Karlheinz W., 75: Meine Frau und ich leben in einem Ost-Berliner Mietshaus, viele der Mieter sind schon recht alt. Der Mieter neben unserer Wohnung leidet an einer psychischen Krankheit, die sich in letzter Zeit verschlimmert hat. Er schreit oft und laut, was vor allem nachts unerträglich ist. Wenn man ihm im Treppenhaus begegnet, pöbelt er oder wirft mit Dingen um sich. Meine Frau traut sich kaum noch allein zum Einkaufen, wir schlafen schlecht und fühlen uns nicht mehr wohl in unseren eigenen vier Wänden. Ein anderes Paar ist deswegen bereits ausgezogen, die Wohnung steht immer noch leer. Wir haben beim Vermieter schon oft deswegen angerufen. Die Hausverwaltung sagt, dass die Miete bezahlt wird und dass man einem psychisch Kranken nicht fristlos kündigen kann. Was sollen wir tun?

Lieber Herr W., das ist für Sie, aber auch für Ihren Vermieter keine einfache Situation. Eine ordentliche Kündigung ist bei Wohnraummietverträgen normalerweise nicht möglich, und eine außerordentliche Kündigung setzt immer ein Verschulden voraus. In § 543 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) heißt es „Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis […] zur […] Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.“

Offene Mieten sind der wichtigste „wichtige Grund“ – aber die Miete wird im Falle Ihres Mitmieters offenbar gezahlt, womöglich „vom Amt“. Bei anderen wichtigen Gründen, wie der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag, wird es komplizierter, sie erfordern zunächst eine Fristsetzung oder Abmahnung. Entscheidend ist aber bei allem das Verschulden – und ein psychisch Kranker ist womöglich schuldunfähig. Dem Rechtsstaat sind in solchen Fällen oft die Hände gebunden. Auch psychisch Kranke, die andere verletzen, können nicht einfach „weggesperrt“ werden, um weitere Taten zur verhindern. Aus den Wertentscheidungen des Grundgesetzes ergeben sich für uns alle höhere Toleranzanforderungen gegenüber Menschen, die nur eingeschränkt für ihr Tun verantwortlich sind.

Kündigung wegen Eigenbedarf nach Eigentümerwechsel – was tun?

•vor 7 Std.

Rechtsfrage: Muss ich vor dem Auszug meine Wohnung renovieren?

•vor 7 Std.

18.04.2024

•gestern

•vor 8 Std.

Doch ist die Lage nicht ausweglos. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass auch die Kündigung eines schuldunfähigen Mieters möglich ist, jedoch muss die in § 543 vorausgesetzte Interessenabwägung dessen besonderes Schutzbedürfnis beachten. Psychisch Kranke wären bei einer Kündigung auf dem Berliner Mietmarkt chancenlos, es drohen Verschlechterungen ihres Gesundheitszustandes oder gar Suizidgefahr. Aber auch hier gibt es Zumutbarkeitsgrenzen. Die Toleranzpflicht endet, wenn durch das Verhalten des Mieters die Gesundheit anderer Mieter des Hauses ernsthaft gefährdet oder der Hausfrieden ständig durch Beleidigungen oder Pöbeleien gestört wird. Denn genauso wie die Wohnung für den kranken Mieter ein schützenswerter Rückzugsraum ist, ist dies auch für die anderen Mieter der Fall. In solchen Fällen muss das staatliche Gemeinwesen einspringen.

Da Ihr Vermieter also durch Kündigung etwas an diesem Zustand ändern könnte, ist seine Untätigkeit Ihnen gegenüber eine Verletzung seiner mietvertraglicher Pflichten – denn er schuldet Ihnen den ungestörten Mietgebrauch. Daher: Schreiben Sie ihm, schildern Sie möglichst präzise die Störungen durch Ihren Nachbarn, fordern Sie unter Fristsetzung zur Beseitigung der Störungen auf und kündigen Sie an, die Miete zu mindern. Möglicherweise hilft das schon. Unter bestimmten Voraussetzungen – die Sie jedoch durch einen Anwalt prüfen lassen sollten – können Sie sogar auf Kosten Ihres Vermieters in ein Ausweichquartier, zum Beispiel in ein Hotel ziehen. Bitte behalten Sie die Nerven und geben Sie nicht auf. Viel Glück!

QOSHE - Mein psychisch kranker Nachbar macht mir das Leben zur Hölle - Irene Hallof
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Mein psychisch kranker Nachbar macht mir das Leben zur Hölle

8 0
20.04.2024

Karlheinz W., 75: Meine Frau und ich leben in einem Ost-Berliner Mietshaus, viele der Mieter sind schon recht alt. Der Mieter neben unserer Wohnung leidet an einer psychischen Krankheit, die sich in letzter Zeit verschlimmert hat. Er schreit oft und laut, was vor allem nachts unerträglich ist. Wenn man ihm im Treppenhaus begegnet, pöbelt er oder wirft mit Dingen um sich. Meine Frau traut sich kaum noch allein zum Einkaufen, wir schlafen schlecht und fühlen uns nicht mehr wohl in unseren eigenen vier Wänden. Ein anderes Paar ist deswegen bereits ausgezogen, die Wohnung steht immer noch leer. Wir haben beim Vermieter schon oft deswegen angerufen. Die Hausverwaltung sagt, dass die Miete bezahlt wird und dass man einem psychisch Kranken nicht fristlos kündigen kann. Was sollen wir tun?

Lieber Herr W., das ist für Sie, aber auch für Ihren Vermieter keine einfache Situation. Eine ordentliche Kündigung ist bei Wohnraummietverträgen normalerweise nicht möglich, und eine außerordentliche Kündigung setzt immer ein........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play