Es kommt selten vor, dass die vollen vier Stockwerke der ehemaligen Margarinefabrik in Berlins Kunstepizentrum KW Institute for Contemporary Art einer einzigen Ausstellung gewidmet sind. Aber zum baldigen Ende seiner Amtszeit hat Direktor Krist Gruijthuijsen seinem 'Kurator der digitalen Sphäre' – davon gibt es in Deutschland überhaupt nur zwei – offenbar aufgetragen, etwas Umfassendes zusammenzustellen, über dieses verflixte Internet, dass so langsam aber sicher die sogenannte Wirklichkeit komplett umwölkt, überformt.

Und uns allen ständig sehr angenehm beim Leben hilft und zugleich ausleuchtet und stark überfordert: Diese Technik, die in jedem Winkel unseres Alltags wirkt, immer da ist, von der aber niemand mehr im Ansatz versteht, wie sie eigentlich funktioniert. Dem will man in Berlins Mitte nun auf den Grund gehen.

Die Gruppenausstellung „Poetics of Encryption“ ist das Ergebnis, 40 internationale Künstler*innen hat Digitalkurator Nadim Samman eingeladen, sie zeigen analoge und digitale Arbeiten, die sich um die schwarzen Löcher der virtuellen Realität drehen sollen, und fragen: „Welche Stimmungen, Symbole oder Narrative vermitteln die Ästhetik und Politik der Ausgrenzung, der Abschottung, der Geheimhaltung und der Spekulation über das Innere der Technologie?“

Antje Majewskis Roadmovie mit KI: Der Urahn im Mittleren Westen

10.02.2024

Birgit Minichmayr: „Ideologie und Kunst sollten voneinander getrennt sein“

gestern

Das Innere der Ausstellung ist jedenfalls düster gehalten, die Fenster abgehängt, die Wände schwarz bemalt. Man durchwandelt ein Labyrinth, vom Architekten Jürgen Mayer H. entworfen, in dem man teilweise kaum die Künstlernamen auf den Kärtchen enträtseln kann. Einmal läuft man gar gegen einen riesigen dunklen Steinmonolithen mitten im Raum. Überall flimmern Screens, aus denen Computerstimmen sprechen, in dem körperlosen Stakkato der neuen Zeit. Ja, das Internet hatte einmal utopische Potenziale, heute sind sie abgeschöpft und von bösen Potentaten geraubt. So die Stimmung in den KW.

In der Haupthalle hängt die mächtige 24 Meter lange Infografik „Calculating Empires“ (2023) von Kate Crawford und Vladan Joler, die anhand von Daten und kleinen Geschichten von 1500 bis heute die Verwicklungen zwischen Macht und Technologie nachweist. Man würde sie gerne mit nach Hause nehmen, denn die reine Überwältigung an Informationen und Querverweisen erschlägt einen auch. Wie vieles hier einfach sehr viel ist. Die Ausstellung will die „Machtlosigkeit gegenüber undurchschaubaren Systemen“ zum Ausdruck bringen, denen wir uns in der digitalen Sphäre permanent gegenüber sehen. Inmitten der Werke selbst fühlt man sich des Öfteren auch selbst verloren, vor dem Overload an too much information.

13.02.2024

•vor 7 Std.

gestern

•gestern

15.02.2024

Es gibt Memes, und Werke zu Post-Truth, natürlich Deep Fakes, in denen Museumskuratoren ihre eigene Schuld an der Geschichte kolonialen Sammelns bekunden. Frühe Medienkünstler*innen wie Eva & Franco Mattes und Ubermorgen bis hin zur ganz jungen Generation. Und Berliner Künstler wie Simon Denny und Oliver Laric sowie Jon Rafman, deren künstlerische Sprache man schon so lange mit der Stadt verbindet und die hier vielleicht auch deswegen herausragen. Die drei waren auch schon 2016 bei der Berlin Biennale des Kollektivs Dis dabei, der großen Post-Internet-Gesamtschau, die auch die internationale Krönung dieser neuen Kunstbewegung war und auch hier in den KW stattfand. Während damals noch ein camper Optimismus und eine Lust an den Möglichkeiten zu spüren war, herrscht heute in den KW wirklich Dunkelheit. Aber genau so nehmen viele die Welt gerade ja wahr. Man wird akademisch öfter arg strapaziert, doch wenn man sich auf diese Ausstellung einlässt, geht man um einiges schlauer wieder heraus, als man eingetreten ist.

Bei der Eröffnung am Samstag standen die coolsten Menschen Berlins jedenfalls in einer Schlange bis weit um die Ecke Tucholskystraße, um die Codes des Internets entschlüsselt zu bekommen. Viele tippten dabei auf ihren Handys herum.

Poetics of Encryption. KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69. Bis 26. Mai 2024

QOSHE - Wenn Sie das Internet verstehen wollen, dann besuchen Sie diese Berliner Ausstellung - Timo Feldhaus
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Wenn Sie das Internet verstehen wollen, dann besuchen Sie diese Berliner Ausstellung

19 9
17.02.2024

Es kommt selten vor, dass die vollen vier Stockwerke der ehemaligen Margarinefabrik in Berlins Kunstepizentrum KW Institute for Contemporary Art einer einzigen Ausstellung gewidmet sind. Aber zum baldigen Ende seiner Amtszeit hat Direktor Krist Gruijthuijsen seinem 'Kurator der digitalen Sphäre' – davon gibt es in Deutschland überhaupt nur zwei – offenbar aufgetragen, etwas Umfassendes zusammenzustellen, über dieses verflixte Internet, dass so langsam aber sicher die sogenannte Wirklichkeit komplett umwölkt, überformt.

Und uns allen ständig sehr angenehm beim Leben hilft und zugleich ausleuchtet und stark überfordert: Diese Technik, die in jedem Winkel unseres Alltags wirkt, immer da ist, von der aber niemand mehr im Ansatz versteht, wie sie eigentlich funktioniert. Dem will man in Berlins Mitte nun auf den Grund gehen.

Die Gruppenausstellung „Poetics of Encryption“ ist das Ergebnis, 40 internationale Künstler*innen hat Digitalkurator Nadim Samman eingeladen, sie zeigen analoge und digitale Arbeiten, die sich um die schwarzen........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play