Es ist kein gewöhnlicher Internationaler Frauentag, der am heutigen 8. März gefeiert wird.

Zwar werden wie an jedem 8. März auch heute viele Menschen, in Berlin und weltweit, auf die Straße gehen und daran erinnern, dass wir uns in Kriegszeiten befinden und das Kriege immer auch auf den Körpern von Frauen ausgetragen werden. Es ist aber das erste Mal, dass „Progressive“ weltweit in einem bestimmten Fall anders urteilen als bisher.

Dieser Fall heißt Israel. Es geht um die israelischen Frauen, die während des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 Opfer brutaler sexueller Gewalt wurden. Manche von ihnen überlebten, viele nicht. Wieder andere befinden sich noch immer in den Händen ihrer Peiniger und werden weiterhin sexuell misshandelt, wie zahlreichen Berichten von mittlerweile befreiten Geiseln zu entnehmen ist.

Ein Riss geht seit dem 7. Oktober durch den westlichen Feminismus.
Es begann in den Tagen unmittelbar nach dem Hamas-Massaker mit zahlreichen Wortmeldungen von „Progressiven“ in sozialen Medien, in denen der tödliche Terrorangriff als „Akt des palästinensischen Widerstandes“ gegen die „koloniale Macht“ Israel gefeiert wurde – und zwar keineswegs nur von radikalen Hamas-Apologeten.

Am vergangenen Sonntag war es sogar eine Ikone des Queerfeminismus, die Philosophin Judith Butler, die bei einer Veranstaltung des postkolonialen Mediums „Paroles d’Honneur“ in Pantin bei Paris, erneut von einem Aufstand („uprising“) in Bezug auf den 7. Oktober sprach. Man könne unterschiedlicher Ansicht über die Hamas sein, so Butler, aber „der Aufstand vom 7. Oktober war ein Akt des bewaffneten Widerstandes. Es ist kein terroristischer Angriff und es ist keine antisemitische Attacke“, sagte die Philosophin. Wie nebenbei fügte sie noch hinzu, sie habe den Anschlag der Hamas „nicht gemocht“.

Wie man als Feministin dazu kommen kann, die Vergewaltigung, Verstümmelung und Ermordung von Frauen als "Widerstand" zu bezeichnen, bleibt wohl das Geheimnis von Judith Butler. https://t.co/69NmXh9Qsj

06.03.2024

•vor 1 Std.

06.03.2024

•gestern

•vor 6 Std.

In den Tagen unmittelbar nach dem 7. Oktober zeigte sich bei vielen linken Gruppen und Personen in der westlichen Welt, die sich in den sozialen Medien äußerten, eine Haltung der Gleichgültigkeit gegenüber den israelischen Opfern. Diese Haltung wurde nach Beginn der militärischen Offensive der israelischen Armee im Gazastreifen als Reaktion auf den Terrorangriff und mit der daraus folgenden Verschärfung der humanitären Lage in Gaza immer deutlicher: Israel durfte nach dem 7. Oktober keine Sekunde zu lange Opfer bleiben – es wurde sofort wieder zum Täter erklärt.

Der Umgang vieler westlicher, feministischer Gruppen mit dem Hamas-Massaker lässt nur eine, schmerzhafte Schlussfolgerung zu: Der Minimalkonsens darüber, dass sexualisierte Gewalt ein Kriegsverbrechen ist, egal, von welcher Seite sie ausgeht, ist am 7. Oktober aufgekündigt worden. Anders sind die Aktivistinnen, die die ersten Berichte über sexuelle Gewalt am 7. Oktober, für unglaubwürdig erklärten oder „Beweise“ für diese Taten verlangten, nicht zu interpretieren.

Auch Judith Butler wiederholte am Sonntag die Forderung nach Beweisen für die Vergewaltigungen israelischer Frauen: „Ob es Belege für die Behauptungen über die Vergewaltigung israelischer Frauen gibt, oder nicht? Okay, wenn es Belege gibt, dann bedauern wir das, aber wir wollen diese Belege sehen“, sagte sie.

