Mit seiner Reise hat Bundeskanzler Olaf Scholz zunächst ein innenpolitisches Zeichen gesetzt: Er hat die „China-Strategie“ der Koalition und der EU hinter die politischen Kulissen verbannt.

Hat sie ad acta gelegt, ohne es zu betonen, und eine andere Richtung eingeschlagen, die nunmehr maßgeblich ist. Ein leiser Affront gegen seine Koalitionspartner gewissermaßen.

Bei der China-Strategie, die in der Koalition vor allem von den Grünen, aber auch der FDP vorangetrieben wurde, ging es darum, die Zusammenarbeit mit China herunterzufahren. Irgendwo zwischen De-Risking und Entkopplung, um weniger abhängig von Chinas Kommunisten zu sein. Die Strategie selbst war schon ein Kompromiss zwischen dem, was das grüne Auswärtige Amt wollte – noch weniger Zusammenarbeit und mehr Konfrontation –, und dem, was das Kanzleramt für realistisch hielt.

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Scholz hat nun befunden, dass diese Strategie nicht alltagstauglich ist. Die Wirtschaft hat sich längst entschieden, auch mangels Alternative, weiterhin eng mit China zusammenzuarbeiten. 2023 war geprägt von deutschen Rekordinvestitionen in China – gegen den globalen Trend. Den politischen Hinweis des De-Risking brauchten die Unternehmen nicht. Sie haben immer schon geschaut, wie man intensiver mit Indien und den Asean-Ländern kooperieren kann. Aber sie haben auch die Grenzen der Zusammenarbeit gesehen. Man kann China nicht durch ein Engagement in Vietnam ersetzen, durchaus aber ergänzen.

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16.04.2024

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Scholz hat seine Politik nunmehr der Realität angepasst. Er unterscheidet zwischen dem, was man sich aus guten Gründen wünscht, und dem, was machbar ist. Auf dieser Reise ging es also nicht mehr um weniger Zusammenarbeit, sondern wie früher darum, unter welchen Bedingungen man wirtschaftlich enger zusammenarbeitet. Deshalb waren Außenministerin Annalena Baerbock, Wirtschaftsminister Robert Habeck und FDP-Chef Christian Lindner auch nicht Teil der Delegation.

Damit stellt sich Scholz auch gegen die Position Ursula von der Leyens in Brüssel und ignoriert einfach, dass zwischen der EU und China noch wechselseitige Sanktionen bestehen. Die meisten EU-Länder folgen dieser realpolitischen Linie. Allen voran Frankreich. Das Credo: Man braucht den chinesischen Markt, ist aber etwas vorsichtiger als früher.

Peking hat das registriert und für Scholz’ Geschmack womöglich sogar etwas überbetont: Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua schreibt, Scholz sei „gegen Entkopplung und Handelsprotektionismus und ist bereit, ein Level Playing Field zu schaffen und die bilaterale Kooperation zu erweitern“.

Scholz wiederum antwortete, man habe alle „unverzichtbaren Fragen angesprochen“, die für ein faires Miteinander wichtig seien. Dabei erwähnte er ausdrücklich die „Überkapazitäten“ und „Subventionswettbewerbe“, aber auch „Urheberrecht“ und „öffentliche Ausschreibungen“. Er habe dabei „ein pragmatisches Umfeld gefunden“. „Gutes“ sei erreicht worden. Das sei, sagte er dann doch sehr vage, „immerhin ein Zeichen“.

Es ist also noch einiges zu tun. Auch beim Schweinefleisch gab es überraschenderweise keinen Durchbruch. Dass Deutschland nun frische Äpfel nach China liefern darf, ist ein schwacher Trost. Anderseits sind die Beziehungen komplexer geworden. Peking wird immer selbstbewusster, und in Berlin werden die Risiken des Engagements deutlicher. Der neue Alltag: Es dauert länger sich zu einigen. Das hätte Scholz deutlicher machen können.

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Auch außenpolitisch ist der Kanzler vorangekommen, wenn auch in Trippelschritten. Es ging vor allem um den Ukraine-Krieg und darum, eine Strategie voranzubringen ähnlich derjenigen, die Helmut Schmidt in den 80er-Jahren mit dem Nato-Doppelbeschluss verfolgte: maßvoll nachrüsten und gleichzeitig verhandeln.

Für Scholz kam es auf ein politisches Zeichen an, demzufolge Peking bereit ist, Putin Grenzen zu setzen und den chinesischen Einfluss mit Blick auf Friedensverhandlungen geltend zu machen. Dabei hat Scholz vielleicht zu hohe Erwartung geschürt, indem er noch unmittelbar vor dem Treffen mit Xi betonte, an den Erfolg seiner letzten Reise anknüpfen zu wollen. Gemeinsam hätten sie bei ihrer letzten Begegnung in Peking deutlich gemacht, „dass mit dem Einsatz von Nuklearwaffen nicht einmal gedroht werden darf“.

