Georg Friedrich Händels zweites mythologisches Oratorium „Hercules“ – er und die vorangegangene „Semele“ werden zuweilen als erste echte englischsprachige Opern betrachtet – verwickelt den größten Helden der Antike in eine Zimmerschlacht. Nach einem letzten großen Kampf gegen den Herausforderer König Eurytos von Oichalia kehrt er mit dessen Tochter Iole als Kriegsgefangener nach Hause zurück und will sich zur Ruhe setzen.

Seine Frau Dejanira glaubt jedoch, dass er sich hinfort mit Iole vergnügen will. Sie macht ihn als Pantoffelheld herunter, er spielt sich mit vergangenen Heldentaten auf – beides pures Beziehungsgift. Um seine Liebe zurückzugewinnen, lässt Dejanira Hercules ein Hemd überreichen, das mit dem Blut des Kentauren Nessos getränkt ist, den Hercules einst erschlagen hat. Nessos hatte Dejanira gesagt, durch das Blut würde Hercules sich nie in eine andere Frau verlieben. Tatsächlich aber verbrennt es den Helden bei lebendigem Leibe.

An der Komischen Oper wurde „Hercules“ am Sonntag in der Regie von Barrie Kosky erstmals gezeigt, vorgestellt wurde die Produktion bereits im letzten Jahr in Frankfurt am Main. Kosky versteht sein Publikum zu unterhalten. Fragt man nach dem, was in dieser Inszenierung über das schlüssige und erzählerisch souveräne Arrangement der Figuren hinausgeht, wird es allerdings dünn.

Der von Katrin Lea Tag entworfene Bühnenraum trifft keine Entscheidungen, er ist von hellen Holzwänden umgrenzt und leer. Im ersten Teil gibt es ein Sofa mit darauf sitzender Hercules-Statue, im zweiten Teil steht die Statue, das Sofa ist weg. In diesem kargen Setting wird der Chor zu einem wichtigen szenischen Element. Aber ob man in ihm wirklich „die Stadt“ oder die „Gesellschaft“ erkennen mag, wie Kosky es sich vorstellte, ist schon aufgrund seiner gauklerhaften Kostümierung fragwürdig.

02.03.2024

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In dem Chor „Jealousy, infernal pest“ – wunderbar zischelnd und bedrohlich einstudiert von David Cavelius – verwandelt er sich in ein zigköpfiges Ungeheuer; aber ist diese Versinnbildlichung der Eifersucht als höllische Pest nicht vielmehr eine philosophisch-stoische als eine gesellschaftliche Auffassung?

Die Hercules-Statue behauptet die Wichtigkeit einer Figur, die leibhaftig und singend nur dreimal in Erscheinung tritt. Aber szenisch spielt sie kaum eine Rolle, sie wird kaum angespielt, sie verändert sich auch nicht, sie gerät nicht einmal ins Zwielicht. Das macht sie im Wortsinne oberflächlich.

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Tatsächlich begibt sich Kosky durch die unentschlossene Konzeptualisierung der Möglichkeit, die große expressive Vielfalt der Partitur szenisch zu entfalten. Wenn sich Hercules von Dejanira seiner Heldentaten rühmt, dann erklingen die heroischen Dreiklangsmotive in den Oboen und wirken wie Spielzeug – dazu dann aber Brandon Cedel doch relativ prächtig einherschreiten zu sehen und mit Donnerstimme seine Koloraturen abrollen zu hören, macht den Instrumentationswitz szenisch zunichte. Und hätte Kosky nicht eine begnadet extrovertierte Paula Murrihy in der Hauptrolle der innerlich kämpfenden Dejanira, wäre die Aufführung enorm langweilig. Murrihy verfügt über die nötige Geläufigkeit, aber auch über erhebliche stimmliche Farbintensität, um dem enormen Ausdrucksradius von Trauer über Spott bis Raserei glänzend gerecht zu werden.

