Wir lernen Nora Rischer kennen, während sie auf einem gynäkologischen Behandlungsstuhl sitzt und eine künstliche Befruchtung durchführen lässt. Sie und ihre Frau möchten nämlich ein Baby. Der Eingriff dauert etwas länger, und so schaut Rischer auf ihr Handy, gerade ist eine Mail des „Referats gegen Rassismus des Asta“ ihrer Universität eingetroffen. Neugierig öffnet sie die Nachricht, liest sie mit „klammheimlicher Vorfreude am Skandal“, dann mit anschwellender Panik, denn sie kann sich in der geschilderten Seminarsituation wiedererkennen. Da waren doch neulich diese drei Studierenden „aus der Volksrepublik China“ (wie Rischer es ganz korrekt formuliert), denen sie sagte, sie sollten einen Deutschkurs belegen, weil niemand ihren Vortrag verstand. Offenbar beschwerten sie sich hinterher.

Ein Alptraum! Besonders für Rischer, die ihr Leben lang versuchte, alles richtigzumachen. Wie kommt sie, eine 44-jährige Lesbe und Linguistin in diese Situation? Um diese und ein paar andere Fragen geht es in „Die Rassistin“ auf etwa 220 Seiten. Die Hauptfigur verbringt etwa 80 davon auf dem Behandlungsstuhl, insgesamt 100 in der Arztpraxis und den Rest auf dem Weg zur Uni, wo eine eilig einberufene Institutsratssitzung klären soll, was es mit dem anonym gehaltenen „Vorfall, Geschehnis, Ereignis“ (wie nennt man so etwas, ohne einen Fehler einzuräumen?) auf sich hat. Einerseits passiert also nicht viel, andererseits lesen wir, wie die Professorin besagte Seminarsitzung in allen Einzelheiten reflektiert, über ihr Institut und ihr Kollegium nachdenkt, jede Unsicherheit und Peinlichkeit ihres Lebens im Zusammenhang mit dem Thema Diskriminierung Revue passieren lässt.

Da wäre zum Beispiel dieser Möbelhaus-Besuch, wo sie es nicht fertigbrachte, der Verkäuferin der Bettenabteilung mitzuteilen, dass sie und ihre Frau ein Paar sind. Oder wie sie mitlachte, als ihrer Schulfreundin Elif von der Lehrerin „13 Brüder“ (haha!) unterstellt wurden. Nora Rischer liebt Harmonie, kittet reflexhaft Dissonanzen, scheut Konflikte, bleibt wie die allermeisten Menschen gern im Rahmen des Erwarteten, Üblichen, Unauffälligen, was nicht immer das Richtige ist. Das weiß sie sehr wohl. Alltagsgespräche sind ja ihr Forschungsgebiet, und so erklärt sie rückblickend ganz genau und in vielen Fachtermini, was sie wann sagte und warum oder auch nicht. Auf ihren analytischen Verstand ist Verlass, zumindest wenn er sich im festen Rahmen akademischer Regeln bewegt. Regeln findet sie gut, auch wenn sie bei ihrer Doktorarbeit ein bisschen schummelte, aber das ist eine andere Geschichte.

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Zurück zum Vorfall, Geschehnis, Ereignis: Rischer, die sich korrekt als weiße cis-Frau definiert, erinnert sich, dass ein Seminarteilnehmer den Vortrag der chinesischen Mitstudierenden verspottete (sie hinderte ihn nicht daran) und danach wegen seiner eigenen lupenreinen Grammatik bessere Noten forderte. Der Leiter des Germanistik-Instituts rät, in solchen Fällen nachzugeben, während er als bequemer Mensch und erklärter Freund sprachlicher Vielfalt eigentlich (natürlich unter der Hand) Einheitsnoten empfiehlt. Er richtete den „famosen“ (wie er findet) Studiengang „Performanz, Diversität, (De-)konstruktion“ ein, der für einen „hohen Anteil internationaler Studierender“ sorgt. Unterrichtet wird auf Deutsch, man ist ja in der Germanistik.

Rischer laviert sich mit differenz-sensiblen Phrasen durch das damit verbundene Sprachproblem, bis sie an jenem Tag, vom Rückenwind der genervten Seminarstimmung getrieben, die mangelnde Verständlichkeit doch sehr deutlich anspricht. Oh weh! Denn da wäre ja noch das Antirassismusreferat des Asta, das mit dem Spracherwerb verbundene Ambivalenzen als Bereicherung betrachtet, aber selbst doch lieber unmissverständlich – Rassismus! – kommuniziert. Und davor haben alle Uni-Verantwortlichen Angst, egal, ob sie in Sachen zwischenmenschlichem Respekt ernsthaft bemüht, strategisch, bequem, unsicher, zynisch oder einfach gleichgültig sind, was der Roman alles mit viel Sinn fürs peinliche Detail vorführt.

