Fanny und Felix: Zusammen in Klavier und Komposition ausgebildet, lebenslang höchst schöpferisch und kurz hintereinander im gleichen Jahr gestorben. Die Mendelssohn-Geschwister hätten ein männlich-weibliches Kompositions-Ingenium bilden können, hätte nicht die bürgerliche Sitte von der ebenbürtig begabten Fanny verlangt, sich auf die Rolle als Haus-, Ehefrau und Mutter zu verlegen. Ihr Bruder drängte sie entschiedener in diese Rolle als ihr Gatte, der Maler und Dichter Wilhelm Hensel. Fürchtete er die Konkurrenz?

Der Rias-Kammerchor hat Fanny und Felix am Donnerstag im Kammermusiksaal eine wunderbare Hommage bereitet, mit drei Psalmen und einem „Ave Maria“ von Felix und der „Hiob“-Kantate von Fanny – Werke, deren gestalterisches Ethos und handwerklicher Zugriff sehr ähnlich ist, obwohl sich der Wirkungskreis der beiden deutlich unterschied: Während Felix europäische Karriere machte, veranstaltete Fanny Konzerte in ihrem Haus. Aber hier wie dort adressiert diese Musik den musischen Bürger und einen Glauben, der sich Richtung Bildung und Gemüt verzweigt.

Nirgends ist wie noch bei Bach von der Sündhaftigkeit des Menschen die Rede, der Blick ins Innere ist ohne Last. Derartige Innigkeit überschreitet souverän konfessionelle Grenzen: Im „Ave Maria“, mit leuchtender Demut gesungen von Benjamin Bruns, lauscht Felix dem katholischen Text eine Gefühlswahrheit ab, die ihn auch für Protestanten anschlussfähig macht.

Die Vorliebe der getauften Geschwister gehört allerdings dem Alten Testament. Felix entdeckt in „Hör mein Bitten“ eine Harmonik, die an Wagners chromatisches Gleiten grenzt und in die Anna Prohaska mit bezwingendem piano ihre Einsamkeit hineinsingt. Ein wenig barocker in der Rhetorik fragt Fanny in der „Hiob“-Kantate „was ist ein Mensch?“

13.03.2024

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13.03.2024

13.03.2024

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In beider Musik verbindet sich die Originalität der Vertonung mit einer unbedingten Verbindlichkeit des Ausdrucks. Die Intervalle mögen bei Fanny unberechenbar gezackt sein – aber sie sprengen nie den Rahmen des Gesprächs mit dem Hörer. Großartig das Arioso „Warum verbirgst du dein Antlitz?“, eindringlich aufgeteilt zwischen der expressiv klagenden Julienne Mbodje und den von Prohaska, Bruns und Ludwig Mittelhammer gesungenen Tonmalereien des „fliegenden Blattes“, mit dem das Leben des Menschen verglichen wird.

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Gegen Ende ihrer Stücke trumpfen Fanny und Felix vielleicht etwas zu festlich auf – aber in der direkten, immer textverständlichen Klanggebung des Rias-Kammerchors und den klaren Farbkonturen der Kammerakademie wird daraus nie eine leere Pracht. Justin Doyle am Pult bringt diese Musik, bevor sie massiv und unglaubwürdig wird, in schwingende, unprätentiös artikulierte Bewegung. Dabei entstehen Bilder – vom Auszug Israels aus Ägypten bis zu den fliegenden Tauben –, die man nicht vergisst.

QOSHE - Der Rias-Kammerchor singt Fanny und Felix Mendelssohn: Dabei entstehen Bilder, die man nicht vergisst - Peter Uehling
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Der Rias-Kammerchor singt Fanny und Felix Mendelssohn: Dabei entstehen Bilder, die man nicht vergisst

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15.03.2024

Fanny und Felix: Zusammen in Klavier und Komposition ausgebildet, lebenslang höchst schöpferisch und kurz hintereinander im gleichen Jahr gestorben. Die Mendelssohn-Geschwister hätten ein männlich-weibliches Kompositions-Ingenium bilden können, hätte nicht die bürgerliche Sitte von der ebenbürtig begabten Fanny verlangt, sich auf die Rolle als Haus-, Ehefrau und Mutter zu verlegen. Ihr Bruder drängte sie entschiedener in diese Rolle als ihr Gatte, der Maler und Dichter Wilhelm Hensel. Fürchtete er die Konkurrenz?

Der Rias-Kammerchor hat Fanny und Felix am Donnerstag im Kammermusiksaal eine wunderbare Hommage bereitet, mit drei Psalmen und einem „Ave Maria“ von Felix und der „Hiob“-Kantate von Fanny – Werke, deren gestalterisches Ethos und handwerklicher........

© Berliner Zeitung


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