Maiswaffeln mit Tomaten ersetzen Pizza, Low-fat-Cottage-Cheese mit Backkakao sogar Schokoladeneis. Und wenn man Zucchini ganz dünn schneidet, sind es quasi Nudeln. Ein Stück Knäckebrot und eine halbe Tomate sollen das ideale Dinner sein, vorausgesetzt man ist ein „Girl“, denn wie sollte es sonst ein „girl dinner“ werden?

Auf Sozialen Medien stoßen Trends wie „What I eat in a day“- oder „girl dinner“-Videos auf Zuspruch. In diesen Videos zeigen Content-Creators, was sie essen, wie sie abgenommen haben, oder wie karg ihr Abendessen heute ausfällt. Die Kurzvideos schleichen sich als vermeintlicher Ansporn oder scheinbare Inspiration an, machen sich auf dem Social-Media-Feed breit und schon nehmen sie ihren Platz im Alltag ein. Content-Creators präsentieren in Kurzvideos ihren healthy lifestyle und verkaufen diesen als „normal“. Wird dieser in den Videos glaubhaft gemachte Lifestyle im Alltag zu einem verlorenen Kampf mit sich selbst, kann sich das bei Rezipient:innen zu einer Essstörung entwickeln.

Die 24-jährige Ludmilla kann jetzt offen über ihre Essstörung sprechen. Ihr schwieriges Verhältnis zu Essen hat bereits im Teenager-Alter begonnen: Damals wurde ihr in Zeitschriften und TV ein weibliches Körperbild vermittelt, dem sie entsprechen wollte. Ein Wiederaufleben dieser Essstörung durchlebte Ludmilla vor drei Jahren, im ersten Corona-Lockdown. Wie viele andere setzte sie sich als Ziel, die Zeit zu nutzen, um fitter zu werden und sich somit auch ihrer Ernährung zu widmen. „Am Anfang vertieft man sich in die Materie und folgt ein paar dieser Accounts.“ Gerade auf Instagram und TikTok reagiert der Algorithmus sehr schnell. „Bis ich irgendwann nur noch diesen einen Content vorgeschlagen bekommen habe, immer extremer. Jedes Mal denkst du dir dann, du hast versagt, nur weil du es nicht so hinbekommst wie die“, sagt Ludmilla.

„Sie tun dann so, als wäre es das normalste der Welt, jedes Gramm abzuwiegen und zu tracken. Sie gaukeln dir vor, wie sich dein Lifestyle ändern kann“, sagt Ludmilla.

Ja, und wie sich Ludmillas Lifestyle geändert hat: Sie begann, ihr Essen abzuwiegen, zu tracken. Wenn sie auswärts eingeladen war, versuchte sie, so gut es ging, herauszufinden, wie viele Kalorien in dem Essen versteckt waren. Sie traf keine Freund:innen mehr, wenn ihre tägliche Kalorien-Grenze erreicht war. „Die Freundinnen könnten ja dann vielleicht noch etwas essen gehen. Oder noch schlimmer, essen und dann was trinken gehen.“ Der Algorithmus riss sie mit, sie begann, zu verzichten und fiel in ein altes, restriktives Essverhalten.

Diätologin und Psychotherapeutin Anna Moor nennt Social Media als einen relevanten Baustein, der viel Einfluss auf Essstörungen haben kann. Gerade weil viele ihrer Patient:innen Jugendliche und junge Erwachsene sind, befragt sie diese zu ihrem Medienkonsum. Eine ihrer Patientinnen bezeichnet ihr Social-Media-Verhalten als Beiträge-snacken. Ein Vergleich, den Moor sehr passend findet, denn ein Feed ist ja auch ein Füttern, nämlich ein emotionales Füttern. Einige Betroffene haben in der Zeit, als ihre Essstörung entstand, viel Social Media konsumiert, was die Situation verschärfte. „Man kann nicht sagen, dass Social Media allein ein gestörtes Essverhalten oder Essstörungen auslöst, es ist aber sicher ein wesentlicher Einflussfaktor“, sagt Moor.

Gerade Jugendliche befinden sich in einer Orientierungsphase, suchen nach Vorbildern und nach einer Anleitung, wie man individuell richtig lebt. „Das wird ja auf Social Media meistens sehr schön dargestellt, durch die Kürze, Filter und Schneidetechniken schaut das alles sehr ansprechend aus“, sagt Moor. Gerade „What I eat in a day“-Reels vermitteln die Kontrollierbarkeit des Essverhaltens und damit des eigenen Lebens. Oft zeigen sich Content-Creators darin in enger Kleidung, um ihren Körper zur Schau zu stellen. „Als würde durch dieses spezielle Essverhalten genau dieser Körper dabei rauskommen. Nach dem Motto: Wenn ich das mache, was die machen, kann ich das erreichen, was die mir vorleben.“

Das Gefühl, sich mit diesen Körperbildern der Videos zu vergleichen, kennt auch die 27-jährige Paula.

