Noch bleibt unklar, ob die jüngste Eskalationsrunde zwischen Israel und Iran mit den Nadelstichen auf Isfahan abgeschlossen ist. Die Gewaltspirale aus Angriff und Gegenschlag zwischen Israel und Iran dürfte vorerst gestoppt sein – darauf deuten das begrenzte Ausmaß des israelischen Angriffs auf den Iran am 19. April und die abwiegelnden Reaktionen Teherans hin. Doch mit dem direkten Angriff des Iran auf Israel sechs Tage zuvor und dem folgenden israelischen Gegenschlag ist der Schattenkrieg zwischen den beiden Regionalrivalen Geschichte.

Im Abschreckungswettstreit zwischen Teheran und Tel Aviv wurde eine neue Phase eingeläutet. Das System der gegenseitigen Abschreckung durch Geheimdienstoperationen und den Einsatz von Stellvertretern in der Region ist an seine Grenzen gestoßen. Da die bisherigen Maßnahmen unterhalb der Schwelle zum offenen Krieg das Gleichgewicht des Schreckens zwischen Iran und Israel nicht mehr gewährleisten, steht die Region vor der nächsten Eskalation. Der Nahe Osten steuert auf die direkte Konfrontation zwischen einem atomaren Schwellenstaat und einer undeklarierten Atommacht zu.

Mit seinem Angriff auf Israel hat Teheran die bisherigen Spielregeln beim Ringen um die regionale Vormachtstellung außer Kraft gesetzt. Am Anfang der jüngsten Konfrontation stand zudem eine Fehlkalkulation der israelischen Regierung. Tel Aviv ging nicht davon aus, dass Iran den Luftangriff auf seine Botschaft in Damaskus – exterritoriales iranisches Gebiet – am 1. April mit einem direkten Angriff auf das Territorium Israels vergelten werde.

Bislang hatte die islamische Republik sich bei der Konfrontation mit Israel auf ihr über die Region gespanntes Netzwerk loyaler Stellvertreter verlassen. Die israelische Armee attackierte im Gegenzug überwiegend Irans Milizen im Ausland, während Tel Aviv in die Attentate auf führende iranische Atomwissenschaftler sowie in die Sabotageaktionen gegen das Atomprogramm innerhalb Irans involviert war; zusammengefasst war es eine Kriegsführung im Verborgenen. Nach dem Luftangriff auf seine Botschaft, bei dem unter anderem zwei iranische Generäle ums Leben kamen, sah sich Teheran aber unter Zugzwang, sein Abschreckungspotenzial durch einen direkten Angriff auf israelisches Territorium wiederherzustellen.

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Der iranische Schlag war darauf ausgelegt, die Eskalation zu begrenzen, aber zugleich die Qualität komplexer Kriegsführung zwischen beiden Gegenspielern in Nahost deutlich zu erhöhen. Teheran hatte im Vorfeld seiner Operation Israel über die Golfstaaten und die USA darüber unterrichtet, wann der Angriff stattfinden würde. Rund 350 Geschosse, darunter 170 Kamikaze-Drohnen, mehr als 30 Marschflugkörper und mindestens 120 ballistische Raketen feuerten die iranische Revolutionsgarde und die mit ihr verbündete Huthi-Bewegung am 13. April auf einen Schlag in Richtung Israel ab.

Etwa 99 Prozent der anfliegenden Geschosse waren nach israelischen Angaben mithilfe der USA und einiger Staaten in der Region abgefangen worden. An der Abwehr iranischer Flugkörper waren nicht nur die USA, Großbritannien und Frankreich beteiligt, sondern auch Jordanien und Saudi-Arabien. Das koordinierte Vorgehen war der erste umfassende Einsatz eines Bündnisses, dessen Aufbau vor zwei Jahren bei einem Gipfeltreffen in der Negev-Wüste verkündet worden war. Israel hatte sich zum Ziel gesetzt, eine Luftverteidigungsallianz – eine Art Mini-Nato – zur Abschreckung des Iran aufzubauen. Öffentlich hatten sich die arabischen Länder allerdings nie dazu bekannt – bis sie sich beim Großangriff Irans durch die Abwehr der iranischen Raketen und Drohnen an dem gemeinsamen Einsatz beteiligten. Die dadurch offengelegte Allianz kann nun die Beziehungen zwischen Iran und den Golfstaaten erneut belasten.

Iran feuerte am 13. April zunächst einen Schwarm Drohnen und Marschflugkörper ab, um die Abwehrsysteme Israels und die groß angelegte Abwehroperation der westlichen Kampfjets – flankiert von nachrichtendienstlicher Hilfe durch die Golfstaaten – zu überlasten. In der Folge sollten ballistische Raketen das Hauptziel des Angriffs, einen Luftstützpunkt in der Negev-Wüste, treffen. Etwa sieben ballistische Raketen schlugen im Bereich der Flugbasis Nevatim ein. Von dieser Basis aus waren Berichten zufolge israelische Jets aufgestiegen, um den vorhergehenden Luftangriff auf die iranische Botschaft auszuführen. Zwei Beamte der USA bestätigten gegenüber CBS News, dass die Iraner die Flugbasis Nevatim ins Visier genommen hätten. Ein von Associated Press veröffentlichtes Satellitenbild zeigt den von einem iranischen Treffer an einer Landebahn verursachten Schaden.

