Immerfort ist zu vernehmen, zuletzt von Olaf Scholz, dass nun jeder sich erheben soll, damit die Rechten nicht die Demokratie abschaffen. Nun, ich habe kein Problem mit der Errichtung eines antifaschistischen Schutzwalls. Aber Hemmungen, an der Seite von Leuten zu brandmauern, die „rechts“ und „Demokratie“ weit schwungvoller interpretieren als ich.
Das mag mit meiner verkorksten Ostseele zu tun zu haben. Mir wird blümerant, wenn die Kanzlerparteivorsitzende zur Rettung der Demokratie eine 22-Prozent-Opposition verbieten lassen will. Hätte „Viktator“ Orbán derlei vor, ließe Saskia Esken ihm das nicht durchgehen. Mehr als eineinhalb Millionen Landsleute fordern, einem Führer jener noch zu verbietenden Partei das Wahlrecht zu entziehen. Auch das fühlt sich eigenartig an. Hinzu kommt, dass der Rechtsstaat dem beurlaubten Oberstudienrat Höcke ja nicht mal den Beamtenstatus nehmen kann.
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21.01.2024
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22.01.2024
Die AfD wird meist nicht Höckes wegen gewählt. Durch seine Entgrundrechtung ließe sich das ändern. Was die Partei nährt, ist eher die Amtsführung derer, die sich jetzt an die Spitze der Anti-AfD-Bewegung stellen. Eine große Mehrheit lehnt die Arbeit einer Regierung ab, die vielen den Eindruck vermittelt, das Land erledigen zu wollen, bevor Inlandsnazis oder Putin das tun können. Statt Besinnung oder gar Vernunft wenigstens zu simulieren, mobilisieren Koalitionäre nun gegen einen Teil ihrer Gegner. Aus historischer Verantwortung, sagen sie. Es könnte auch Machtkalkül sein.
Mein Verdacht bezieht sich keineswegs auf die Motive Hunderttausender Demonstranten. Er beschleicht mich, weil Proteste gegen die Herrschenden durch selbige regelmäßig angebräunt werden. Sei es wegen Migration, Windrädern, Corona, Ukraine oder Traktordiesel – alles demokratiefeindlich und von rechts unterwandert. Die Routine kommt mir vertraut vor: In der „sozialistischen Demokratie“ vertrat die Partei der Arbeiterklasse so vollumfänglich die objektiven Interessen des Volkes, dass Widerspruch automatisch das Gemeinwohl gefährdete. Klar, DDR-Parallelen sind pfui. Aber wenn alle Welt sich vom berüchtigten Potsdamer Treffen an die Wannseekonferenz erinnert fühlt, erlaube auch ich mir eine Assoziation.
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Vielleicht braucht ganz Deutschland Staatsbürgerkunde, um Grundbegriffe zu klären. So erkannte der SPD-Politiker Michael Roth mal in einer Talkshow bei AfD-Wählern pauschal eine „Geringschätzung der Freiheit“ und „verfestigte Verachtung gegenüber Demokratie“. Alles eine Frage der Definition. Die Zeit-Journalistin Anne Hähnig vollstreckte damals den Elfmeter: „Warum ist es eine Geringschätzung der Demokratie, wählen zu gehen und eine Partei zu wählen, die Ihnen nicht passt?“
Apropos Fußball: Der Freiburger Trainer Christian Streich sagt, wer jetzt nicht gegen die AfD aufstehe, möge nicht klagen, wenn freiheitliche Grundrechte den Bach hinuntergingen. Seine Sorge teile ich. Allerdings wäre es beinahe beruhigend, kämen autoritäre Schwingungen lediglich von Rechtsextremisten. Leider entspringen sie durchaus auch der edleren Denkungsart. Ich nähme den großartigen Übungsleiter Streich als Freiheitskämpfer ernster, hätte er einst nicht allen Ungeimpften bescheinigt, sie verstünden „die Demokratie offensichtlich nicht richtig“. Was der Mann da unter Demokratie verstand, kapiere nicht mal ich als doppelt Geimpfter.
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Zwischenruf einer verkorksten Ostseele: Anti-AfD-Bewegung macht AfD stark
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24.01.2024
Immerfort ist zu vernehmen, zuletzt von Olaf Scholz, dass nun jeder sich erheben soll, damit die Rechten nicht die Demokratie abschaffen. Nun, ich habe kein Problem mit der Errichtung eines antifaschistischen Schutzwalls. Aber Hemmungen, an der Seite von Leuten zu brandmauern, die „rechts“ und „Demokratie“ weit schwungvoller interpretieren als ich.
Das mag mit meiner verkorksten Ostseele zu tun zu haben. Mir wird blümerant, wenn die Kanzlerparteivorsitzende zur Rettung der Demokratie eine 22-Prozent-Opposition verbieten lassen will. Hätte „Viktator“ Orbán derlei vor, ließe Saskia Esken ihm das nicht durchgehen. Mehr als eineinhalb Millionen Landsleute fordern, einem Führer jener noch zu verbietenden Partei das Wahlrecht zu entziehen. Auch das fühlt sich eigenartig an. Hinzu kommt, dass der Rechtsstaat dem beurlaubten Oberstudienrat Höcke ja nicht mal den Beamtenstatus nehmen........
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