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„Präterroristische Strukturen“: Wie die Palästina-Bewegung Berlin verändert

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06.10.2024

Stumm lassen die Polizisten das Geschrei über sich ergehen. Die Gemüter auf sogenannten propalästinensischen Demos sind in der Regel erhitzt, Beschwerden gehen oft im Minutentakt bei den Beamten ein. Kritik wird meist gebrüllt.

Geradezu angenehm wirkt da die Demonstrantin Adila*. Ruhig, geradezu sanft, spricht die junge Frau auf der Demo vor der Technischen Universität im September mit Polizei und Gegendemonstranten. Adila beklagt, dass die Musik der proisraelischen Gegendemonstration zu laut sei. Weil die Polizei nicht reagiert, wendet sie sich direkt an eine Frau, die für Israel demonstriert, und sagt, dass die Musik „die Kriegsverbrechen“ übertönten, die von dem Land ausgingen. Adila wählt eine auf den ersten Blick gemäßigtere Ansprache als ihre Mitdemonstranten, die meist in aggressivem Ton gegenüber Andersdenkenden auftreten.

Wie viele andere Menschen in Berlin und auf der ganzen Welt will Adila, dass der Gazakrieg endet. Was zunächst einmal alle Charaktere auf den Demonstrationen eint, ist die Wut auf ein Land, das auf ein Massaker reagiert, welches die Demonstranten teils negieren, teils ignorieren, teils relativieren. Die Berliner Zeitung stellt mehrere dieser Charaktere vor – und hat prominente Berliner gefragt, ob die „Palis“ die Stadt verändern.

Seit dem 7. Oktober 2023 bis zum 23. September 2024 fanden laut Polizei 693 genehmigte Versammlungen mit Nahostbezug statt. 195 davon waren pro Israel, 339 pro Palästina und 159 nicht zuzuordnen. In den sozialen Netzwerken kursieren Videos von Polizeigewalt auf diesen Demos. So ermitteln die Beamten wegen mindestens eines dieser Videos gegen einen aus ihren Reihen. Der Clip zeigt, wie Polizisten und zwei Jugendliche sich gegenüberstehen. Die Beamten drängen die Jugendlichen in einen Hauseingang. Plötzlich schlägt einer der Beamten mit mehreren gezielten Boxhieben auf mindestens einen der beiden ein. Es sind Bilder wie diese, die um die Welt gehen und die Berliner Polizei in einem schlechten Licht dastehen lassen.

Andererseits lässt sich beobachten, dass die propalästinensischen Demonstrationen auch eine Art Eventcharakter besitzen. So wird die Polizei in einem Ausmaß provoziert, das 2024 seinesgleichen in der Hauptstadt sucht. Die Anfeindungen reichen von eingängigen Parolen wie „Deutsche Polizisten – Mörder und Faschisten“ bis hin zu persönlichen Beleidigungen, Flaschen- und Farbbeutelwürfen. Dabei wird jede Gemütsregung der Beamten minutiös gefilmt und teils unmittelbar – für Tausende sichtbar – hochgeladen. Der Eventcharakter speist sich auch aus Musik, Tänzen und bizarren Liveperformances. So wird zu Beginn der Mittwochsdemos die palästinensische „Nationalhymne“ abgespielt oder im Verlauf eine Performance mit kunstblutenden Puppen zum Besten gegeben. Die Lust am Schauspiel übertragen die Erwachsenen auch auf die Kinder. So stellten sich kürzlich ein paar von ihnen mitten auf dem Potsdamer Platz tot – um die toten Kinder in Gaza zu symbolisieren. Überhaupt spielen Kinder eine große Rolle im auf deutschen Straßen ausgetragenen Nahostkonflikt. Doch zurück zu denen, die die Verantwortung für die Instrumentalisierung von Heranwachsenden tragen – den Erwachsenen.

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© Berliner Zeitung


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