„Final Girl“ ist ein unter Horrorfilmfans bekannter Begriff. Gemeint ist damit das Mädchen, das einen Slasher-Film bis zum Ende überlebt und somit als Heldin und Identifikationsfigur gelesen werden kann. Slasher-Filme wiederum sind ein Subgenre des Horrorfilms, kamen in den 1970ern auf und hatten in den 1980ern ihre feste Formel gefunden: Ein meist männlicher, meist maskierter Killer macht mit Waffen wie Messern (fast nie Schusswaffen) Jagd auf Menschen, vor allem Frauen.

Dabei fallen ihm in der Regel die Menschen zum Opfer, die sich ein bisschen gehen lassen (Sex, Drogen, Party, Unachtsamkeit), während die „Jungfrau“ überlebt. Phallische Messer, die in die halbnackten Körper junger Frauen eindringen, gehören zum typischen Repertoire eines Slashers. Wer nun vermutet, dass diese Art von Filmen eine Menge Kritik gerade von Feministinnen auf sich gezogen haben, liegt richtig.

Das Final Girl Berlin Film Festival (FGBFF) begnügt sich nicht mit Kritik an stereotypen Geschlechterbildern in Horrorfilmen, sondern zeigt auch gleich, wie es anders geht. Tatsächlich gibt es nicht nur viele Horrorfilme, die nicht von heterosexuellen cis-Männern geschrieben, produziert oder gedreht wurden, sondern gerade in diesem dunklen Genre auch eine Menge patriarchatskritischen Stoff.

Wer sich einmal „The Bride of Frankenstein“ von James Whale aus dem Jahr 1935 genau anguckt, wird feststellen, dass bereits dieser frühe Klassiker die Mann-Frau-Ehe sehr kritisch sieht und unterschwellig ganz schön queer ist. Und gerade queere Menschen, die in einer heteronormativen Gesellschaft mehr oder minder direkt als abnorm, widernatürlich oder gar monströs ge-othert werden, finden in den Monstern der Horrorfilmwelt eine Möglichkeit, ihre Ängste und Außenseitergefühle in einem geschützten Rahmen zu erleben und aus negativen Gefühlen positive zu machen.

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04.02.2024

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Die Idee hinter dem Festival entstand bereits 2009 in Los Angeles im Rahmen des damals zum ersten Mal ausgerufenen „Women in Horror“-Monats. Weibliche Perspektiven in und auf Horrorfilme sollten mehr öffentliche Wahrnehmung erhalten, gefördert werden und sich vernetzen. Es dauerte aber noch bis 2017, bis Elinor Lewy, Lara Mandelbrot und Sara Neidorf das erste Festival in Berlin umsetzen konnten, damals noch in der kleinen Z-Bar in Berlin-Mitte.

Natürlich waren und sind Frauen und nicht-binäre Menschen auch in anderen Genres entweder unterrepräsentiert und/oder häufig stereotyp dargestellt. Das gilt für Science-Fiction wie für romantische Komödien oder Pornofilme. Das Horror-Genre ist für gesellschaftspolitische Debatten aber womöglich besonders fruchtbar. Zum einen verhandelt es meist besonders plakativ gesellschaftliche Probleme, Tabuthemen und verdrängte Ängste und Ambivalenzen. Zum anderen ist es nicht an die Behauptung gebunden, realistisch zu sein; und kann deswegen spielerisch besonders gut in schwierige Bereiche des Menschseins vorstoßen.

Und schließlich war der Horror immer schon politisch doppelbödig: Indem er die Bedrohung und (vorübergehende) Zerstörung der gesellschaftlichen Ordnung im individuellen oder größeren Maßstab zeigt, thematisiert der Horrorfilm einerseits die Bedeutung dieser Ordnung, andererseits aber auch deren Verwundbarkeit und mögliche Veränderbarkeit. Das Monströse hat auch utopisches Potenzial. So bleibt selbst in einem reaktionären Film wie „Der Exorzist“ am Ende neben Angst vor der dämonischen Besessenheit auch eine Faszination dieser rustikalen Teenager-Revolte und die Frage, ob die Vaterlosigkeit des Mädchens den Teufel ins Haus holt oder nicht doch eher der sehr subtil angedeutete sexuelle Missbrauch durch einen Freund der Mutter.

