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Christian Drosten, Corona und der Hass: „Man hätte wohl die Schulen nicht schließen müssen“

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27.06.2024

Lange hat man darauf gewartet, dass sich eine der prägenden Figuren der Corona-Pandemie zu Wort meldet. Immerhin wird seit Monaten gefordert, die Erfahrungen und Fehler der Pandemie aufzuarbeiten, und der Berliner Virologe Christian Drosten spielte in ihr eine bedeutende Rolle.

Nun hat der Charité-Professor – Volksheld der einen, Reizfigur der anderen – eine Retrospektive der Corona-Krise vorgelegt, angelegt als Gespräch mit dem früheren Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo. „Alles überstanden?“, heißt das Buch, das an diesem 27. Juni im Ullstein-Verlag erscheint.

Ein wichtiges Thema sind darin die Schulschließungen in den Jahren 2020 und 2021, denn die Folgen des sogenannten Lockdowns für Kinder und Jugendliche reichen bis heute. „Man hätte wohl die Schulen nicht schließen müssen“, hält Christian Drosten auf Seite 51 fest. Und 30 Seiten später benennt er den Fokus auf Schulen als „entscheidenden Fehler der deutschen Pandemiepolitik“. Dass dieses Thema so viel Raum einnimmt, verwundert kaum. Es ist eng mit dem Virologen verbunden. „Drosten, der Schulschließer“ – so beschreibt Mascolo ein verbreitetes Bild. Der Angesprochene will es nicht stehen lassen.

Bereits im Januar 2020 ist der Experte für Coronaviren in der Politik ein gefragter Mann: zuerst im Auswärtigen Amt, schnell auch im Gespräch unter vier Augen bei Kanzlerin Angela Merkel. Am 11. März 2020 ist es Bundesinnenminister Horst Seehofer, der Drosten zu einer Brotzeit ins Ministerium lädt und nach einem Worst-Case-Szenario fragt. Dieser skizziert horrende Infektionszahlen und eine hohe Sterblichkeit, warnt vor einer dramatischen Überlastung des Gesundheitssystems – so bestätigt er es in seinem Buch. Es ist die „nüchtern formulierte Ankündigung eines möglichen Massensterbens“, konkludiert Mascolo. „Ein Szenario, keine Prognose“, betont Drosten. Seine Botschaft: Man musste „gegensteuern“ – „die Frage war nur, wie.“ Schulschließungen, so weit herrscht Konsens, hält Drosten im Laufe dieser Brotzeit nicht für erforderlich.

Für den folgenden Tag, den 12. März, gibt es unterschiedliche Versionen. Es ist der Tag, an dem sich Merkel erstmals mit den Ministerpräsidenten der Länder berät. Drosten ist teilweise dabei – mit neuen Erkenntnissen. „Schulschließung muss stattfinden“, so will Seehofer den Vortrag des Virologen verstanden haben. Auch Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, gibt später zu Protokoll, dass offene Schulen „über Nacht“ zur Gefahr geworden seien und Drosten das Schließen plötzlich empfohlen habe.

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25.06.2024

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Der widerspricht im Gespräch mit Mascolo energisch. „Solche Darstellungen durch Politiker ärgern mich bis heute“, sagt er. Richtig sei: Er habe in der Nacht vor jener Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) von einer Studie erfahren, die einen großen Effekt von Schulschließungen für das Eindämmen der Spanischen Grippe in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufzeigt. Dies habe er der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten berichtet. Befürwortet oder gar gefordert habe er Schulschließungen aber keineswegs. „Ich frage mich manchmal, ob Politiker wissenschaftliche Befunde mit verhandelbaren Positionen verwechseln“, klagt er. „Die wissenschaftlichen Befunde können wir liefern, zu den Positionen aber müssen die........

© Berliner Zeitung


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