Hendrick Streeck über Corona-Aufarbeitung: „Einen Bürgerrat halte ich für vollkommen falsch“
Zweimal hatte Hendrik Streeck den lange geplanten Interviewtermin verschoben. Zur Aufarbeitung der Corona-Politik war der Virologe spätestens nach der Veröffentlichung seines Buches „Nachbeben: Die Pandemie, ihre Folgen und was wir daraus lernen können“ ständig auf Sendung – in dem Gespräch aber sollte es auch um andere Themen der Gesundheitspolitik gehen. Schließlich bereitet sich der Wissenschaftler auf eine Karriere im Bundestag vor, will für die CDU in Bonn ein Direktmandat holen. Zunächst erbat sich Streeck mehr Zeit, um sich tiefer in die politischen Themen einarbeiten zu können. Dann machte das Ende der Ampelkoalition alle Zeitplanungen zunichte. Streeck und seine Unterstützer hatten den plötzlich beginnenden Wahlkampf zu organisieren.
Inzwischen sind Flyer und Wahlplakate vorbereitet, berichtet der 47-Jährige, als es am vergangenen Mittwoch schließlich zum Gespräch kommt. Streeck ist leicht erkältet, beschwichtigt aber gleich. Es seien nur Rhinoviren, ein gewöhnlicher Schnupfen also. Für den Wahlkampf fühlt sich Streeck offenbar gerüstet. Die Berliner Zeitung sprach mit ihm über seine politischen Ziele.
Corona-Maßnahmen als Erziehungsprogramm? Lauterbach und die Absenkung der Risikostufe
29.11.2024
Herr Streeck, die Weihnachtszeit steht bevor, beginnen wir versöhnlich: Was ist das Beste, das Sie über den amtierenden Gesundheitsminister Karl Lauterbach sagen können?
(überlegt) Ganz unabhängig von Weihnachten: Karl Lauterbach hatte oft gute Ansätze, ob mit der Krankenhausreform oder der Notfallreform. Es hapert jedoch eklatant an der Umsetzung. So etwas erreicht man nämlich nicht am Schreibtisch, sondern nur in einem Team, in das alle Partikularinteressen mit einbezogen sind.
Nun sind Sie sehr schnell auf Kritik umgeschwenkt. Gibt es nichts, das Sie als Errungenschaft in Lauterbachs Amtszeit anerkennen?
Sind wir jetzt immer noch bei Weihnachten? (lacht) Lauterbach hat vieles angestoßen, aber wenig durchgesetzt. Um im Ärztlichen zu bleiben: Eine richtige Diagnose ist wichtig, aber ist leider noch keine wirksame Therapie. Er hat rund 15 Gesetze angestoßen – rechnen sie mal nach, wie viele davon die Ziellinie erreicht haben.
Ihre Partei, die CDU, hat bereits angekündigt, im Falle einer Regierungsübernahme einige Ampel-Gesetze wieder zu kassieren. Welche Reformen aus dem Gesundheitsbereich sollten dazugehören?
Es ist schwer im Gesundheitsbereich, etwas zu 100 Prozent zurückzudrehen und auch nicht unbedingt nötig. Bei der Krankenhausreform gab es teilweise nur Zustimmung, weil die Alternative noch schlechter gewesen wäre. Das darf nicht das Ziel sein, daher sollten wir daran schon zügig einiges verändern – ebenso bei der Cannabis-Legalisierung. Es ist im Grundsatz richtig, den Zugang zu Cannabis zu erleichtern. Zugleich müssen wir aber aufpassen, dass wir die Warnungen und Mahnungen von Ärzten und Experten ernst nehmen. Gesundheitspolitik ist für die Menschen zurecht hoch emotional, es geht am Ende um unsere körperliche Unversehrtheit. An dieser Stelle von „Kassieren“ zu sprechen, wird der Verantwortung in Zeiten großer Verunsicherung nicht gerecht. Aber zu tun gibt es viel!
Ärztekammer fordert: Nächste Bundesregierung muss Cannabis-Legalisierung aufheben
01.12.2024
Die EU diskutiert gerade ein Rauchverbot im Freien, Großbritannien bereitet eine strengere Tabakregulierung vor. Die Altersgrenze für Zigaretten soll dort jedes Jahr steigen, so dass künftige Generationen ein Leben lang keine Zigaretten mehr kaufen dürften. Auch bei E-Zigaretten sind Verbote in der Debatte. Wie stehen Sie dazu?
Als Arzt sage ich: Niemand sollte rauchen. Als Politiker sage ich: Das sind große Debatten, die man angehen kann, wenn es keine wichtigeren Probleme gibt. Sonst entwickeln sich Scheindebatten wie bei der Cannabis-Legalisierung, die von den echten Baustellen ablenken.
Nun: Manche Krankenkassen und Ärzte bewerten E-Zigaretten bei Kindern inzwischen als Einstiegsmittel Nummer eins in die Nikotinsucht – und das Rauchen ist immer noch für mehr Todesfälle verantwortlich als jeder andere Risikofaktor…
Natürlich ist Rauchen schädlich, das wissen wir alle, und es verursacht auch für das Gesundheitssystem hohe Kosten. Das ist aber aktuell nicht unser akutes Problem: Unser Gesundheitswesen kollabiert gerade! Die Menschen haben gerade doch nicht Angst davor, dass ihre Kinder zu früh mit dem Rauchen anfangen. Sie haben Angst, dass ihre Gesundheit zum Produkt wird, Kliniken wegrationalisiert werden und sie keine Behandlung mehr bekommen, Antibiotika nicht mehr zur Verfügung stehen, Ärzte und Pfleger zu wenig Zeit für sie haben und Deutschland in der Forschung den Anschluss an die Spitze verliert. Das sind die großen Themen, nicht der Zugang zu Zigaretten oder Marihuana.
Die Krankenhausreform setzt genau da an. Mit ihr will Lauterbach die Versorgung durch eine kleinere Zahl stärker spezialisierter Kliniken sichern. Würden Sie........© Berliner Zeitung
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