Heute fuhr ich mit der S-Bahn vollkommen störungsfrei zum Zoo. Es wurde einer dieser Tage, an denen die Menschen entspannt und empfangsbereit sind. An solchen Tagen wird sogar in den Bussen und Bahnen gelächelt. Ob es am nahenden Weihnachtsfest oder der Tagesdosis von Antidepressiva liegt, kann ich nicht beurteilen. Aber auch das nasskalte Wetter schien die Menschen nicht zu stören. Vielleicht auch, weil es dadurch nicht so voll wie sonst war vor dem Fest am Kudamm.

So erledigte ich zuerst meinen Arztbesuch. Da bei der Ankunft dort meine Brille voller Regentropfen und beschlagen war, bot mir eine Patientin sofort von sich aus ein Tempo an. Damit wusste ich, dass es ein guter Tag werden würde. Liebevolle Achtsamkeit rundherum. Der Plausch mit der Assistentin war entsprechend herzlich. Die Ärztin sowieso.

Auch die Wachleute der Polizei vor dem russischen Feinkostgeschäft gingen bereitwillig aus dem Bild, damit ich es fotografieren konnte. Wegen des Krieges wird es bewacht! Daneben steht die Baustelle von Signa still und sieht aus wie ein zerbombtes Gerippe. Stimmt wohl auch dieses Bild.

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gestern

21.12.2023

21.12.2023

•gestern

Auf dem Tauentzien haben die meisten Weihnachtsstände noch geschlossen. Nur mit dem Verkäufer des Glühweins habe ich einen kurzen, zufälligen Blickkontakt. Wir lächeln uns wissend an. Vielleicht weil wir die Einzigen sind, die sich noch (an-)sehen, auf Kundschaft warten und nicht nur noch auf irgendeinen Bildschirm schauen, im Rennen um die richtigen Geschenke. Ich kenne dieses aktive Beobachten aus meiner Wartezeit auf der Rikscha vor dem KaDeWe. Eine herrliche Zeitverschwendung. Aber: „Wer reich an Zeit sein will, muss sie verschenken oder verschwenden“ (Hartmut Rosa, Soziologe).

Ich laufe also durch den leisen Nieselregen und spüre die erfrischende Feuchtigkeit auf meinem Gesicht. Keine Feuchtigkeitscreme notwendig heute. Auch kein Konsum von irgendwas Unnützem oder irgendeinem schnellen Fraß im Stehen. Nur laufen und atmen ohne die herkömmliche Hektik. Ein kleiner Segen mitten in Berlin. Niemand stört diese Stille. Keine Musik und kein lauter Verkehr, denn die Passauerstraße ist genau wie die Rankestraße am Kudamm für den Autoverkehr gesperrt. Wunderbar. Es liegt so etwas wie Frieden in der Luft.

Drinnen im Galeria Kaufhof – dem ehemaligen Wertheim – herrscht dann tatsächlich die gepflegte Atmosphäre, die ich von früher kenne und heute mehr denn je zu schätzen weiß. Durch den Rückgang des Massenkundschaftsgedränges ist hier – zumindest heute – ein entspanntes Einkaufen möglich geworden. Als ich nach längerer Suche eine Verkäuferin finde, um nach dem Standort des Geldautomaten zu fragen, erklärt sie mir mit äußerster Freundlichkeit und einem Millionenlächeln den Weg dorthin.

Woke Weihnacht in Berlin oder bleibt es ein Fest der alten weißen Männer?

•gestern

Warum die Suche nach Geschenken eine so schwierige Sache ist

23.12.2022

Mir wird klar, dass ich und wahrscheinlich noch andere Menschen genau dies bald sehr vermissen werden. Das Einkaufen mit menschlichem Kontakt, einer Fachberatung und manchmal einem kleinen Gespräch. Als ich dies leise, fast unhörbar, zu einem mir entgegenkommenden Verkäufer sage, bestätigt er meinen Satz mit dem passenden Kommentar eines voraussichtlich bald arbeitslosen Mannes. Frohe Weihnachten!

Nun noch schnell unter der Passage des Kranzlercarrés hindurch, vorbei am geschlossenen Karstadt Sport (Bilka). Der Verlockung, billige, durch Kinderarbeit fabrizierte Klamotten gegenüber zu besichtigen oder gar zu kaufen, erliege ich nie. Nur noch kurz zu Ulrich. Vorher erzählt mir aber noch der Besitzer des Dönerladens, dass sein Fleischbrocken gestern noch 200 Kilogramm gewogen hatte. Auch er ist gut gelaunt und lässt sich bereitwillig fotografieren.

Bei Ulrich schließlich ist man heute bestens gelaunt, da nicht so voll. Regenwetter! Als ich nach etwas frage, bekomme ich ungewöhnlicherweise eine superfreundliche Auskunft, obwohl der Mitarbeiter auf den Knien liegt, um das untere Regal zu befüllen. Als er mich später wiedersieht, empfiehlt er mir lachend und ungefragt ein Alternativprodukt in Gang 13. Sogar an der Kasse wird nicht gedrängelt oder gehetzt. Und ich werde nett und ausführlich mit guten Wünschen für ein gesundes Fest verabschiedet.

Nur beim Einsteigen in die S-Bahn bricht sich eine Frau sehr dreist den Weg in den Wagen, ohne die aussteigenden Fahrgäste vorzulassen. Aber damit kann ich heute leben, ohne mich zu ärgern, denn es weihnachtet sehr in Berlin. Genau wie bei mir.

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QOSHE - Weihnachtsstimmung auf Berliner Straßen: Tauentzien im Nieselregen - Michael Hellebrand
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Weihnachtsstimmung auf Berliner Straßen: Tauentzien im Nieselregen

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23.12.2023

Heute fuhr ich mit der S-Bahn vollkommen störungsfrei zum Zoo. Es wurde einer dieser Tage, an denen die Menschen entspannt und empfangsbereit sind. An solchen Tagen wird sogar in den Bussen und Bahnen gelächelt. Ob es am nahenden Weihnachtsfest oder der Tagesdosis von Antidepressiva liegt, kann ich nicht beurteilen. Aber auch das nasskalte Wetter schien die Menschen nicht zu stören. Vielleicht auch, weil es dadurch nicht so voll wie sonst war vor dem Fest am Kudamm.

So erledigte ich zuerst meinen Arztbesuch. Da bei der Ankunft dort meine Brille voller Regentropfen und beschlagen war, bot mir eine Patientin sofort von sich aus ein Tempo an. Damit wusste ich, dass es ein guter Tag werden würde. Liebevolle Achtsamkeit rundherum. Der Plausch mit der Assistentin war entsprechend herzlich. Die Ärztin sowieso.

Auch die Wachleute der Polizei vor dem russischen Feinkostgeschäft gingen bereitwillig aus dem Bild, damit ich es fotografieren konnte. Wegen des Krieges wird es bewacht! Daneben steht die Baustelle von Signa still und sieht aus wie ein zerbombtes Gerippe. Stimmt wohl auch dieses Bild.

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