München - Alle, die nach München ziehen, müssen ins Kreisverwaltungsreferat. Um den Wohnsitz anzumelden oder auch, um eine Arbeitserlaubnis zu beantragen. KVR-Chefin Hanna Sammüller-Gradl (Grüne) hat schon vor Amtsantritt in der AZ angekündigt, ihre Behörde freundlicher für Migranten zu machen. Die AZ hat mir ihr darüber gesprochen, was daraus wurde, wie hoch die Motivation von Migranten ist, zu arbeiten, und warum sie die Forderung nach mehr Abschiebungen nicht teilt.

AZ: Frau Sammüller-Gradl, haben Sie vergangenen Sonntag auch gegen rechts demonstriert?
HANNA SAMMÜLLER-GRADL: Ja, ich war mit Freunden da. Ich hatte auch ein Schild dabei, auf dem stand: "Rassismus ist keine Alternative".

Wo spüren Sie einen Rechtsruck?
Auf einmal höre ich verallgemeinernde Sprüche gegenüber bestimmten Menschengruppen nicht mehr nur von den Parteien ganz rechts außen, sondern auch von solchen, die sich eigentlich in der Mitte der Gesellschaft verorten. Es wird gesagt, dass Geflüchtete Termine beim Zahnarzt wegnehmen oder, dass wir in einem größeren Maße abschieben müssen. Das war für mich der Moment, in dem mir klar wurde, ich möchte dazu etwas sagen.

Was denn?
Mir ist eine Botschaft wichtig: Migration bereichert unsere Stadt in allem. Ohne Migration gäbe es weniger unterschiedliche Restaurants, es gäbe weniger Clubs, weniger Kultur, weniger Bands, weniger Vielfalt in der Klasse meiner Tochter. Unser wirtschaftliches Leben, unser Pflege- und Krankensystem würden zusammenbrechen.

Der Kanzler hat gesagt, dass Menschen abgeschoben werden sollen, die kein Recht haben, hier zu sein. Wollen Sie da widersprechen?
Das hat die Bundesregierung ja in der Hand, wer das Recht hat, hier zu bleiben. Einerseits wird gesagt, dass die Menschen, die hierher kommen, dem Staat so viel Geld kosten, weil sie nicht arbeiten. Aber tatsächlich lässt man sie nicht arbeiten. Wenn eine Person für einen Job hierher kommen will, muss die Ausländerbehörde die Genehmigung erteilen. Gegebenenfalls müssen wir eine Vorrangprüfung machen, ob nicht ein Deutscher oder ein EU-Bürger diesen Job besser machen könnte. Es ist festgelegt, wo, also zum Beispiel in welchem Hotel, die Person arbeiten darf, wie viele Stunden und auf welcher Position. Wenn sie befördert wird oder in einer anderen Filiale tätig sein soll, muss sie sich in der Ausländerbehörde das Okay abholen. Im Zweifel entscheidet das die Ausländerbehörde nicht alleine, sondern muss sich zusätzlich mit der Arbeitsagentur rückkoppeln. Das sind enorme bürokratische Hürden.

Wie lange dauert es, bis ein Geflüchteter eine Arbeitserlaubnis hat?
Es dauert mindestens neun Monate, bis er arbeiten darf, eher länger. Denn solange er verpflichtet ist, in einem Ankunftszentrum zu leben, darf er nicht arbeiten. Der behördliche Prozess für die Arbeitserlaubnis dauert zwei bis vier Wochen, teilweise auch länger. Dabei sind so viele Unternehmen darauf angewiesen, dass Menschen hier arbeiten – und zwar nicht nur Fachkräfte. Wir brauchen auch ungelerntes Personal, händeringend. Beim Jobcenter gibt es allein 500 offene Stellen mit einem Vermerk, für die man keine Ausbildungen und keine Sprachkenntnisse braucht.