Die Angst vor dem Rassismus-Vorwurf parodiert er schon im Vorwort, wo es heißt, ein schwuler Freund der Autorin habe das Buch geschrieben. Scheerer selbst (übrigens nicht nur Schriftstellerin, sondern Uni-erfahrene Linguistin) meint, sie habe nur ein Exposé eingereicht, bekam dann aber „den Stoff und die Figur nicht in den Griff; hatte wohl auch zu viele Skrupel“. Im gesamten Roman reden die vorbildlich woken Stimmen im Kopf der Hauptfigur dazwischen, dazu Studierende und noch ein paar andere (z.B. der Proktologe des Erzählers). Alle mischen sich ein, trumpfen auf oder geben sich betont abgeklärt. Das ist ein großer Spaß, zumal auch Nora Rischer mal eifrig, mal gekränkt, das Wort ergreift, ihre Sicht unterstreicht oder einen ihr unangenehmen Erzählstrang abzuwürgen versucht. Der Lektorin, die sich hin und wieder einschaltet, ist das alles öfter zu heikel.

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Wie gut das Buch tatsächlich funktioniert, kommt wie so oft im Leben auf die Perspektive an. Wer je Probleme mit Akzent und Grammatik hatte, wird es anders lesen als Personen, die in ihrer Erstsprache promovierten. Und wer je auf einem gynäkologischen Behandlungsstuhl saß, wird irgendwann überlegen, was die Hauptfigur da eigentlich soll – es ist ja kein angenehmer Ort, da kann der Proktologe des Autors noch so hemdsärmelig dazwischenreden. Ist es nicht recht garstiger Humor, sie über sehr viele Seiten mit gespreizten, „nackten, blass-blauen“ Beinen daliegen und mit den Zehen wackeln zu lassen, während wir lesen, wie ihr Selbstbewusstsein den Bach runtergeht? Ist es überhaupt Humor?

Was ist der Unterschied zwischen berechtigter Kritik und Lächerlichmachen? Zwischen Provokationsfreude und leiser Verachtung? Zwischen einem schlechten Witz und einem guten? Worüber schmunzeln wir, wenn wir es denn tun? Solche interessanten Fragen stellt dieser unerschrockene Roman in den Raum, während wir uns über Nora Rischers missliche Lage und ihr Ringen um politische Korrektheit amüsieren. Sie in guter alter sexistischer Tradition so entblößt zu exponieren, ist (beabsichtigt oder nicht, die Rezensentin tippt auf ersteres) eine clevere narrative Volte: Sie schließt die Lesenden und ihre höchstpersönliche Reaktion in die lustig und vielstimmig präsentierte, dabei eben auch ernste Erkundung des Umgangs mit Herabsetzungen ein.

Jana Scheerer: Die Rassistin. Roman Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2024, 220 Seiten, 22 Euro

QOSHE - Der Roman „Die Rassistin“ von Jana Scheerer: Wenn ein falsches Wort genügt - Sabine Rohlf
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Der Roman „Die Rassistin“ von Jana Scheerer: Wenn ein falsches Wort genügt

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04.02.2024

Wir lernen Nora Rischer kennen, während sie auf einem gynäkologischen Behandlungsstuhl sitzt und eine künstliche Befruchtung durchführen lässt. Sie und ihre Frau möchten nämlich ein Baby. Der Eingriff dauert etwas länger, und so schaut Rischer auf ihr Handy, gerade ist eine Mail des „Referats gegen Rassismus des Asta“ ihrer Universität eingetroffen. Neugierig öffnet sie die Nachricht, liest sie mit „klammheimlicher Vorfreude am Skandal“, dann mit anschwellender Panik, denn sie kann sich in der geschilderten Seminarsituation wiedererkennen. Da waren doch neulich diese drei Studierenden „aus der Volksrepublik China“ (wie Rischer es ganz korrekt formuliert), denen sie sagte, sie sollten einen Deutschkurs belegen, weil niemand ihren Vortrag verstand. Offenbar beschwerten sie sich hinterher.

Ein Alptraum! Besonders für Rischer, die ihr Leben lang versuchte, alles richtigzumachen. Wie kommt sie, eine 44-jährige Lesbe und Linguistin in diese Situation? Um diese und ein paar andere Fragen geht es in „Die Rassistin“ auf etwa 220 Seiten. Die Hauptfigur verbringt etwa 80 davon auf dem Behandlungsstuhl, insgesamt 100 in der Arztpraxis und den Rest auf dem Weg zur Uni, wo eine eilig einberufene Institutsratssitzung klären soll, was es mit dem anonym gehaltenen „Vorfall, Geschehnis, Ereignis“ (wie nennt man so etwas, ohne einen Fehler einzuräumen?) auf sich hat. Einerseits passiert also nicht viel, andererseits lesen wir, wie die Professorin besagte Seminarsitzung in allen Einzelheiten reflektiert, über ihr Institut und ihr Kollegium nachdenkt, jede Unsicherheit und Peinlichkeit ihres Lebens im Zusammenhang mit dem Thema Diskriminierung Revue passieren lässt.

Da wäre zum Beispiel dieser........

© Berliner Zeitung


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