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Der Überflieger

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26.07.2024

Der Weltmeister reist ohne WM-Gold nach Paris. Denn die Medaille, die der israelische Turner Artem Dolgopyat 2023 in Antwerpen gewonnen hat und ihn als Favoriten zu den Olympischen Spielen nach Paris kommen lässt, hat er versteigert.

Ausgerechnet am 7. Oktober 2023 erkämpfte sich der mittlerweile 27-jährige Dolgopyat seinen Weltmeistertitel im Bodenturnen. Von dem, was an diesem Tag in seiner Heimat geschah, erfuhr er aber schon vor seiner Kür. »Ich habe mein Handy ausgemacht«, berichtet er. Nur so konnte er sich auf seine Übung konzentrieren.

Im blau-weißen Dress lieferte er seine Kür ab. Und wer sich die vielen Bodenübungen noch einmal genau anschaut, kann Dolgopyat die ungeheure Konzentrationsleistung, die er an diesem Tag erbringen musste, ansehen. Nicht jeder Stand war perfekt, aber er sammelte sich ganz schnell – auch als es einmal schien, dass er auf einem Bein umzukippen drohte. Die »Ahs« und »Ohs« des fachkundigen belgischen Publikums begleiteten seinen Auftritt, und am Ende erntete er frenetischen Jubel.

»Es ist wohl der glücklichste Tag für mich und wohl auch für mein Land. Aber er ist es nicht«, sagte Dolgopyat dort mit ernstem, ja, traurigem Gesicht. Zur Siegerehrung schritt er mit der Flagge Israels, wobei Dolgopyat selbst einen Trauerflor trug. »Ich möchte allen Kraft, Umarmungen und Gesundheit schicken«, sagte Dolgopyat. Nach Israel zurückreisen konnte er zunächst nicht. Die allermeisten Flüge waren unmittelbar nach dem 7. Oktober gestrichen worden.

Der Deutsche Turner-Bund bot ihm und dem gesamten israelischen Team nicht nur eine Unterkunft, sondern auch Trainingsmöglichkeiten. Später reifte der Entschluss, die Medaille zu versteigern. »Dieser Tag war sehr schwierig für mich«, erinnert sich Dolgopyat. »Was kann mir ein Weltmeistertitel bedeuten, wenn mein Land verletzt ist.« Der Erlös aus der Versteigerung der Medaille ging an Menschen, die in Israels Süden nahe dem Gazastreifen leben, also an diejenigen, die vom Hamas-Terror am stärksten bedroht sind.

Geboren wurde Artem Dolgopyat 1997 in Dnipropetrowsk in der Ukraine. Dennoch betont er stets: »Der Staat Israel steht für mich an erster Stelle.« Es ist das Turnen, das dafür sorgte, dass man dem jungen Mann in Israel mit Respekt begegnete. Erst sein Sport machte Artem Dolgopyat zum Israeli.

Eingewandert ist er 2009 als Zwölfjähriger zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder, denen die ökonomischen Verhältnisse in der Ukraine zu aussichtslos schienen. Schon im Alter von sechs Jahren hatte er in Dnipropetrowsk mit dem Sport angefangen. In Israel, wo sich die Familie in........

© Juedische Allgemeine


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