Auch in diesem Jahr ringen bei der Weltklimakonferenz (COP28), diesmal in Dubai, die Aufsteigerländer und die etablierten Industrieländer um die Frage, wer dem Klima wie viel geschadet hat und deshalb wie viel wiedergutmachen muss. Noch gibt es keine Einigung, doch so viel steht fest: Die Perspektive des Globalen Südens wird immer wichtiger und unterscheidet sich sehr von der der Industrienationen.

Geht es nach dem Westen und ist fossile Energie der Maßstab, scheint die Einschätzung klar zu sein: Allein die Emissionen aus fossilen Energieträgern werden in diesem Jahr voraussichtlich in China um vier Prozent steigen, in Indien sogar um 8,4 Prozent, während sie in den USA um drei Prozent und in der EU sogar um 7,8 Prozent sinken.

Das hat das norwegische Center for International Climate Change errechnet. Der Westen ist Vorbild. China hingegen ist von den aufsteigenden Nationen der größte Klimaschädiger der Welt. Mit 18 Prozent Anteil an der Weltwirtschaft ist China für ein Drittel des globalen CO₂-Ausstoßes verantwortlich. Es sind knapp zehn Milliarden Tonnen in China, dagegen 4,4 Milliarden Tonnen in den USA.

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04.12.2023

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Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Schaut man sich den Pro-Kopf-Ausstoß an, sieht die Welt anders aus. Dann sind die USA mit gut 14 Tonnen führend, während China mit knapp neun Tonnen deutlich niedriger liegt, nur ein wenig höher als Deutschland. Und in Frankreich ist der CO₂-Ausstoß mit gut vier Tonnen wegen des Atomstroms nur halb so hoch wie in Deutschland.

Die Inder wiederum liegen sogar unter zwei Tonnen.

Wenn man nun davon ausgeht, dass alle Menschen gleich sind, also auch das gleiche Recht haben, die Umwelt zu verschmutzen, dann wäre es sinnvoll, sich auf einen Mittelwert zu einigen, den gewissermaßen jeder Mensch einhalten muss. Das würde allerdings dramatische Einschnitte für die USA bedeuten, noch viel Spielraum für Indien, und für China, dass man den Pro-Kopf-Ausstoß halten müsste.

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Allerdings fehlt dann noch immer eine weitere Dimension: die Geschichte der Umweltverschmutzungen. Über die Jahrzehnte gerechnet sind die Industrienationen die viel größeren Umweltverschmutzer. Wenn man davon ausgeht, dass jedes Land ein CO₂-Budget hat, dessen Überschreitung verhindern soll, dass die Welt sich um mehr als 1,5 Grad erwärmt, dann sieht die Rechnung noch einmal anders aus, selbst wenn man erst 1960 zu rechnen beginnt.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet hatten die USA und Deutschland etwa 1980 bereits ihr Budget ausgeschöpft. Heute haben die USA ihr Budget um fast 400 Prozent überzogen und Deutschland um gut 250 Prozent, während China sein Budget erst zu knapp 60 Prozent ausgeschöpft hat und Indien sogar erst zu 15 Prozent.

Kurz: Die etablierten G7-Länder haben aus diesem Blickwinkel in unterschiedlicher Höhe Klimaschulden bei den Aufsteigerländern. Das bedeutet, die G7 müssten China, Indien oder Brasilien eigentlich Geld geben, um ihre Schulden zu begleichen, und ihnen damit helfen, den Anstieg des CO₂-Ausstoßes zu stoppen.

Bei China kommt noch eine Besonderheit hinzu: China ist der größte Umweltsünder, zugleich aber auch der größte Umweltschützer. Die Chinesen werden in diesem Jahr 440 Terawattstunden (TWh) aus sauberen Energien wie Solar, Wind, Wasser und Atomkraft generieren. Das ist erstmals mehr als ihr durchschnittlicher Zuwachs an Strom in den vergangenen zehn Jahren, der bei knapp 370 TWh liegt. Das hat das finnische Center for Resarch on Energy and Clean Air (CREA) errechnet.