Obwohl der iranische Großangriff nur geringe Zerstörungen anrichtete, konnten einige iranische Raketen drei Abfangschichten der israelischen Luftabwehr sowie die Abwehroperation der Verbündeten Israels überwinden. Iran versuchte beim jüngsten Angriff auf Israel, die russische Taktik in der Ukraine anzuwenden. Drohnen und Raketen wurden in Massen so abgefeuert, dass sie in einem bestimmten Zeitfenster Israel erreichten. Nun drängt sich die Frage auf, was geschehen würde, wenn mehrere Raketenwellen hintereinander auf Israel abgefeuert würden. Moskau hat zwei Jahre gebraucht, um einen Weg zu finden, die ukrainische Flugabwehr zu überlisten. Auch Teheran bräuchte noch zusätzliche Erfahrung, um in Zukunft israelische Ziele effektiv zu zerstören. Insofern hat die Operation geholfen, Stärken und Schwächen der israelischen Luftverteidigung zu erkennen.

Israel führte sechs Tage später als Gegenschlag einen begrenzten Angriff auf den Iran durch. Aus den iranischen Städten Isfahan und Täbris wurden Explosionen gemeldet. Obwohl sich Israel offiziell nicht dazu bekannte, gilt der Angriff als Vergeltung für die iranischen Angriffe. Nach iranischen Angaben konnte die eigene Flugabwehr mehrere Minidrohnen im Luftraum Isfahan und Täbris abfangen.

Eines der Ziele war offenbar die 8. Shekari-Luftwaffenbasis. In der Provinz Isfahan befindet sich die Nuklearanlage Natanz, die laut Experten eine wesentliche Rolle bei der Anreicherung von waffenfähigem Uran spielt. Kurz nach dem Angriff teilte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) mit, es gebe keine Schäden an den iranischen Nuklearanlagen, einschließlich jener in Isfahan.

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Schon in der Vergangenheit hat der israelische Geheimdienst Mossad mutmaßlich kleine Drohnen eingesetzt, um militärische Anlagen in Iran anzugreifen. Solche Attacken wurden im Januar 2023 auf eine Rüstungsfabrik in Isfahan und im Mai 2022 auf den Militärstützpunkt in Parchin nahe Teheran gemeldet. Von der Reichweite her können solche Flugobjekte eigentlich nur aus dem Iran oder aus dem irakischen beziehungsweise aserbaidschanischen Grenzgebiet gesteuert worden sein.

Zugleich machen neue Berichte die Runde, wonach Israel auch mindestens eine ballistische Mittelstreckenrakete vom Typ Sparrow eingesetzt haben soll. Angeblich wurde sie von einem Flugzeug außerhalb des iranischen Luftraums abgefeuert. Laut amerikanischen Medienberichten wurde dabei die Radaranlage eines S-300-Luftabwehrsystems beschädigt, das für die Sicherung der unterirdischen Atomanlage von Natanz eingesetzt wird.

Die neuen Details ändern allerdings wenig an der Deutung, dass es Israel mit der begrenzten Operation darum ging, eine Botschaft zu senden. Der Angriff sollte Iran signalisieren, dass Israel die Möglichkeit hat, innerhalb des Landes zuzuschlagen und iranische Atomanlagen ins Visier zu nehmen.

Der israelische Gegenschlag fiel auch deswegen begrenzt aus, weil der jüdische Staat sich derzeit nach Angriffen von Milizen im Libanon, in Syrien, im Irak und im Jemen, die mit Iran verbündet sind, an mehreren Fronten unter Beschuss sieht. Darüber hinaus rieten die USA Israel mehrfach von einem großen Gegenschlag ab. Washington machte zudem klar, dass die USA sich an einem Schlag gegen Iran nicht beteiligen würden. Israel ist bei einem möglichen totalen Krieg zwischen Teheran und Tel Aviv auf militärische Unterstützung vonseiten der USA angewiesen – vor allem in den Bereichen Luftbetankung und Munition.

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Schlagabtausch in Nahost: Iran und Israel steuern auf direkte Konfrontation zu

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Mit seinem Angriff auf Israel hat Teheran die bisherigen Spielregeln beim Ringen um die regionale Vormachtstellung außer Kraft gesetzt. Am Anfang der jüngsten Konfrontation stand zudem eine Fehlkalkulation der israelischen Regierung. Tel Aviv ging nicht davon aus, dass Iran den Luftangriff auf seine Botschaft in Damaskus – exterritoriales iranisches Gebiet – am 1. April mit einem direkten Angriff auf das Territorium Israels vergelten werde.

Bislang hatte die islamische Republik sich bei der Konfrontation mit Israel auf ihr über die Region gespanntes Netzwerk loyaler Stellvertreter verlassen. Die israelische Armee attackierte im Gegenzug überwiegend Irans Milizen im Ausland, während Tel Aviv in die Attentate auf führende iranische Atomwissenschaftler sowie in die Sabotageaktionen gegen das Atomprogramm innerhalb Irans involviert war; zusammengefasst war es eine Kriegsführung im Verborgenen. Nach dem Luftangriff auf seine Botschaft, bei dem unter........

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