Stand: 30.01.2024, 10:05 Uhr

Von: Maria Sterkl

Kommentare Drucken Teilen

Zwei Millionen Menschen in Gaza sind abhängig von der Hilfe des UN-Hilfswerks. Ihm den Geldhahn abzudrehen, kann keine Lösung sein. Der Leitartikel.

Die Berichte über terroristische Verwicklungen von Beschäftigten der UN-Palästinahilfe UNRWA schockieren. Es kratzt am Vertrauen in alle UN-Agenturen, wenn eine von ihnen in die Nähe terroristischer Handlungen gerät. Auch die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, deren Geld in die Palästinahilfe fließt, haben das Recht zu wissen, was konkret mit diesen Mitteln geschieht. Und die deutsche Bundesregierung hat die Pflicht, die Bremse zu ziehen, wenn Geld für sachfremde – oder gar kriminelle – Zwecke verwendet wird. Soweit zum Prinzip.

Was die aktuelle Aufregung über das UN-Palästinahilfswerk UNRWA betrifft, wird in der Debatte aber vieles vermischt, was getrennt werden sollte. Es lohnt sich, die Stränge zu entflechten.

Hamas-Überfall: „Viele sagen, das war wie ein Pogrom“

UNRWA beschäftigt im Gazastreifen rund 13.000 Menschen. Das UN-Hilfswerk ist damit der größte Arbeitgeber in Gaza. Es ist aber auch der wichtigste sozialpolitische und bildungspolitische Player.

Es geht hier nicht nur um einen Anbieter unter vielen. UNRWA übernimmt im Gazastreifen staatliche Aufgaben, wo die lokale Verwaltung versagt. Zugleich muss sich die Agentur laufend mit den lokalen Behörden abstimmen. Da diese aber von einer korrupten, autoritär herrschenden Terrorgruppe kontrolliert wird, lässt sich keine sterile Trennung zwischen UN-Agentur und Hamas herstellen – so sehr man sich das auch wünschen würde. Man wird auch in anderen autoritär regierten Gebieten nicht verwundert sein, dass Hilfsorganisationen mit den im Westen aus guten Gründen sanktionierten Machthabern verhandeln müssen – anders ist humanitäre Arbeit nun einmal nicht leistbar.

Das alles ist auch jenen Regierungen bewusst, die nun den Geldhahn abgedreht haben. Deutschland lässt die Palästinahilfe gerne fließen, solange man nicht zu viel darüber spricht, wer in Teilen Palästinas regiert. Wenn dann ein Skandal ans Licht kommt, stoppt man die Hilfe. Wenn sich die Öffentlichkeit ein anderes Aufregerthema gesucht hat, setzt man sie wieder in Gang. Das ist ein zynisches Spiel auf dem Rücken jener zwei Millionen Menschen in Gaza, die von der Hilfe abhängig sind. Die Mehrheit von ihnen sind Frauen und Kinder.

Wer UNRWA dafür sanktionieren möchte, dass sie zu wenig genau überprüft, wer in den Schulen lehrt und in den Kliniken arbeitet, soll das auf eine Weise tun, die nicht vor allem jenen schadet, die am verletzlichsten sind.

Es ist gut, dass UNRWA sich von den verdächtigen Beschäftigten trennt. Die Agentur sollte aber mehr tun, als ihre lokalen Mitarbeiter:innen in Schulungen zu schicken, wo sie auswendig lernen, was die Werte der Vereinten Nationen sind. Den Betroffenen muss klar sein, dass jede Verherrlichung von Gewalt faktische Konsequenzen hat, und die Führung der Agentur muss bereit sein, diese Konsequenzen auch zu ziehen – selbst, wenn das in Unstimmigkeiten mit den lokalen Behörden mündet.

Natürlich kann man über die Sinnhaftigkeit der Konstruktion UNRWA an sich sprechen. Die Vereinten Nationen müssen sich vorwerfen lassen, durch die ständige Verlängerung des UNRWA-Mandats das Palästina-Flüchtlingsproblem zu perpetuieren. Für solche Grundsatzdiskussionen hatte Europa aber jahrzehntelang Zeit. Es ausgerechnet jetzt zu tun, wenn mehr als 90 Prozent der Menschen im Gazastreifen Hunger leiden und jeder Bissen Brot überlebenswichtig ist, ist verantwortungslos.

Man darf bei allem Fingerzeigen auf die Vereinten Nationen auch nicht vergessen, welche Rolle europäische Regierungen – und allen voran die Bundesrepublik Deutschland – in der Israel-Palästina-Frage und in der Verfestigung des Konflikts spielen. Der Aufstieg der Hamas ging Hand in Hand mit einer stetigen Schwächung der Palästinenserbehörde in Ramallah. Deutschland hat diese Schwächung nicht nur zugelassen, sondern indirekt auch gefördert.

Zwar betonen Regierungsvertreter:innen bei jedem Besuch in der Region, dass sie sich zur Zwei-Staaten-Lösung bekennen. Zugleich unterstützen sie eine israelische Regierung, die mit ihrer schleichenden faktischen Annexion des Westjordanlandes eine solche Lösung in immer weitere Ferne rückt. Die künftigen Generationen in Israel und Palästina haben sich mehr Redlichkeit verdient. (Maria Sterkl)

QOSHE - UN-Palästinahilfe UNRWA: Zynisches Spiel im Gazastreifen - Maria Sterkl
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

UN-Palästinahilfe UNRWA: Zynisches Spiel im Gazastreifen

8 15
30.01.2024

Stand: 30.01.2024, 10:05 Uhr

Von: Maria Sterkl

Kommentare Drucken Teilen

Zwei Millionen Menschen in Gaza sind abhängig von der Hilfe des UN-Hilfswerks. Ihm den Geldhahn abzudrehen, kann keine Lösung sein. Der Leitartikel.

Die Berichte über terroristische Verwicklungen von Beschäftigten der UN-Palästinahilfe UNRWA schockieren. Es kratzt am Vertrauen in alle UN-Agenturen, wenn eine von ihnen in die Nähe terroristischer Handlungen gerät. Auch die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, deren Geld in die Palästinahilfe fließt, haben das Recht zu wissen, was konkret mit diesen Mitteln geschieht. Und die deutsche Bundesregierung hat die Pflicht, die Bremse zu ziehen, wenn Geld für sachfremde – oder gar kriminelle – Zwecke verwendet wird. Soweit zum Prinzip.

Was die aktuelle Aufregung über das UN-Palästinahilfswerk UNRWA betrifft, wird in der Debatte aber vieles vermischt, was getrennt werden sollte. Es lohnt sich, die Stränge zu entflechten.

Hamas-Überfall: „Viele sagen, das war wie ein Pogrom“

UNRWA beschäftigt im Gazastreifen rund........

© Frankfurter Rundschau


Get it on Google Play