Soziologe Steffen Mau: „Die Reaktion der Gesellschaft kann massiv sein“
Der Soziologe Steffen Mau forscht zu Polarisierungstendenzen der Gesellschaft. Gerade sieht er ermutigende Zeichen. Ein Gespräch über die Straße als Ort der Ersatzpolitik, geschwächte Parlamente und die aufgebürstete Stimmung.
Herr Mau, am Wochenende sind mehr als eine Million Menschen gegen die AfD und demokratiefeindliche Netzwerke auf die Straße gegangen. Sind Sie beeindruckt?
Ja, das ist eine überraschende Wendung. Nachdem wir gesehen haben, dass die rechtspopulistische AfD lange Zeit einen Vorteil in der Dynamik hatte, und man das Gefühl bekam, da läuft eine rechte Welle mehr oder weniger unaufhaltsam durchs Land, gibt es eine starke Gegenbewegung, fast eine Immunreaktion der Gesellschaft und damit eine größere Sichtbarkeit der bislang sehr stillen Mitte.
Demo gegen Rechts: Polizei spricht von 100.000 Menschen – Protest beendet, Innenstadt überfüllt
21.01.2024
Correctiv-Recherche zu Vertreibung im Berliner Ensemble: „Damit’s ein bisschen lustiger ist“
18.01.2024
gestern
•gestern
•vor 8 Std.
23.01.2024
•gestern
Was meinen Sie mit Immunreaktion?
Die Gesellschaft hat entdeckt, dass es große Gefahren und eine Art der Korrosion der demokratischen Grundlagen des Zusammenlebens geben kann, die durch eine starke Dynamisierung des rechten Rands erfolgt. Mit Immunreaktion meine ich eine Schutzreaktion. Die Gesellschaft vertraut nicht allein ihren Institutionen, den Behörden, den Verfassungsgerichten, sondern sagt, wir müssen aktiv werden, wir müssen sichtbar werden und zeigen, dass eine laute Minderheit, die behauptet, die schweigende Mehrheit zu repräsentieren, falschliegt.
Bisher wurden Menschen, die ein neues 1933 aufziehen sehen, eher belächelt. Dass die Angst vor einer Diktatur nun Menschen auf die Straße treibt, ist ein gutes Zeichen?
Es ist erst mal eine Selbstvergewisserung der Gesellschaft. Natürlich kennen wir die Wahlumfragen und wissen, dass relativ stabil über 20 Prozent der Menschen sagen, sie würden der AfD ihre Stimme geben. Die anderen signalisieren jetzt aber, dass diese Entwicklung die Grundfesten unseres demokratischen Miteinanders infrage stellt und dies nicht hinnehmbar ist. Das ist eine sehr positive Reaktion, denn lange hatten wir das Problem, dass die breite gesellschaftliche Mitte passiv geworden war. Sie beobachtete das politische Geschehen, hatte auch eine Meinung dazu, war aber der Ansicht, dass die Demokratie ein Selbstläufer ist und man sich nicht weitergehend organisieren muss. Einen Protest, der von unten kommt, durch relativ normale Bürger, die deutlich machen, dass sie sich für die Demokratie engagieren, kann ich erst mal nur positiv sehen.
Wie nachhaltig kann so etwas denn sein?
Erst mal sieht man, dass eine Gegenbewegung möglich ist und auch relativ schnell mobilisierbar. Mit den drei Landtagswahlen in diesem Jahr ist aber noch ungewiss, wie sich die politische Landschaft neu sortieren wird. In Teilen des demokratischen Spektrums, etwa in der CDU in Thüringen, gibt es Einzelne, die sich vorstellen können, mit der AfD in eine Duldung oder stillschweigende Zusammenarbeit zu gehen. Dieses klare Zeichen durch den Protest ist nun für die Führung der CDU sehr wichtig und sie hat sich nach anfänglichem Zögern ja........
© Berliner Zeitung
visit website