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Moden der Sensibilität: „Die vulnerable Gesellschaft“ von Frauke Rostalski

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22.05.2024

Die Trauer über den Tod meiner Mutter war bald von Erleichterung begleitet. Mit ihrem letzten Atemzug hatte sie sich im Frühjahr 2020 einem strengen Regime von Regeln entzogen, das infolge der Coronapandemie insbesondere in Krankenhäusern und Altenwohnheimen errichtet worden war. So blieb ihr eine Isolation erspart, deren Beweggründe ihr im Zustand ihrer Demenz verschlossen geblieben wären. „Damit Du Dich nicht ansteckst“, hätten wir zu erklären versucht. Sie aber hätte mit einer kurzen Geste des Missfallens abgewunken. So hatte sie es zuletzt oft getan, als habe sie sagen wollen: Müssen wir gar nicht erst darüber reden.

Gestorben ist sie in den Anfangstagen der Pandemie, als endlose Datenkolonnen über exponentiell steigende Infektionen unsere Aufmerksamkeit absorbierten. Später kam es uns vor, als hätten die strengen Beschränkungen, unter denen sich ihre Bestattung vollzog, der Zeremonie eine besondere Würde verliehen.

Der unterbliebene Dialog fällt mir ein, wenn ich mir die Karriere des Wortes vulnerabel zu erklären versuche, das bis dahin allenfalls in wissenschaftlichen Kontexten gebräuchlich war. Galt es lange als charakterlicher Makel, besonders empfindlich oder verletzlich zu sein, so geriet die Rücksicht auf vulnerable Gruppen in der Pandemie zu einer Art Gütesiegel der........

© Berliner Zeitung


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