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Phallische Ablenkungsmanöver

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22.11.2025

Gertraud Klemm betitelte ihr letztes Buch „Abschied vom Phallozän“ , dieser Abschied aber gestaltet sich wie es scheint durchaus langwieriger und holpriger als erhofft. Denn 2025 war insgesamt fürwahr nicht arm an Schwänzen mit zu viel Macht, man könnte anstatt von der Verabschiedung des Phallozäns zu sprechen, fast schon schlechte Wortwitze mit „Dicktatur“ machen, die in ihrer peinlichen Misslungenheit wiederum auch gut zu 2025 passen würden.

Tatsächlich nämlich machten diese Woche gleich zwei Schwänze Schlagzeilen, und von beiden hätte ich lieber nie etwas gehört (weder von den Schlagzeilen, noch von den Schwänzen).

Schwanz Nummer eins ist jener Adolf Hitlers. Ja, duhast richtig gehört, auch wenn du vermutlich lieber gar nichts gehört hättest. Anstatt ordentliche Vergangenheitsbewältigung und Erinnerungskultur zu betreiben, beschäftigten sich Medien in den Täterländern Deutschland und Österreich in der letzten Woche mit der Größe des Geschlechtsteiles des nationalsozialistischen Diktators.

„Hatte Adolf Hitler einen Mikropenis? Womöglich.“, lautete die drängende Frage des Spiegel-Magazins auf Instagram. Nicht nur womöglich, sondern offensichtlich sehr klein ist das historische Bewusstsein und die Pietät jener Medien, die es für eine gute Idee halten, in der Berichterstattung über den Massenmörder und Architekten des nationalsozialistischen Vernichtungsprojekts Adolf Hitler auf seinen gänzlich irrelevanten Penis zu fokussieren.

Den 6 Millionen Jüdinnen und Juden, die er und seine nationalsozialistische Mörderbande auf dem Gewissen hat, den Roma und Sinti, den Homosexuellen, allen Verfolgten, Ermordeten, Inhaftierten und Gefolterten sowie ihren Angehörigen und Nachfahren wird es wohl relativ egal sein, ob er, während er sie terrorisierte, verfolgte und ermordete, einen großen, kleinen oder mittelgroßen Penis hatte.

Grund für die Schlagzeilen über Hitlers Penis ist eine neue Doku-Serie von Channel 4 mit dem Namen „Hitler’s DNA-Blueprint of a dictator“. In ihr wird behauptet, man habe anhand eingetrockneter Blutreste Hitlers DNA analysieren können und ihm auf diesem Wege das „Kallmann Syndrom“ diagnostiziert, ein seltener Gendefekt, der mit einem niedrigen oder stark fluktuierenden Testosteron-Spiegel einhergeht und dazu führen kann, dass die Pubertät nie oder verzögert einsetzt und Genitalien nicht vollständig oder deformiert ausgebildet werden. Einer von zehn Männern, die am Kallmann-Syndrom leiden, haben einen Mikropenis.

Außerdem wird in der Doku nahegelegt, Adolf Hitler........

© Wiener Zeitung