Ihre Partei ist Teil der Bundesregierung. Sind Sie enttäuscht?
Ich bin nicht enttäuscht, weil die Bundesregierung gute Gesetze auf den Weg gebracht hat. Zum Beispiel ist das Chancen-Aufenthaltsgesetz großartig. Da geht es um Menschen, die bislang keinen Aufenthaltstitel, sondern bloß eine Duldung hatten und die es trotzdem geschafft haben, eine Wohnung und eine Arbeit zu finden. Die dürfen jetzt bleiben. Das Gesetz ist seit einem Jahr in Kraft. Alleine in München haben wir 670 Titel ausgestellt. Auch das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz ist ein wichtiger Schritt. Da wurde zum Beispiel die Vorrangprüfung, ob ein Deutscher den Job machen kann, abgeschafft. Außerdem kommt jetzt das neue Einbürgerungsrecht. Da freu ich mich auch sehr.

Warum denn?
In der Ausländerbehörde bekomme ich mit, dass viele Menschen aus Ländern ankommen, in denen sie nicht wählen dürfen, und denen es viel bedeutet, zu wählen. Mit dem neuen Einbürgerungsrecht können etwa 230.000 Menschen in München die Chance erhalten, einen Antrag zu stellen, um Deutsche zu werden und hier wählen zu dürfen sowie ohne Einschränkungen arbeiten zu können. Da geht es nicht nur um Leute, die hier seit Jahrzehnten leben und arbeiten, sondern auch um Menschen, die sogar hier geboren sind.

Die neue Leiterin der Ausländerbehörde machte Migrationsberatung. Heißt das, jetzt wird jeder Antrag durchgewunken?
Die Entscheidung, ob jemand Asyl bekommt, liegt nicht bei uns. Die Besetzung der Leitung der Ausländerbehörde erfolgte durch ein ausführliches Auswahlverfahren mit Assessment Center. Ein ganz wichtiger Aspekt für uns war die Serviceorientierung gegenüber unseren Mitbürgern mit Migrationsgeschichte. Durch die Besetzung zeigen wir, dass die Ausländerbehörde mit einer Willkommenskultur ein wichtiger Motor für die Stadt ist.

Was meinen Sie damit?
Wir geben täglich unser Bestes, damit die Menschen, die zu uns kommen, schnell arbeiten können. Damit helfen wir zum Beispiel der Gastronomie, der Hotelbranche, den Kitas ihre Arbeitskräfte zu erhalten. So garantieren wir, dass die Wirtschaft gut weiter läuft und bereichern gleichzeitig unser gesellschaftliches Leben, in dem wir zum Beispiel auch ausländischen Musikern, Sportlern und Schauspielern zeigen, dass sie in München willkommen sind.

Aber erst mal kostet Migration Geld. Sprachkurse und Unterkünfte verschlingen Millionen.
Für mich ist das zu kurzfristig gedacht. Die Erfinder der Corona-Impfung sind ein Ehepaar mit türkischen Wurzeln. Der deutsche Staat hat auch in ihre Ausbildung investiert. Dafür haben sie später BioNTech gegründet und der Gesellschaft nicht nur finanziell viel zurückgegeben. Da gibt es ganz viele Beispiele. Wir schätzen, dass etwa 70 bis 80 Prozent der Geflüchteten nach vier bis fünf Jahren arbeiten. Ich verwehre mich daher dagegen, in der Debatte den Blick auf das zukünftige Potenzial der Menschen auszublenden. Daher halte ich die Debatte darum, dass wir mehr abschieben müssten, für eine Scheindebatte.

Was meinen Sie damit?
Mal ganz abgesehen von den sehr vielen humanitären Bedenken: Eine Abschiebung ist eine unheimlich aufwendige und komplexe Angelegenheit. Es muss immer ein Land gefunden werden, dass die Person aufnimmt. Ausweispapiere müssen organisiert werden, was nicht immer gelingt. Es bedarf vieler Abstimmungen mit der Polizei, den Flughäfen und weiteren Sicherheitsbehörden. Das bindet wahnsinnig viele menschliche Ressourcen und extrem viel Zeit. Meiner Ansicht nach hätte die Gesellschaft mehr davon, wenn wir das Geld und die Zeit dafür investieren würden, die Personen zu qualifizieren.