Anschließend sagte Scholz: „Gern möchte ich mit Ihnen heute darüber diskutieren, wie wir mehr zu einem gerechten Frieden in der Ukraine beitragen können.“ Damit schraubte er die Erwartungen etwas zu hoch. Scholz hat seinen außenpolitischen Freischwimmer, aber er bewegt sich noch nicht wie ein Fisch im Wasser.

Was er von Staats- und Parteichef Xi Jinping bekam, ging in die richtige Richtung, war aber vorsichtiger und kleinteiliger. Am Ende waren es zwei Sätze zu den Verhandlungsbedingungen: „Alle Länder müssen Platz am Tisch haben. Kein Land darf auf der Speisekarte stehen.“ Damit argumentiert Xi gleich in zwei Richtungen. Er kritisiert den Schweizer Friedensvorschlag einer Konferenz ohne Russland und er weist Putin in die Schranken. Xi will auch deutlich machen, wie er seine eigene Position sieht: eben nicht als parteiisch zugunsten Russlands.

Scholz kann das durchaus als Erfolg verbuchen. Das zeigt schon die prompte Äußerung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: „Ich möchte Olaf, dem deutschen Kanzler, besonders für seine Führungsrolle und angemessene internationale Kommunikation danken.“ China könne bei den Friedensbemühungen helfen. Selenskyj dankt wohlgemerkt demselben Scholz, der Taurus nicht liefern will und sich in der Frage gegen seine Außenministerin durchgesetzt hat. Selenskyj hätte auch schweigen können.

Dass er nicht geschwiegen hat, zeigt, dass er für China und für Scholz eine wichtigere Rolle im Friedensprozess wünscht: ein Punkt für Scholz auf dem Weg zum Friedenskanzler. Aber eben ein Punkt, der – anders als bei seiner letzten Reise – nicht auf den ersten Blick sichtbar wird. Auch weil Xis Satz es nicht in die öffentlichen Statements der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua geschafft hat und somit vorläufig als inoffiziell gelten muss. Für Scholz ein Wermutstropfen, der sich auch durch die großen Bilder des gemeinsamen Parkspaziergangs nicht wettmachen ließ.

In Xis offizieller Stellungnahme wertet er Scholz mit den Worten auf, die chinesisch-deutschen Beschlüsse gingen weit über die bilateralen Beziehungen hinaus und hätten einen „großen Einfluss auf den eurasischen Kontinent und die ganze Welt“. Beide Länder hätten „große Beiträge zur menschlichen Zivilisation geleistet“.

Aber Xi macht Scholz nicht zum wichtigsten Partner, wenn es um Frieden in Europa geht – (noch) nicht zum Friedenskanzler. Vielmehr definiert er Prinzipien für die Zusammenarbeit mit China: „Frieden und Stabilität“ sollten im Mittelpunkt stehen „statt eigennütziger Gewinne“. Zweitens gehe es darum, die „Lage abzukühlen“, statt „Feuer ins Öl zu gießen“. Und drittens, die „Bedingungen für Frieden zu verbessern“, statt „Spannungen zunehmen zu lassen“.

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Negative Aspekte für die Weltwirtschaft verringern, statt die Stabilität der globalen Lieferketten zu untergraben – das kann Scholz unterschreiben. Seiner Werbung für die Friedensverhandlungen in der Schweiz erteilen die Chinesen jedoch eine Absage. Verhandlungen ohne Russland ergeben aus ihrer Sicht keinen Sinn. Sie wollen eine internationale Friedenskonferenz, die „sowohl von Russland als auch von der Ukraine akzeptiert wird“ und bei der sie „gleichberechtigte Partner“ sind – eine Formulierung, die Scholz so nicht wählen würde. Aber es ergibt durchaus Sinn, alle an einen Tisch zu setzen, auch wenn es schwerfällt.

Klar wurde bei dem Treffen auch: Deutschland ist nicht, jedenfalls noch nicht, der wichtigste Player. Peking steht weiter im engen „Austausch mit allen betroffenen Parteien inklusive Deutschlands“. Noch fährt man in Peking mit angezogener Handbremse, noch ist nicht klar, mit welchem europäischen Politiker China in der Frage kooperieren will – mit dem Franzosen Emmanuel Macron, mit Olaf Scholz oder mit beiden. Die Chinesen loten nüchtern aus, mit wem sie ihre Interessen besser durchsetzen können. Sie spielen Macron gegen Scholz. Das ist nur möglich, weil die beiden sich nicht koordinieren: ein Problem für Europa und eine Chance für Peking.

