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Mit Friedrich Merz erreicht der Zerfall der demokratischen Mitte die nächste Stufe

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Eine Regierung besteht aus drei Elementen: Aus ihrer ursprünglichen Praxis, nämlich aus dem Regierungshandeln, das wiederum aus so unterschiedlichen Dingen wie Verwaltung, Gesetzgebung, Verhandlungen und Verträgen besteht. Aus ihrer „Artikulation“, das heißt der Art, wie sich die Regierung an ihre Gesellschaft wendet, und wie sie umgekehrt auf Impulse ihrer Gesellschaft reagiert, in Mono- und Dialogen, in „Erzählungen“ und in Erklärungen. Und schließlich aus der „Repräsentation“, das heißt, der Art, in der sich eine Regierung als ideale Darstellung und Stellvertretung ihrer Gesellschaft zeigt: als „Vorbilder“ im besseren, als „Symptome“ im schlechteren Fall.

Es geht also um eine Dreiheit von Aktion, Rhetorik und, tatsächlich, „Charakter“. Mit einem großen Wort kann man dabei wohl von „Identifikation“ sprechen. In einer demokratischen Gesellschaft muss es nicht nur freie Wahlen, offene Kritik und denkbare Koalitionen geben, sondern auch Prozesse der Identifikation zwischen Gesellschaft und Regierung. Die äußere Form dieser Identifikationen ist: Vertrauen.

Ich vertraue einer Regierung entweder, weil ich sie für vernünftig und moralisch genug halte, um das beste für mich, meine Nächsten und den Rest der Welt zu versuchen. Oder ich vertraue ihr, weil ihre Vertreter so sprechen, so handeln, so aussehen, wie ich sprechen, handeln und aussehen wollte. Die Regierung, das demokratische System und die Mehrheitsgesellschaft müssen – trotz ihrer ständigen Konflikte untereinander – die gleiche Wirklichkeit miteinander teilen. Eine Regierung braucht nicht nur Legitimation und Macht, sie braucht auch „Autorität“. Nichts schadet der moralischen Autorität einer demokratischen Regierung so sehr wie der Zynismus der Macht.

Eine Regierung realisiert sich also in ihrem Handeln, aber auch in ihrem Ausdruck und in der Besetzung. Das ist vergleichbar einem Film, wo ein schlechtes Drehbuch durch schlechte Dialoge und schlechte Rollen-Besetzungen noch unerträglicher wird, oder wo ein schlechtes Drehbuch durch gute Performance oder elegante Dialoge „gerettet“ werden kann. Sagen wir es so: Unter den gegebenen Umständen, den neuen Kriegen, der neuen Weltordnung, der drohenden Klimakatastrophe, den ökonomischen Krisen und dem neufaschistischen Rumoren in der Gesellschaft, kann ein demokratisches Regierungshandeln gewiss nicht ideal sein.

Die Erzählung wird so oder so nicht aufgehen, das Drehbuch wird nicht bis zu einem Happy End funktionieren. Um so wichtiger wäre also ein guter Dialog und eine ansprechende Besetzung der wichtigen Rollen.

Diese drei Elemente, Handeln, Artikulieren und Repräsentieren, sind zwar nie vollständig harmonisch miteinander verbunden, allerdings gibt es Momente, in denen das eine sich vom anderen so weit entfernt, dass es zu einem inneren Bruch kommen muss. So verkündete Friedrich Merz im Juli 2025 allen Ernstes: „Es ist eine der besten Bundesregierungen, die wir in den letzten Jahrzehnten in Deutschland gehabt haben. Diese Aussage ist auf beiden Ebenen, der Vernunft wie der Moral, höchst problematisch.

Sie wird einerseits durch beinahe jedes Vorhaben dieser Regierung widerlegt, das mit großen Ankündigungen beginnt und in kleinlichem Hin und Her endet, und sie ist in ihrem Eigenlob mindestens degoutant – wenn nicht lächerlich. Sie widerspricht zudem der Regierungsform einer „großen Koalition“ (auch wenn diese rechnerisch so groß nicht mehr ist), denn eine solche erscheint nach dem allgemeinen........

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