Also soll jeder in München bleiben dürfen?
Ich habe Verständnis, dass Schwerkriminelle abgeschoben werden. Aber jemandem, der nur noch keinen Aufenthaltstitel hat, damit zu drohen, ihn auszuweisen, ist nicht zielführend. Weil auch diese Menschen ein großes Potenzial mitbringen.

Warum bekommt man keinen Aufenthaltstitel?
Wenn jemand zum Beispiel ohne gesetzlich anerkannten Asylgrund kommt. Oder wenn jemand zum Arbeiten kommt und die Anforderungen des Jobs die Voraussetzungen nicht erfüllen. Der Job darf auf keinen Fall schlechter sein, als der für einen Deutschen. Es muss Mindestlohn gezahlt werden und der Arbeitgeber muss als zuverlässig bekannt sein. In vielen Fällen muss zum Beispiel auch noch geprüft werden, ob nicht vorrangig deutsche oder Bewerber aus der EU für die Stelle in Frage kommen.

Macht doch Sinn zu kontrollieren, dass Menschen nicht ausgenutzt werden.
Natürlich, das ist ja der positive Hintergedanke. Aber man muss es wissen, wenn es heißt, Menschen mit Migrationshintergrund würden weniger arbeiten. Das stimmt nicht. Sie wollen arbeiten, sonst hätte es vor der Ausländerbehörde keine riesigen Schlangen gegeben, bevor wir die Online-Termine eingeführt haben. Sonst würden meine Mitarbeiter nicht täglich alles geben und vollen Einsatz zeigen, um den vielen Anträgen auf Arbeitserlaubnissen Herr zu werden. Die Kunden der Ausländerbehörde legen eine sehr hohe Motivation an den Tag, alles korrekt zu beantragen, um endlich arbeiten zu dürfen. Sie müssen dabei noch viel höhere Hürden meistern als deutsche Staatsbürger.

Was erwarten Sie von der Bundesregierung?
Es muss den Menschen einfacher gemacht werden, zu arbeiten. Das würde allen helfen.

Nochmal zu vergangenem Sonntag: Was kann eine Demo da bewirken?
Sie ist politisch ein wichtiges Zeichen. Denn ich nehme es so wahr, dass die Gefahr besteht, dass die Politik gerade von einer rechten Stimmung getrieben wird, die in der Gesellschaft laut geworden ist. Durch die Demo hat die Politik vor Augen, dass es eine Mehrheit anders sieht.

Beobachten Sie so eine rechte Stimmung auch in München?
Ich merke es an dem, was bei Versammlungen geäußert wird. Egal was das eigentliche Anliegen ist: Sehr schnell schwenkt es auf das Thema Migration. Zum Beispiel bei der Spediteursdemo. Da hieß es auf der Bühne, dass Menschen herkommen, Bürgergeld kassieren und nicht arbeiten. Dabei sucht gerade der Logistikbereich händeringend Arbeitskräfte.

Sie haben angekündigt, die Ausländerbehörde freundlicher zu machen. Was wurde daraus?
Die Schlange vor dem KVR ist weg. Seit einem Jahr gibt es online Notfalltermine und Helpdesks. Wir bauen das Servicetelefon momentan stark aus. Unser Endziel ist eine Erreichbarkeit von über 80 Prozent, momentan liegen wir bei 50 bis 60 Prozent. Wir sind gerade dabei, mit dem IT-Referat eine Lösung zu entwickeln, die Antragstellern ermöglicht, online den Status ihres Antrags abzufragen. Wir haben Schulungen für die Mitarbeitenden in interkultureller Kommunikation durchgeführt. Wir haben angefangen, unsere Webseiten immer mehr zu übersetzen und bauen gerade entsprechend dem Stadtratsantrag ein Welcome-Center auf. Dort sollen ausländische Bürger Informationen zu Krankenversicherungen, Sprachkursen, Arbeitsmöglichkeiten und vielem mehr aus einer Hand erhalten.