Der Schluss des Werks zieht sich dann erheblich. Man muss im dritten Akt als Regisseur doch ein bisschen etwas erklären: Zum Beispiel warum Susan Zarrabi als Hercules’ Schwester Lichas eindringlich vom Leiden des Hercules erzählt, der Chor sein Ende beklagt und der Held dann doch noch einmal im Todeskampf auftritt. Man muss auch erklären, was eigentlich in Iole vorgeht, die als vielleicht letzte Überlebende ihres Volks die ganze Familie Hercules hasst, aber nach deren Zusammenbruch in einer wunderbaren Arie plötzlich Mitleid empfindet und auf Geheiß eines Priesters sogar noch Hercules’ Sohn Hyllus heiratet, den sie zuvor nur ausgelacht hat.

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Zum Schlussduett fällt Kosky so wenig ein, dass man darauf und auf das begleitende verlegene Gefummel gern verzichtet hätte. Penny Sofroniadu singt das charmant und virtuos, aber sie wird von Kosky ab dem zweiten Akt so weitgehend aufs Burschikose festgelegt, dass ihr innerer Umschwung unverständlich wird und ungeduldig macht. Caspar Singh muss erwähnt werden als trauriger Sohn zwischen den Stühlen. Die großen lyrischen Qualitäten seines Singens machen deutlich, dass hier zwar kein Held heranwächst, der seinem Vater auch nur entfernt ähnelt – aber vielleicht ein Dichter, der à la Buddenbrooks das Ende der Familie einläutet.

Das Familiäre auch szenisch zu akzentuieren – man möchte nicht annehmen, dass Kosky darauf verzichtet hat, weil er das halbgöttliche Personal nicht auf Bürgerformat verkleinern wollte. Er verzichtet damit auf Anknüpfungspunkte täglicher Erfahrung, die das Stück bunter gemacht hätten.

David Bates muss am Pult des Orchesters der Komischen Oper gegen die flache Akustik des Schiller-Theaters kämpfen, die alle Intonationsungenauigkeiten gnadenlos aufdeckt. Aber Bates unternimmt in Sachen Buntheit einiges, indem er mit Glück das je Charakteristische in Händels Arien-Ritornellen herausarbeitet und keine Scheu vor langsamen Tempi hat – die Schönheiten des Werks finden sich in guten Händen.

Hercules. 10., 17., 19., 23., 29. März, 5. April in der Komischen Oper im Schiller-Theater, Karten und Informationen unter Tel.: 47 99 74 00 oder www.komische-oper-berlin.de

QOSHE - Halbgötter im Bürgerformat: Barrie Kosky zeigt Händels „Hercules“ in der Komischen Oper - Peter Uehling
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Halbgötter im Bürgerformat: Barrie Kosky zeigt Händels „Hercules“ in der Komischen Oper

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04.03.2024

Georg Friedrich Händels zweites mythologisches Oratorium „Hercules“ – er und die vorangegangene „Semele“ werden zuweilen als erste echte englischsprachige Opern betrachtet – verwickelt den größten Helden der Antike in eine Zimmerschlacht. Nach einem letzten großen Kampf gegen den Herausforderer König Eurytos von Oichalia kehrt er mit dessen Tochter Iole als Kriegsgefangener nach Hause zurück und will sich zur Ruhe setzen.

Seine Frau Dejanira glaubt jedoch, dass er sich hinfort mit Iole vergnügen will. Sie macht ihn als Pantoffelheld herunter, er spielt sich mit vergangenen Heldentaten auf – beides pures Beziehungsgift. Um seine Liebe zurückzugewinnen, lässt Dejanira Hercules ein Hemd überreichen, das mit dem Blut des Kentauren Nessos getränkt ist, den Hercules einst erschlagen hat. Nessos hatte Dejanira gesagt, durch das Blut würde Hercules sich nie in eine andere Frau verlieben. Tatsächlich aber verbrennt es den Helden bei lebendigem Leibe.

An der Komischen Oper wurde „Hercules“ am Sonntag in der Regie von Barrie Kosky erstmals gezeigt, vorgestellt wurde die Produktion bereits im letzten Jahr in Frankfurt am Main. Kosky versteht sein Publikum zu unterhalten. Fragt man nach dem, was in dieser Inszenierung über das schlüssige und erzählerisch souveräne Arrangement der Figuren hinausgeht, wird es allerdings dünn.

Der von Katrin Lea Tag entworfene Bühnenraum trifft keine Entscheidungen, er ist von hellen Holzwänden umgrenzt........

© Berliner Zeitung


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