Nach dem jüngsten Angriff ist klar: Die Hamas will keinen Frieden. Ein israelischer Einsatz in Rafah wird so unausweichlich. Alles andere hieße, der Hamas in die Karten zu spielen.

Ob Teppichmarkt, Koalitionsvertrag oder Bürgerkrieg: Es liegt im Wesen einer Verhandlung, dass für ein Ergebnis beide Seiten von ihren Maximalforderungen abrücken müssen. Israels Regierung hat das in den jüngsten Gesprächen über eine Waffenruhe in Gaza getan, indem sie ihre Bereitschaft signalisierte, das Feuer 40 Tage lang einzustellen und palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen zu entlassen, wenn die Hamas im Gegenzug zumindest einen Teil der Geiseln freilässt, die sie am 7. Oktober nach Gaza entführt hat.

Ein solches Abkommen hätte der Anfang für weitergehende Verhandlungen über eine deutlich längere Feuerpause, die Freilassung aller Geiseln und einer Ausweitung der humanitären Hilfe für den Gazastreifen sein können. Die Hamas aber verweigert sich einer solchen Lösung nicht nur – sie torpediert sie geradezu. Ihr Angriff auf den Grenzposten Kerem Shalom, über den der größte Teil der Hilfstransporte kommt, hat nicht nur drei israelische Soldaten das Leben gekostet, sondern der Welt noch einmal gezeigt, dass die Terroristen alles wollen, nur keinen Frieden. Die Menschen in Gaza, ihr Leid und ihre Angst, sind der Hamas völlig egal. Sie hat nur ein Ziel: Israel zu schaden, es zu destabilisieren und es in einen langen, zermürbenden Kleinkrieg zu verstricken.

Vor diesem Hintergrund bleibt der Regierung von Benjamin Netanjahu gar nichts anderes übrig, als die umstrittene Offensive auf die Grenzstadt Rafah vorzubereiten, in die sich ganze Bataillone von Hamas-Kämpfern zurückgezogen und zwischen Hunderttausenden von Flüchtlingen versteckt haben. Die zehn Raketen auf Kerem Shalom, abgefeuert perfiderweise am Vorabend des Feiertages, an dem Israel der sechs Millionen Opfer des Holocaust gedenkt, waren eine neuerliche Kampfansage der Islamisten, die Israel nicht einfach ignorieren kann.

Frühere Konflikte haben gezeigt, dass die Hamas jede Gelegenheit nutzt, um ihre Waffenarsenale zu füllen und neue Angriffe vorzubereiten. Dem internationalen Druck nachzugeben und nicht in Rafah einzumarschieren hieße, der Hamas genau diese Gelegenheit zu geben. Die Zivilisten, die bei einem israelischen Angriff womöglich ums Leben kämen, nimmt sie billigend in Kauf. Ja, schlimmer noch: Die Bilder von unschuldigen Opfern würden ihr zynischerweise sogar in die Karten spielen, weil sie das absurde Narrativ und das antisemitisch Vorurteil nähren, nach dem Israel in diesem Konflikt nicht das Opfer ist, sondern der Täter.

Netanjahu weiß das natürlich und lässt die in Rafah gestrandeten Flüchtlinge vor einem Militärschlag in weiter entfernte Zeltstädte evakuieren, um die Zahl möglicher Opfer möglichst gering zu halten. Solche Rücksichten nimmt die Hamas umgekehrt nicht. Im Gegenteil. Mit ihrem jüngsten Angriff schadet sie vor allem den Menschen in Gaza, weil Israel den Grenzposten nun vorübergehend geschlossen hat und zunächst keine Hilfskonvois mehr durchlässt.

Offiziell sind die Gespräche über ein Geiselabkommen zwar noch nicht gescheitert, das Verhalten der Hamas allerdings lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Entweder will sie die Entführten so lange wie möglich als Faustpfand behalten, um deren Preis noch weiter in die Höhe zu treiben – oder es sind bereits deutlich mehr als die 30 Israelis tot, von denen bislang die Rede ist. Dann aber wäre auch das letzte Argument, das noch für ein zurückhaltendes Vorgehen Israels spricht, obsolet. Wer Dutzende, wenn nicht Hunderte von Geiseln einfach sterben lässt, hat keine Milde mehr verdient.

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Israel kann gar nicht mehr anders, als in Rafah einzumarschieren

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06.05.2024

Nach dem jüngsten Angriff ist klar: Die Hamas will keinen Frieden. Ein israelischer Einsatz in Rafah wird so unausweichlich. Alles andere hieße, der Hamas in die Karten zu spielen.

Ob Teppichmarkt, Koalitionsvertrag oder Bürgerkrieg: Es liegt im Wesen einer Verhandlung, dass für ein Ergebnis beide Seiten von ihren Maximalforderungen abrücken müssen. Israels Regierung hat das in den jüngsten Gesprächen über eine Waffenruhe in Gaza getan, indem sie ihre Bereitschaft signalisierte, das Feuer 40 Tage lang einzustellen und palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen zu entlassen, wenn die Hamas im Gegenzug zumindest einen Teil der Geiseln freilässt, die sie am 7. Oktober nach Gaza entführt hat.

Ein solches Abkommen hätte der Anfang für weitergehende Verhandlungen über eine deutlich längere Feuerpause, die Freilassung aller Geiseln und einer Ausweitung der humanitären Hilfe für den Gazastreifen sein können. Die Hamas aber verweigert sich einer solchen Lösung nicht nur –........

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