Zu solchen und ähnlichen Themen zeigt das FGBFF Nr. 9 Kurz- und Langfilme im City-Kino Wedding. Die Kurzfilme sind unter Oberbegriffen wie „Workplace“, „Tech“, „Queer“, „Family“, „Body Politics“ oder auch „Party Films“ gebündelt. Die Langfilme sind in der Regel Deutschlandpremieren, in den Originalsprachen mit englischen Untertiteln. In „Booger“ von Mary Dauterman geht es um die krassen Veränderungen, die eine Frau nach dem Tod ihrer Freundin durchlebt. In „Somewhere Quiet“ von Olivia West Lloyd geht es um die Frage, was mit einem Final Girl passiert, nachdem der Abspann gelaufen ist, denn die weibliche Hauptfigur hat zwar eine brutale Entführung überlebt, ist aber seelisch dem Horror noch lange nicht entkommen.

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Andere Filme wie „Our Father, the Devil“ von Ellie Foumbi thematisieren die dunkle Vergangenheit, die eine aus Afrika stammende Frau in Frankreich einholt; in „My Animal“ von Jacqueline Castel geht es um die Abgründe einer gleichgeschlechtlich Verliebten. Wohl einer der verstörendsten Filme des Festivals dürfte „Cold Light of Day“ aus dem Jahr 1990 sein. Darin widmet sich Regisseurin Fhiona-Louise dem schottischen Serienmörder Dennis Nilsen, der junge Männer und minderjährige Jungen „aufriss“, umbrachte und mit den Leichen sexuell verkehrte.

Neben den Filmen gibt es Workshops, in denen man gegen Spende Collagen aus den eigenen Albträumen anfertigen oder sich als furchtlose Vampirkillerin in Selbstverteidigung schulen lassen kann. Außerdem gibt es Talks zu Themen wie „Horror als feministisches Archiv“, „kotzende Frauen in Horrorfilmen“ oder über die Ängste von trans-Menschen in digitalem Horror. Außerdem gibt es am Samstag ab 23 Uhr eine Party in der Cocktailbar „Drehmoment“ in der Glasgower Straße 29. Ein Pass für das gesamte Festival kostet 66 Euro. Einzelkarten kosten 8 Euro und können im City-Kino Wedding oder auf der Homepage des FGBFF gekauft werden.

Final Girls Berlin Film Festival. City-Kino Wedding, Müllerstraße 74, 7.–11. Februar, Details auf finalgirlsberlin.com.

QOSHE - Final Girls Berlin Film Festival: Mehr als Sex, Drogen, Party und Unachtsamkeit - Anselm Neft
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Final Girls Berlin Film Festival: Mehr als Sex, Drogen, Party und Unachtsamkeit

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06.02.2024

„Final Girl“ ist ein unter Horrorfilmfans bekannter Begriff. Gemeint ist damit das Mädchen, das einen Slasher-Film bis zum Ende überlebt und somit als Heldin und Identifikationsfigur gelesen werden kann. Slasher-Filme wiederum sind ein Subgenre des Horrorfilms, kamen in den 1970ern auf und hatten in den 1980ern ihre feste Formel gefunden: Ein meist männlicher, meist maskierter Killer macht mit Waffen wie Messern (fast nie Schusswaffen) Jagd auf Menschen, vor allem Frauen.

Dabei fallen ihm in der Regel die Menschen zum Opfer, die sich ein bisschen gehen lassen (Sex, Drogen, Party, Unachtsamkeit), während die „Jungfrau“ überlebt. Phallische Messer, die in die halbnackten Körper junger Frauen eindringen, gehören zum typischen Repertoire eines Slashers. Wer nun vermutet, dass diese Art von Filmen eine Menge Kritik gerade von Feministinnen auf sich gezogen haben, liegt richtig.

Das Final Girl Berlin Film Festival (FGBFF) begnügt sich nicht mit Kritik an stereotypen Geschlechterbildern in Horrorfilmen, sondern zeigt auch gleich, wie es anders geht. Tatsächlich gibt es nicht nur viele Horrorfilme, die nicht von heterosexuellen cis-Männern geschrieben, produziert oder gedreht wurden, sondern gerade in diesem dunklen Genre auch eine Menge patriarchatskritischen Stoff.

Wer sich einmal „The Bride of Frankenstein“ von James Whale aus dem Jahr 1935 genau anguckt, wird feststellen, dass bereits dieser frühe Klassiker die Mann-Frau-Ehe sehr kritisch sieht und unterschwellig ganz schön queer ist. Und........

© Berliner Zeitung


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