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Ukrainische Operation in Kursk „peinlich“ für Putin? Was die Russen wirklich davon halten

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03.09.2024

Politische Freiheit beginnt damit, dass in der Mehrheit des Volkes der Einzelne sich für die Politik seines Gemeinwesens mit haftbar fühlt – dass er nicht nur begehrt und schilt – dass er vielmehr von sich verlangt, Realität zu sehen und nicht zu handeln aus dem in der Politik falsch angebrachten Glauben an ein irdisches Paradies, das nur aus bösem Willen und Dummheit der anderen nicht verwirklicht werde – dass er vielmehr weiß: Politik sucht in der konkreten Welt den je gangbaren Weg, geführt von dem Ideal des Menschseins als Freiheit.

Karl Jaspers „Die Schuldfrage. Von der politischen Haftung Deutschlands“

Unter der Eisenkuppel,

Hinter dem Eisernen Vorhang

Hält sich unsere rätselhafte Seele versteckt

Durch nichts zu bringen, aus dem Einklang

Von der widergespiegelten Schönheit des Panzerigels einmal geweckt


Noize MC „Stoletnjaja vojna“ [Hundertjähriger Krieg]

Die ukrainische Militäroperation in der russischen Region Kursk sei für den russischen Staatschef Wladimir Putin „in jeder Hinsicht peinlich, weltpolitisch wie innenpolitisch“, schrieb jüngst Matthias Koch, Chefautor des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Schließlich habe Russlands starker Mann niemals so schwach gewirkt. Insbesondere sei Putin gegenüber der russischen Gesellschaft wortbrüchig geworden und könne die Sicherheit nicht mehr gewährleisten, führt Koch in seinem lesenswerten Kommentar aus. Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln, schreibt auf X (vormals Twitter), dass die Zeit angesichts der Angriffe auf kritische russische Infrastruktur auch gegen Putin laufe und der Krieg nach Russland gekommen sei. So argumentativ verständlich, denkanregend und logisch nachvollziehbar derartige Einschätzungen auch zu sein scheinen, tangieren diese den Kern des russischen Macht- und Gesellschaftssystems noch nicht einmal ansatzweise.

Denn die tatsächlichen Auswirkungen des erneuten Putin’schen Versagens für die Stabilität seines Regimes dürften wieder einmal begrenzt bleiben. Schließlich weiß sich Herr Putin seit beinahe einem Vierteljahrhundert innenpolitisch ausgesucht und erstaunlich folgenarm zu blamieren. Im Hintergrund all‘ seiner skandalösen Blamagen bleibt Putin nach wie vor unbestritten im Olymp der Macht. Denn das wahre Problem besteht darin, dass selbst die erfolgreich verlaufende ukrainische Militäroperation in der Region Kursk Putin weder ernsthaft in Gefahr bringt noch unter Druck setzt oder auch nur unter Erklärungszwang stellt.

Denn gänzlich unbeeindruckt vom zunehmenden Strom an Binnenflüchtlingen lässt sich Wladimir Putin als vollkommen schamlos als „die letzte Hoffnung der einfachen Menschen auf Rettung in der Not“ inszenieren. Solcherart funktioniert die Erzählung vom „guten, hart arbeitenden Präsidenten“, der „gegen die allgegenwärtige Korruption und Inkompetenz der Bürokratie anzukämpfen“ habe, auch im 25. Jahr von Putins Herrschaft perfekt. Warum sollte dieses Narrativ auch fehlschlagen? Bildet die Erzählung vom „guten Zaren“ doch eine tragende Säule der politischen Kultur Russlands, die selbst die totalitäre Blutdiktatur Josef Stalins unbeschadet überdauern konnte. Damals wie heute müssen stets die anderen alle Verantwortung für die dramatischen Folgen des Kreml’schen Versagens übernehmen.

Russlands langjähriger Machthaber braucht noch nicht einmal nennenswerte Prestigeeinbußen zu fürchten. Vom Letzteren zeugen die aktuellen Umfragen des renommierten – von der russischen Regierung als „Auslandsagent“ gebrandmarkten – Meinungsforschungsinstituts Levada-Zentrum vom 29. August sowie 30. August 2024.