Allein in den Wind- und Solarsektor haben die Chinesen in diesem Jahr 140 Milliarden US-Dollar investiert und damit Anlagen errichtet, die zusammen 230 Gigawatt Strom erzeugen. Damit hat China allein doppelt so viel installiert wie die USA und Europa zusammen. Die Chinesen müssen sich also in dieser Hinsicht nicht vom Westen belehren lassen.

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Damit, so CREA, ist China viel schneller unterwegs als geplant. Wenn der Trend anhält, könnte China im Energiegewinnungssektor seinen Höchststand an CO₂-Emissionen schon in den „nächsten zwei Jahren erreichen“, so CREA, trotz eines Anteils von Kohle an der Stromerzeugung von mehr als 60 Prozent und eines Anstiegs der Kohleverstromung um 40 Gigawatt, während die Welt um 19 Gigawatt reduziert hat. Ursprünglich wollte China den Höchststand erst Ende des Jahrzehnts schaffen.

Zudem werden 80 Prozent der Solarzellen weltweit in China hergestellt, mit einem unschlagbaren Preis-Leistungs-Verhältnis, das zwar einerseits die deutsche Solarindustrie zugrunde gerichtet hat, aber andererseits den Kampf gegen den Klimawandel erst global bezahlbar macht.

Die große Streitfrage zwischen den etablierten G7-Industrienationen und den Aufsteigerländern lautet nun, wer aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven wie viel für den Klimawandel tun muss. Der Westen wird betonen, dass China bei der Umweltverschmutzung derzeit das größte Problem ist.

China und die anderen Aufsteigerländer werden demgegenüber auf die Pro-Kopf-Zahlen und die historischen CO₂-Budgets hinweisen. Peking wiederum wird deutlich machen, dass China allein doppelt so viele neue Wind- und Solaranlagen installiert wie die westlichen Länder zusammen.

Auf welche Berechnungsmethode man sich einigt, ist am Ende eine politische Entscheidung. Es geht also letztlich um die Frage, wer global die größere Macht hat.

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Mit Blick auf die Ergebnisse des jüngsten G20-Gipfels ist durchaus denkbar, dass sich die Aufsteigerländer mit ihrer Sicht viel mehr und viel schneller durchsetzen, als mancher im Westen, die guten Argumente auf seiner Seite wähnend, derzeit vermutet.

Wenn die Aufsteigerländer sich durchsetzen, würde das für den Westen bedeuten: schmerzhafte und teure Einschnitte zugunsten der Entwicklungsländer und eine noch stärkere Belastung der Wirtschaft für eine gerechtere Welt. Damit reden wir also über Klimareparationen des Westens an den Globalen Süden. Im Westen mit einer solchen Entwicklung zu rechnen, kann in jedem Fall nicht schaden, zumal die Aufsteigerländer auch einen Großteil der fossilen Energien kontrollieren, auf die der Westen noch jahrelang angewiesen ist.

Der Bestsellerautor und Journalist Frank Sieren lebt seit 30 Jahren in China. Sein jüngstes Buch China to go – Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur – 100 innovative Trends und erhellende Einblicke“ ist gerade im Penguin-Verlag erscheinen.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

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Der Westen ist mit Blick auf den CO₂-Ausstoß pro Kopf der größte Umweltsünder

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06.12.2023

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04.12.2023

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Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Schaut man sich den Pro-Kopf-Ausstoß an, sieht die Welt anders aus. Dann sind die USA mit gut 14 Tonnen führend, während China mit knapp neun Tonnen deutlich niedriger liegt, nur ein wenig höher als Deutschland. Und in Frankreich ist der CO₂-Ausstoß mit gut vier Tonnen wegen des Atomstroms nur halb so hoch wie in Deutschland.

Die Inder wiederum liegen sogar unter zwei Tonnen.

Wenn man nun davon ausgeht, dass alle Menschen gleich sind, also auch das gleiche Recht haben, die Umwelt zu verschmutzen, dann wäre es sinnvoll, sich auf einen Mittelwert zu einigen, den gewissermaßen jeder Mensch einhalten muss. Das........

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