Stand: 25.04.2024, 16:52 Uhr

Von: Petra Kohse

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Um mal wieder richtig rauszukommen, braucht es nicht unbedingt viel. Wagner kann, muss aber nicht dazugehören.

In der letzten Woche war ich in Dresden. Nicht zum ersten Mal, aber seit langem mal wieder touristisch. Seit sehr langem. Als ich zuletzt auf der Brühlschen Terrasse stand, sammelten sie noch für die Frauenkirche!

Jetzt also mal wieder das ganze Programm. Zwinger, Sachsenfries und so. Wobei das hundert Meter lange Wandbild aus Porzellanfliesen, auf dem sächsisches Regierungspersonal aus sieben Jahrhunderten zu Pferde aufmarschiert, eigentlich „Fürstenzug“ heißt. Aber in meiner auf Großelternseite aus Dresden stammenden Familie sagte man „Sachsenfries“, und ein Onkel, den es vor dem Mauerbau nach Salzburg verschlagen hatte, tapezierte sich diesen sogar komplett in die Wohnung.

Friedrich der Gebissene hat mich früher immer besonders fasziniert. Als ich jetzt vor dem Original stand, fand ich die dargestellten Pferde ausdrucksstärker als ihre Reiter und dachte wieder mal über die Verflechtung von Herrschafts- und Reitersprache nach: die Sporen geben, die Zügel in die Hand nehmen, den Daumen draufhalten, an die Kandare nehmen.

Im Hotel hatte der Mann an der Rezeption lange meinen Ausweis betrachtet. Dass ich also aus Berlin käme, stellte er dann fest. Und ob es da „schon laut“ sei, fragte er. Wie er das meine, entgegnete ich. Na ja, man höre da ja so manches. Überraschend häufig wurde in den Tagen in Sachsen zum Thema, dass wir nicht von dort kämen, also woher denn nur? Und statt „Berlin“ sagt man dort gern „Hauptstadt“. Ah, aus der „Hauptstadt“ kämen wir. Und dann Schweigen. Wobei Berlin von Dresden nur zwei Stunden entfernt ist, im Auto wie im Zug. Man kann an einem Ort arbeiten und am anderen wohnen, wenn man nicht täglich anwesend sein muss. Aber dann gehört man vermutlich nirgendwo richtig hin.

Wir fuhren mit dem Auto nach Pirna und wollten mit einem Bus in die Sächsische Schweiz, um den Malerweg zu beschreiten. „Fällt aus“, „fällt aus“, fällt aus“ stand auf der Anzeigetafel am Busbahnhof. Warnstreik des öffentlichen Dienstes. „Ach“, sagten die Leute, die dort anlandeten wie wir. Und verließen das Gebäude einfach wieder. Wie kamen sie jetzt dorthin, wohin sie mussten? Waren alle auch selbst motorisiert?

Im Liebethaler Grund spazierten wir an der rauschenden Wesenitz entlang und drückten vor dem monumentalen Denkmal des „Meisters“ auf den „Wagner wagen“-Knopf.

Im beeindruckend schroffen Tal erscholl das Prelude der Oper „Lohengrin“, deren Komposition Wagner 1846 hier skizzierte. An Großem, Altem fehlt es Sachsen nicht. Am Kleineren, Gegenwärtigen hingegen schon, etwa am Servicepersonal.

Eine Landbäckerei mit vielen Filialen legt schon Abreißzettel aus, auf denen man sich unkompliziert um Mitarbeit bewerben kann. Im Panoramarestaurant auf dem Basteifelsen, so etwas wie dem renommiertesten Ort der vielleicht spektakulärsten Landschaft der ganzen Republik (Elbsandsteingebirge), sucht man die Unterstützung per Notiz auf den Toiletten: 1000 Euro erhält, neben weiteren Gratifikationen, wer von einem anderen Arbeitgeber dorthin wechselt. Die beiden freundlichen Ober, die uns servierten, kamen aus dem nahen Tschechien.

Zurück im Hotel war der Spa-Bereich von einer Gruppe von Stammgästen aus der Nachbarschaft bevölkert. Der Klang ihres angeregten Gesprächs war meinen Ohren angenehm vertraut. Worte aber verstand ich im Wellnessdampf nur einzelne und hatte auch sonst das Gefühl, richtig weit verreist zu sein.

Petra Kohse ist Kulturredakteurin, Buchautorin und Heilpraktikerin für Psychotherapie.

QOSHE - Kleine Fluchten - Petra Kohse
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Kleine Fluchten

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25.04.2024

Stand: 25.04.2024, 16:52 Uhr

Von: Petra Kohse

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Um mal wieder richtig rauszukommen, braucht es nicht unbedingt viel. Wagner kann, muss aber nicht dazugehören.

In der letzten Woche war ich in Dresden. Nicht zum ersten Mal, aber seit langem mal wieder touristisch. Seit sehr langem. Als ich zuletzt auf der Brühlschen Terrasse stand, sammelten sie noch für die Frauenkirche!

Jetzt also mal wieder das ganze Programm. Zwinger, Sachsenfries und so. Wobei das hundert Meter lange Wandbild aus Porzellanfliesen, auf dem sächsisches Regierungspersonal aus sieben Jahrhunderten zu Pferde aufmarschiert, eigentlich „Fürstenzug“ heißt. Aber in meiner auf Großelternseite aus Dresden stammenden Familie sagte man „Sachsenfries“, und ein Onkel, den es vor dem Mauerbau nach Salzburg verschlagen hatte, tapezierte sich diesen sogar komplett in die........

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