Doch nicht alle Feministinnen sehen es so. „Warum schweigen Feministinnen zu Vergewaltigungen und Mord?“, fragt beispielsweise die amerikanische Journalistin Bari Weiss. In einem Video erinnert sie daran, wie ein Akt der extremen Gewalt gegen junge Frauen vor zehn Jahren eine weltweite Kampagne auslöste, an der sich zahllose berühmte Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Showbusiness beteiligten.

Es war im April 2014, und sie beschreibt die Reaktionen auf die Verschleppung und sexuelle Misshandlung von 276 Mädchen durch die islamistische Miliz Boko Haram in Nigeria. Von der damaligen First Lady Michelle Obama über Oprah Winfrey und Malala Yousafzai bis hin zu Kim Kardashian und Angelina Jolie: Viele Frauen weltweit zeigten sich damals empört über diesen Akt der brutalen Gewalt und forderten unter dem Hashtag „Bring back our girls“ die Befreiung der jungen Frauen. Über die vielen prominenten Frauen, die die Kampagne vorantrieben, sagt Weiss: „Sie wussten, dass sie ein Publikum und eine Plattform hatten (…) und sie wollten ihre Reichweite nutzen, um auf dieses Verbrechen aufmerksam zu machen.“

Fast zehn Jahre später, Israel, 7. Oktober 2023. Auch hier misshandelte, verschleppte und tötete eine militante, islamistische Gruppe Dutzende Frauen. Doch eine internationale Kampagne der Prominenten und Frauenrechtlerinnen blieb aus.

Es gab keine Hashtags, nur Schweigen, stellt Weiss fest – im besten Fall, muss man sagen. Denn nach dem Erscheinen erster, detaillierter Berichte, die die „extreme sexuelle Gewalt“ der Hamas anhand von Zeugenaussagen dokumentierten, kam es aus dem progressiven, auch feministischen Umfeld zu zahlreichen Wortmeldungen, die diese Gewalt infrage stellten und als „Propaganda der israelischen Besatzungsmacht“ diffamierten. Doch damit nicht genug: Radikale Palästina-Freunde machten sich lustig über israelische Frauen, die mit den Medien über ihre Erfahrung in Geiselhaft sprachen.

Nicht viel besser als das Schweigen, Anzweifeln und Belächeln war, dass die Vereinten Nationen ganze 55 Tage brauchten, bevor sie die sexuelle Gewalt an israelischen Frauen verurteilten. Vergangene Woche, fast fünf Monate nach dem Massaker, erklärte die UN in einem Bericht die Vergewaltigungen durch die Hamas für „wahrscheinlich“.

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Der 8. März 2024 ist kein Internationaler Frauentag wie jeder andere. Es ist ein Tag, an dem wir nach vielen Debatten feststellen müssen, dass Frauen, die Opfer schrecklicher Verbrechen wurden, nicht als solche anerkannt werden.

Nachdem Filme, Recherchen und Berichte die Gewalt der Hamas-Männer am Tag des Massakers dokumentiert haben, wird israelischen Frauen im besten Fall unter Vorbehalt geglaubt. Weil sie Israelis sind, gelten sie in erster Linie als Symbol des Staates Israels, nicht als Individuen. Diese Projektion ist eine Entmenschlichung, die kaum weniger abscheulich ist als die Taten der Gewalt, die diese Frauen erleiden mussten.

Der Relativismus der ideologisch verblendeten Palästina-Freundinnen ist nicht nur moralisch empörend, sondern auch brandgefährlich. Denn er zeugt davon, dass große Teile der emanzipatorischen Bewegungen im Westen nicht in der Lage sind, Islamismus als die frauenfeindliche Ideologie zu erkennen, die sie ist – eine Ideologie, die das Leben vieler Frauen bedroht, weltweit.