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Den aktuellen Levada-Umfragen zufolge stagniert das Interesse der russischen Bevölkerung am Kriegsgeschehen in der Ukraine, von einzelnen Interessensspitzen abgesehen, seit dem Höchstwert von 66 Prozent vom September 2022 bei rund 50 Prozent. Im August 2024 verfolgen nur noch 52 Prozent der Befragten (18 Prozent „sehr aufmerksam“ und 34 Prozent „ziemlich aufmerksam“) das Kriegsgeschehen. Letzteres ungeachtet der Angriffsoperation Kiews in der Region Kursk. Interessanterweise geben 91 Prozent der Befragten an, über die Ereignisse in der Region Kursk besorgt zu sein; davon 63 Prozent „sehr besorgt“ und 28 Prozent „eher besorgt“. Die aktuellen Entwicklungen in Kursk verfolgen aber lediglich 51 Prozent aufmerksam, 43 Prozent hingegen geben an, davon zumindest gehört zu haben. Eine dramatische Auswirkung auf die Stimmung der Befragten oder gar auf die Zustimmung gegenüber der Staatsführung scheint es durch die ukrainische Kursk-Offensive aber nicht zu geben.

Denn die Unterstützung der sogenannten „Spezialmilitäroperation“ bleibt nach wie vor auf einem hohen Niveau. Demnach befürworten im August 78 Prozent der Befragten das Vorgehen der russischen Streitkräfte in der Ukraine; davon 43 Prozent „definitiv ja“ und 35 Prozent „eher ja“. Gleichzeitig bleibt die Zahl derjenigen, die den Kriegshandlungen gegenüber eine ablehnende Haltung zeigen, mit 15 Prozent deutlich unter der 20-Prozent-Marke. Selbst wenn man sieben Prozent der Befragten mit „keiner Antwort“ zu Kriegsgegner dazurechnet, bleibt die Zahl der gegenüber den Kriegshandlungen skeptisch eingestellten Personen niedrig.

Im Übrigen wurde die höchste Negativstimmung unmittelbar nach dem Ausbruch der Kampfhandlungen Ende Februar 2022 mit 23 Prozent (plus neun Prozent „keine Antwort“) gemessen. Damit kann abseits sophistischer Spitzfindigkeit klar festgehalten werden, dass seit Invasionsbeginn am 24. Februar 2022 vier von fünf Befragten Russlands Kriegshandlungen grundsätzlich unterstützen. Vor diesem Hintergrund ist auch die mangelnde Kompromissbereitschaft der Befragten gegenüber den Ukrainern nicht überraschend, obgleich auch erschreckend.

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Die Zahl der Befürworter von Friedensgesprächen liegt im August 2024 mit 50 Prozent zwar über der Zahl der Befürworter der Fortsetzung von Kampfhandlungen mit 41 Prozent. Doch bleibt die Zahl derjenigen, die die Fortsetzung der Kampfhandlungen „definitiv“ unterstützen, im direkten Vergleich mit den entschiedenen Befürwortern der Friedensgespräche nach wie vor etwas höher – 26 gegen 23 Prozent.

Diese Zahlen zeugen allerdings nicht vom Wunsch nach einem ehrlichen Frieden aufseiten der russischen Bevölkerung. Die jüngste Umfrage zur Frage der Zugeständnisse stammt aus Mai 2024. Ausgehend von den Gesamtergebnissen der aktuellen Levada-Umfragen dürften zu Zugeständnissen nach wie vor wohl nur wenige bereit sein. Im Mai 2024 waren lediglich 17 Prozent (davon fünf Prozent „definitiv ja“ und zwölf Prozent „eher ja“; im Vergleich dazu 50 Prozent „definitiv nein“ und 26 Prozent „eher nein“) der Meinung, dass Russland für das Ende der sogenannten Spezialmilitäroperation und für einen Friedensvertrag „gewisse Zugeständnisse“ machen sollte. Im Übrigen handelte es sich hierbei um den niedrigsten Wert seit Umfragebeginn im Februar 2023. Zu den gewünschten beziehungsweise zulässigen Inhalten des Friedensvertrages zählten im Mai 2024 70 Prozent (davon sehen 51 Prozent diesen Punkt als Wunschinhalt) den sofortigen Waffenstillstand sowie 94 Prozent den Gefangenenaustausch.

Die Rückführung der eroberten Gebiete sahen........

© Berliner Zeitung


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