Bis zur bevorstehenden Putin-Reise nach Peking und dem Besuch von Xi Jinping in Paris will man sich nicht zu sehr festlegen. Damit muss Scholz leben, auch wenn er einiges erreicht hat. Es sei „ein Baustein gesetzt“ worden für einen Friedensprozess, wie Scholz es ausdrückte. Aber es gibt noch kein Gebäude. Das hat Scholz verstanden. Entsprechend vorsichtig formuliert er: „Es soll weitergehen“, und er „findet eine breite Unterstützung, solche Gesprächsprozesse voranzubringen“.

Die Fortsetzung folgt im Mai in Paris – dann aber wohl ohne Scholz. Deutlicher denn je ist jedenfalls: Xi ist der einzige Vertreter des einzigen Landes, auf den sowohl Putin als auch Selenskyj hören. In dieser Funktion gibt er Scholz dann auch selbstbewusst Hausaufgaben mit auf den Weg. Er braucht nur zu betonen, was Scholz selbst sagt. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua gibt Xis Position wieder: „Als wichtiges Mitglied der Europäischen Union sei Deutschland bereit eine positive Rolle zu spielen, wenn es darum geht, eine solide Entwicklung der China-EU-Beziehungen voranzutreiben.“

Die Botschaft ist klar: Wer Europa in der Ukraine-Frage eint, qualifiziert sich als Pekings Partner im Friedensprozess. Denn wichtiger als Paris und Berlin gegeneinander auszuspielen, ist Peking ein Europa, das sich gegenüber den USA selbstbewusster zeigt. Und Xis Botschaft zeigt noch etwas. Ob der Westen es gut findet oder nicht: Frieden ohne Peking wird es in der Ukraine nicht geben.

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Klarheit nach Kanzlerbesuch: Ohne Peking wird es kein Ende des Ukraine-Kriegs geben

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18.04.2024

Mit seiner Reise hat Bundeskanzler Olaf Scholz zunächst ein innenpolitisches Zeichen gesetzt: Er hat die „China-Strategie“ der Koalition und der EU hinter die politischen Kulissen verbannt.

Hat sie ad acta gelegt, ohne es zu betonen, und eine andere Richtung eingeschlagen, die nunmehr maßgeblich ist. Ein leiser Affront gegen seine Koalitionspartner gewissermaßen.

Bei der China-Strategie, die in der Koalition vor allem von den Grünen, aber auch der FDP vorangetrieben wurde, ging es darum, die Zusammenarbeit mit China herunterzufahren. Irgendwo zwischen De-Risking und Entkopplung, um weniger abhängig von Chinas Kommunisten zu sein. Die Strategie selbst war schon ein Kompromiss zwischen dem, was das grüne Auswärtige Amt wollte – noch weniger Zusammenarbeit und mehr Konfrontation –, und dem, was das Kanzleramt für realistisch hielt.

Scholz in China – Experte: Peking vernimmt „chaotische Stimmen“ aus deutscher Regierung

13.04.2024

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Scholz hat nun befunden, dass diese Strategie nicht alltagstauglich ist. Die Wirtschaft hat sich längst entschieden, auch mangels Alternative, weiterhin eng mit China zusammenzuarbeiten. 2023 war geprägt von deutschen Rekordinvestitionen in China – gegen den globalen Trend. Den politischen Hinweis des De-Risking brauchten die Unternehmen nicht. Sie haben immer schon geschaut, wie man intensiver mit Indien und den Asean-Ländern kooperieren kann. Aber sie haben auch die Grenzen der Zusammenarbeit gesehen. Man kann China nicht durch ein Engagement in Vietnam ersetzen, durchaus aber ergänzen.

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16.04.2024

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Scholz hat seine Politik nunmehr der Realität angepasst. Er unterscheidet zwischen dem, was man sich aus guten Gründen wünscht, und dem, was machbar ist. Auf dieser Reise ging es also nicht mehr um weniger Zusammenarbeit, sondern wie früher darum, unter welchen Bedingungen man wirtschaftlich enger zusammenarbeitet. Deshalb waren Außenministerin Annalena Baerbock, Wirtschaftsminister Robert Habeck und FDP-Chef Christian Lindner auch nicht Teil der Delegation.

Damit stellt sich Scholz auch gegen die Position Ursula von der Leyens in Brüssel und ignoriert einfach, dass zwischen der EU und China noch wechselseitige Sanktionen bestehen. Die meisten EU-Länder folgen dieser realpolitischen Linie. Allen voran Frankreich. Das Credo: Man braucht den chinesischen Markt, ist aber etwas vorsichtiger als früher.

Peking hat das registriert........

© Berliner Zeitung


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