Ein Ziel war, dass man mit Ihren Mitarbeitern in der Muttersprache sprechen kann.
Bei uns im KVR haben 17,5 Prozent der Mitarbeiter keine deutsche Staatsangehörigkeit. Die Quote in der Ausländerbehörde liegt noch höher. Die Mitarbeiter, die eine andere Sprache können, sind ermutigt, in dieser zu kommunizieren. Bei Stellenausschreibungen achten wir darauf, dass wir sie an die entsprechenden Communitys schicken. Früher konnten wir Stellen schwer besetzen. Inzwischen bewerben sich immer mehr Menschen, vielleicht auch, weil sie hören, dass das KVR Menschen mit Migrationsgeschichte wertschätzt.

QOSHE - KVR-Chefin in München stellt klar: "Dass wir mehr abschieben müssten, ... - Christina Hertel
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29.01.2024

München - Alle, die nach München ziehen, müssen ins Kreisverwaltungsreferat. Um den Wohnsitz anzumelden oder auch, um eine Arbeitserlaubnis zu beantragen. KVR-Chefin Hanna Sammüller-Gradl (Grüne) hat schon vor Amtsantritt in der AZ angekündigt, ihre Behörde freundlicher für Migranten zu machen. Die AZ hat mir ihr darüber gesprochen, was daraus wurde, wie hoch die Motivation von Migranten ist, zu arbeiten, und warum sie die Forderung nach mehr Abschiebungen nicht teilt.

AZ: Frau Sammüller-Gradl, haben Sie vergangenen Sonntag auch gegen rechts demonstriert?
HANNA SAMMÜLLER-GRADL: Ja, ich war mit Freunden da. Ich hatte auch ein Schild dabei, auf dem stand: "Rassismus ist keine Alternative".

Wo spüren Sie einen Rechtsruck?
Auf einmal höre ich verallgemeinernde Sprüche gegenüber bestimmten Menschengruppen nicht mehr nur von den Parteien ganz rechts außen, sondern auch von solchen, die sich eigentlich in der Mitte der Gesellschaft verorten. Es wird gesagt, dass Geflüchtete Termine beim Zahnarzt wegnehmen oder, dass wir in einem größeren Maße abschieben müssen. Das war für mich der Moment, in dem mir klar wurde, ich möchte dazu etwas sagen.

Was denn?
Mir ist eine Botschaft wichtig: Migration bereichert unsere Stadt in allem. Ohne Migration gäbe es weniger unterschiedliche Restaurants, es gäbe weniger Clubs, weniger Kultur, weniger Bands, weniger Vielfalt in der Klasse meiner Tochter. Unser wirtschaftliches Leben, unser Pflege- und Krankensystem würden zusammenbrechen.

Der Kanzler hat gesagt, dass Menschen abgeschoben werden sollen, die kein Recht haben, hier zu sein. Wollen Sie da widersprechen?
Das hat die Bundesregierung ja in der Hand, wer das Recht hat, hier zu bleiben. Einerseits wird gesagt, dass die Menschen, die hierher kommen, dem Staat so viel Geld kosten, weil sie nicht arbeiten. Aber tatsächlich lässt man sie nicht arbeiten. Wenn eine Person für einen Job hierher kommen will, muss die Ausländerbehörde die Genehmigung erteilen. Gegebenenfalls müssen wir eine Vorrangprüfung machen, ob nicht ein Deutscher oder ein EU-Bürger diesen Job besser machen könnte. Es ist festgelegt, wo, also zum Beispiel in welchem Hotel, die Person arbeiten darf, wie viele Stunden und auf welcher Position. Wenn sie befördert wird oder in einer anderen Filiale tätig sein soll, muss sie sich in der Ausländerbehörde das Okay abholen. Im Zweifel entscheidet das die Ausländerbehörde nicht alleine, sondern muss sich zusätzlich mit der Arbeitsagentur rückkoppeln. Das sind enorme bürokratische Hürden.

Wie lange dauert es, bis ein Geflüchteter eine Arbeitserlaubnis hat?
Es dauert mindestens........

© Abendzeitung München


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