Das ohrenbetäubende Schweigen der MeToo-Bewegung nach dem 7. Oktober wird als ein Skandal in die Geschichte des westlichen Feminismus eingehen. Vielleicht werden künftige Generationen etwas daraus lernen – nämlich, dass Menschenrechte universell sind, und nicht nur für diejenigen gelten, die westliche Studenten zur „kolonisierten“ Minderheit erklären.

„Metoo, unless you are a jew“, so haben israelische und israelsolidarische Feministinnen die selektive Haltung der westlichen Palästina-Solidarität treffend beschrieben.

Es ist zu erwarten, dass an diesem Frauentag viele für ein Ende des „Genozids“ und einen Waffenstillstand in Gaza auf die Straßen gehen werden. Wenn der Frieden, den sie meinen, der Frieden derjenigen ist, die den 7. Oktober als Aufstand feierten, hat er nichts mit Frauenrechten zu tun. Ein Feminismus, der seinen universalistischen Anspruch aufgegeben hat und zwischen „guten“ und „schlechten“ Opfern unterscheidet, ist ein Feminismus der doppelten Standards – und er ist eine Schande.

Dass er sich am heutigen Tag in Berlin auf Veranstaltungen wie dem „Marsch gegen imperialistischen Feminismus“ oder beim feministischen „Intifada Bazar“ selbst feiert, ist Hohn gegenüber allen Opfern des 7. Oktobers und zeigt Verachtung für alle Frauen – ob im Iran, Afghanistan oder auch in manchen Vierteln unserer europäischen Großstädte – die Opfer radikaler Frauenhasser geworden sind.

QOSHE - Internationaler Frauentag: Euer selektiver Feminismus widert mich an! - Federica Matteoni
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Internationaler Frauentag: Euer selektiver Feminismus widert mich an!

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08.03.2024

Es ist kein gewöhnlicher Internationaler Frauentag, der am heutigen 8. März gefeiert wird.

Zwar werden wie an jedem 8. März auch heute viele Menschen, in Berlin und weltweit, auf die Straße gehen und daran erinnern, dass wir uns in Kriegszeiten befinden und das Kriege immer auch auf den Körpern von Frauen ausgetragen werden. Es ist aber das erste Mal, dass „Progressive“ weltweit in einem bestimmten Fall anders urteilen als bisher.

Dieser Fall heißt Israel. Es geht um die israelischen Frauen, die während des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 Opfer brutaler sexueller Gewalt wurden. Manche von ihnen überlebten, viele nicht. Wieder andere befinden sich noch immer in den Händen ihrer Peiniger und werden weiterhin sexuell misshandelt, wie zahlreichen Berichten von mittlerweile befreiten Geiseln zu entnehmen ist.

Ein Riss geht seit dem 7. Oktober durch den westlichen Feminismus.
Es begann in den Tagen unmittelbar nach dem Hamas-Massaker mit zahlreichen Wortmeldungen von „Progressiven“ in sozialen Medien, in denen der tödliche Terrorangriff als „Akt des palästinensischen Widerstandes“ gegen die „koloniale Macht“ Israel gefeiert wurde – und zwar keineswegs nur von radikalen Hamas-Apologeten.

Am vergangenen Sonntag war es sogar eine Ikone des Queerfeminismus, die Philosophin Judith Butler, die bei einer Veranstaltung des postkolonialen Mediums „Paroles d’Honneur“ in Pantin bei Paris, erneut von einem Aufstand („uprising“) in Bezug auf den 7. Oktober sprach. Man könne unterschiedlicher Ansicht über die Hamas sein, so Butler, aber „der Aufstand vom 7. Oktober war ein Akt des bewaffneten Widerstandes. Es ist kein terroristischer Angriff und es ist keine antisemitische Attacke“, sagte die Philosophin. Wie nebenbei fügte sie noch hinzu, sie habe den Anschlag der Hamas „nicht gemocht“.

Wie man als Feministin dazu kommen kann, die Vergewaltigung, Verstümmelung und Ermordung von Frauen als "Widerstand" zu bezeichnen, bleibt wohl das Geheimnis von Judith Butler. https://t.co/69NmXh9Qsj

06.03.2024

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