„Ernährung ist etwas Individuelles, jeder Körper verstoffwechselt anders“, das weiß sie theoretisch. Schaut sie aber viele Rezept- und „What I eat in a day“-Videos, gerät sie in einen Strudel. Dann ist es für sie nicht mehr so leicht, ihr Essverhalten von dem vorgelebten auf Instagram und Co zu trennen. „Je öfter es mir vorgeschlagen wird, desto mehr wird Essen zum Feind“, sagt Paula.

Ein anderer Punkt, den Ludmilla problematisch findet, ist die scheinbare Transparenz dieser Kurzvideos. Es wird so verkauft, als würden diese Influencer:innen in einer vollkommenen Balance leben. Sie vermitteln: „Sie würden sich ja auch mal ein bisschen was gönnen und cheaten.“ „Und wenn sie das machen, dann posten sie das auf Social Media, um mir zu zeigen, dass sie die normalsten Leute der Welt sind. In Wahrheit ist das keine Balance. Mir wäre lieber, sie sagen offen, dass sie viel dafür tun, um diesen Körper zu haben, und dass sie auf vieles verzichten müssen“, sagt Paula.

Es gibt auch Gegentrends wie zum Beispiel „What I eat in a day in recovery“ oder „What I eat in a day as a fat person“. Aber das Labeln dieser Videos bringt ebenfalls Gefahren mit sich. Paula hat erlebt, dass das Vergleichen dadurch noch stärker wird, wieder beginnt der Teufelskreis des Vergleichens: „Anfangs beginnt es zu rattern: ‚Was hab‘ ich gegessen? Wie viele Kalorien könnte das haben? War das okay? Esse ich so viel wie diese fat person?‘“

Für sie holen diese Videos immer wieder Essen und Ernährung in das aktive Bewusstsein. Essen bekommt aber eine andere Bedeutung, nämlich nicht, dass Menschen nun einmal essen müssen, um zu überleben. „Es entwickelt sich vielmehr zu einem Überwichtignehmen von Nahrung und somit zu einem Überwichtignehmen von Kalorien.“

Hingegen findet die Psychotherapeutin Moor, dass Videos wie diese sehr wohl auch einen positiven Effekt auf Betroffene haben können. Sie rät ihren Patient:innen trotzdem meist, Abstand zu Social Media und Essens-Trends zu nehmen. So wie Paula und Ludmilla Distanz zu Social-Media-Ernährungs-Videos gewinnen mussten. Beide haben dafür hartnäckige Maßnahmen getroffen: Blockieren von bestimmten Social-Media-Seiten, Entfolgen von Personen und ein striktes Widerstehen.

QOSHE - Durchtrainiert, aber essgestört - Nora Schäffler
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Durchtrainiert, aber essgestört

8 0
20.12.2023

Maiswaffeln mit Tomaten ersetzen Pizza, Low-fat-Cottage-Cheese mit Backkakao sogar Schokoladeneis. Und wenn man Zucchini ganz dünn schneidet, sind es quasi Nudeln. Ein Stück Knäckebrot und eine halbe Tomate sollen das ideale Dinner sein, vorausgesetzt man ist ein „Girl“, denn wie sollte es sonst ein „girl dinner“ werden?

Auf Sozialen Medien stoßen Trends wie „What I eat in a day“- oder „girl dinner“-Videos auf Zuspruch. In diesen Videos zeigen Content-Creators, was sie essen, wie sie abgenommen haben, oder wie karg ihr Abendessen heute ausfällt. Die Kurzvideos schleichen sich als vermeintlicher Ansporn oder scheinbare Inspiration an, machen sich auf dem Social-Media-Feed breit und schon nehmen sie ihren Platz im Alltag ein. Content-Creators präsentieren in Kurzvideos ihren healthy lifestyle und verkaufen diesen als „normal“. Wird dieser in den Videos glaubhaft gemachte Lifestyle im Alltag zu einem verlorenen Kampf mit sich selbst, kann sich das bei Rezipient:innen zu einer Essstörung entwickeln.

Die 24-jährige Ludmilla kann jetzt offen über ihre Essstörung sprechen. Ihr schwieriges Verhältnis zu Essen hat bereits im Teenager-Alter begonnen: Damals wurde ihr in Zeitschriften und TV ein weibliches Körperbild vermittelt, dem sie entsprechen wollte. Ein Wiederaufleben dieser Essstörung durchlebte Ludmilla vor drei Jahren, im ersten Corona-Lockdown. Wie viele andere setzte sie sich als Ziel, die Zeit zu nutzen, um fitter zu werden und sich somit auch ihrer Ernährung zu widmen. „Am Anfang vertieft man sich in die Materie und folgt ein paar dieser Accounts.“ Gerade auf........

© Wiener Zeitung


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