die muslimischen Menschen in München, die sich nicht vertreten fühlen, organisieren und sprechfähig bleiben. Da gibt es glücklicherweise auch Bestrebungen, dass sich Leute jenseits der oft konservativen bis islamistischen Gemeinden organisieren wollen.

Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit zwischen der Stadtpolitik und den Imamen und Moscheevereinen künftig vor?
Ich finde, dass die Gemeinden sich erstmal bezüglich Antisemitismus wie andere Akteure klar positionieren müssen. Die Gemeinden sind sehr unterschiedlich. Und ich sage: Mit denjenigen Gemeinden, die radikal geprägt sind, sollten wir nicht zusammenarbeiten. So wie wir mit rechtsextremen Organisationen auch nicht zusammenarbeiten. Mit anderen sollten wir selbstverständlich im Gespräch sein.

Zurück zu den Möglichkeiten eines Bürgermeisters im Kampf gegen Antisemitismus.
Wir sind in Gesprächen mit den Fraktionen, was das Thema Bildung betrifft. Es muss stärker in die Schulen - Aufklärung über jüdisches Leben in Deutschland heute, aber auch die jüngere Geschichte Israels. Wir wollen wie in Paris auch an städtischen Gebäuden Banner, die die Freilassung der von der Hamas entführten Geiseln fordern.

Zu den teils sehr großen pro-palästinensischen Demos, bei denen auch klar antisemitische Positionen vertreten werden: Aus dem KVR heißt es, man verfolge Verstöße gegen Auflagen konsequent. Ist das nach den letzten Wochen ernsthaft auch Ihr persönlicher Eindruck?
Das KVR beschäftigt sich sehr intensiv mit den Protesten und hat Auflagen nachgeschärft, das finde ich sehr gut. Es wird genau darauf geachtet, welche Parolen antisemitisch sind und in welchen Fällen Versammlungsverbote nötig sind. Im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten tut das KVR alles, was man gegen Antisemitismus tun kann.

Wie sehen Sie die Rolle der Polizei?
Die Polizei duldet keinen Antisemitismus auf Münchens Straßen. Ich glaube aber, dass es der Polizei wie anderen Akteuren der Stadtgesellschaft ging - dass sie nicht gleich in diesem Konflikt mit allen Untiefen drin war, sondern sich erstmal sortieren musste: Was wird da skandiert, welche Symboliken sind vielleicht verboten - das ist alles nicht so trivial, zumal es wirklich um Formulierungs-Feinheiten geht bei der Frage, was ist strafbar und was nicht.

Herr Krause, Sie gelten als linker Grüner, sprechen hier aber fast wie ein Konservativer. Spielen Sie beim Antisemitismus von Migranten der CSU in die Karten?
Das ist doch nicht die Frage. Für mich war immer klar, dass ich mich bei den verschiedensten Diskriminierungen und Angriffen auf die Demokratie klar positioniere. Und das sollte für alle gelten - jenseits der politischen Lager. Ich finde es auch problematisch, wenn jetzt Gruppen aus dem linken politischen Spektrum beginnen, sich gegen Israel zu organisieren.

Was hören Sie aus Münchens israelischer Partnerstadt Be'er Sheva?
Aktuell ist alles stark geprägt von der Sorge um die Geiseln, von der Sorge um den Militäreinsatz und davor, wie die Situation sich weiterentwickelt. Bei meinen Kontakten in Israel gibt es auch viel Mitgefühl für die palästinensische Zivilbevölkerung - aber auch die sehr klare Aussage: So lange die Hamas da ist, wird es keinen Frieden geben, weder für die Palästinenser, noch für die Israelis. Man muss jetzt gegen die Hamas vorgehen. Was man auch nicht vergessen darf: Es fliegen nach wie vor Raketen auf Israel - und Be'er Sheva ist relativ nahe an der Grenze zum Gazastreifen, es gab dort auch Zerstörungen.

Was kann man aus München für die Menschen dort tun?
Wir denken aktuell fraktionsübergreifend über Möglichkeiten nach. Und: Wir kriegen aus Israel gespiegelt, dass es wichtig ist und sehr wahrgenommen wird, wenn Menschen für Israel auf die Straße gehen. Und wenn deutlich wird, dass auch in der deutschen Partnerstadt viele verstehen, in welcher Situation die Menschen dort sind.

QOSHE - "Wie mit Rechtsextremen": Münchens Bürgermeister für härteren Umgang ... - Felix Mã¼Ller
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"Wie mit Rechtsextremen": Münchens Bürgermeister für härteren Umgang ...

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20.11.2023

AZ: Herr Krause, 35.000 Münchner haben im September eher allgemein gegen rechts demonstriert, ein paar Wochen später gibt es einen bestialischen Angriff auf israelische Zivilisten – und nur ein winziger Bruchteil dieser 35.000 geht in Solidarität mit den Juden auf die Straße. Was sagt uns dieser Gegensatz?
DOMINIK KRAUSE: Natürlich ist es enttäuschend, dass es weniger Menschen sind als auf anderen Demonstrationen. Leider ist es aber auch nicht überraschend. Auch in der Vergangenheit hat man immer wieder gemerkt, dass beim Thema Antisemitismus schnell der "Ja, aber"-Reflex kommt, das ist sonst bei Gegen-Rechts-Themen nicht so.

Was folgt daraus?
Es sollte ein Anlass sein, dass wir nochmal reflektieren, warum das so ist und schauen, dass in Zukunft mehr Menschen auf die Straße gehen.

Was erhoffen Sie sich von Münchens Gegen-Rechts-Aktivisten?
Dass sie sich gegen Antisemitismus ebenso klar positionieren wie gegen Rechtsextremismus.

In den Tagen nach der Terror-Attacke hieß es aus dem Rathaus immer deutlich "München steht an der Seite Israels". Nun waren aber von Anfang an sehr viel weniger Menschen in diesem Sinne auf Demonstrationen als auf den anti-israelischen Protesten. Ist die politische Elite auch in dieser Stadt in Wahrheit bei den Themen weit weg von der Stimmung in der Bevölkerung?
Ich glaube schon, dass es eine breite Solidarität mit Israel in der Münchner Bevölkerung gibt. Aber wie gesagt: Ich wünsche mir da mehr Sichtbarkeit. Und natürlich müssen wir mehr Aufklärungsarbeit leisten. Die Politik hat die Solidarität zu Israel vornehmlich über eine historische Verantwortung begründet, aber nicht deutlich gemacht, dass Israel eben auch als einzige Demokratie im Nahen Osten unsere Solidarität verdient hat. Akteure wie die Boykott-Bewegung BDS tragen ihren Teil zu einem verzerrten Bild bei, indem sie Israel dämonisieren.

Die Stadt wollte BDS nicht mehr in städtischen Räumen, Gerichte haben diese Verbote gekippt. Wird das nochmal Thema?
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