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Blue New Deal | Pimp die Ozeane: Kann Geo-Engineering im Meer die Klimakrise bremsen?

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10.08.2024

Im Zeitalter des Klimawandels denken bei arktischem Eis viele von uns wahrscheinlich unweigerlich an Erwärmung. Nicht so die Gründer von „Arctic Ice“: Das Start-Up klaubt Eisblöcke, die sich vom Grönländischen Eisschild gelöst haben, aus dem Wasser und verschifft sie in die Vereinigten Arabischen Emirate, wo sie als Würfel für kühle Drinks sorgen sollen.

Die Emissionen des Transports über tausende von Kilometern in gekühlten Containern plant das junge Unternehmen künftig zu kompensieren – indem Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre gesaugt und unterirdisch eingelagert wird. Und nicht nur das: „Wir zielen darauf ab, doppelt so viel CO2 auszugleichen, wie wir emittieren,“, sagt „Arctic Ice“.

Anders gesagt: Das grönländische Start-up wird sehr viel Energie aufwenden, um Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre zu ziehen, das dort nicht wäre, wenn man auf ein überflüssiges Produkt verzichtete. Das könnte man als versponnene Geschäftsidee abtun – wäre es nicht eine Parabel auf die weltweite Klimapolitik. Die Menschheit hätte genug Zeit gehabt, ihre Emissionen so weit zu reduzieren, dass die Erderwärmung 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter nicht überschreitet. Diese Gelegenheit hat sie verstreichen lassen, und so wird es inzwischen laut internationalem Klimarat IPCC notwendig sein, der Atmosphäre CO2 zu entziehen, wenn man die Erwärmung überhaupt noch auf zwei Grad beschränken will. Dafür müssten in den nächsten 75 Jahren 100 bis 1.000 Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre gezogen werden. Zur Einordnung: Aktuell emittiert etwa die EU jährlich 3,5 Gigatonnen CO2-Äquivalente.

Und wer soll’s richten? Die Ozeane. Diese unendlichen Weiten und Tiefen, die schon heute ein Viertel aller menschengemachten CO2-Emissionen aus der Atmosphäre in sich aufnehmen. Weshalb die „Erderwärmung“ eigentlich zu 90 Prozent eine Meereserwärmung ist. Die Weltmeere selbst sind im Hitzestress. 2023 war ein Jahr alarmierender Rekorde: Die Gletscher haben mehr Eis verloren als in jedem anderen Jahr seit 1950, die maximale Ausdehnung des antarktischen Meereises blieb eine Million Quadratkilometer hinter dem letzten Negativrekord zurück, und seit April 2023 ist die Meeresoberflächentemperatur durchweg höher als je zuvor. Das wärmere Wasser an der Oberfläche schwächt die Durchmischung ab – nährstoffreiches Wasser der Tiefsee gelangt so schlechter an die Oberfläche, das beeinflusst das Netz aus Nahrungsketten, das die Meere durchzieht. Wärmeres Wasser kann auch weniger Sauerstoff aufnehmen, der für viele Organismen lebensnotwendig ist.

Dennoch, so lautet scheinbar die Maxime, ist Kohlenstoffdioxid im Wasser das kleinere Übel als in der Luft. Wie man allerdings solch gigantische Mengen des Treibhausgases aus der Atmosphäre ziehen soll, das – so drückt es der IPCC diplomatisch aus – unterliege „vielfältigen Einschränkungen bezüglich Machbarkeit und Nachhaltigkeit“. Lili Fuhr, die den Bereich fossile Wirtschaft beim US-amerikanischen Center for International Environmental Law leitet, formuliert es direkter: „Es ist absolut spekulativ und unsicher, ob wir überhaupt große Mengen CO2 aus der Atmosphäre entnehmen und dauerhaft speichern können.“ Sie hält solche Technologien des Climate oder Geoengineerings für „eine total fehlgeleitete Richtung in der Klimapolitik“. Die Sorge: Je machbarer es erscheint, der Atmosphäre CO2 zu entziehen, desto weniger Mühe wird sich die Menschheit geben, ihre Emissionen zu mindern. Fuhr fürchtet, dass die fossile Industrie ein weiteres Mal Augenwischerei betreibt: Heute sei nicht mehr der Klimawandel selbst strittig, sondern wie ihm zu begegnen ist. Negative Emissionstechnologien, auf Englisch Carbon Dioxide Removal (CDR), könnten eine riesige Industrie werden: Die EU plant, handelbare Zertifikate für entnommenes CO2 zu vergeben. Hier könnte sich ein Markt ähnlich wie bei den Kompensationszertifikaten entwickeln, die man etwa für Flüge kaufen kann.

Zur Diskussion steht nicht nur, ob man überhaupt CO2 aus der Atmosphäre entfernen will, sondern bei welchen Emissionen das gerechtfertigt ist. Beim IPCC ist von „schwer vermeidbaren Restemissionen“ die Rede. Welche das sind, muss politisch festgelegt werden. Darunter könnten einerseits Lachgas- und Methanemissionen fallen, die vor allem von der Landwirtschaft verursacht werden, etwa beim Reisanbau, bei der Viehhaltung und als Folge von stickstoffhaltigem Dünger. Andererseits stehen aber auch CO2-Emissionen zur Debatte, die entstehen, wenn Kalkstein für die Zementherstellung entsäuert wird. Geht man davon aus, dass ein Rest solcher Emissionen bleiben wird, muss an anderer Stelle CO2 entnommen werden, um bei netto null Treibhausgasen zu landen. Doch wenn die Verfahren dazu erst einmal machbar erscheinen, könnten sie Begehrlichkeiten wecken. Nach dem Motto: Weiter wie bisher, wir holen das CO2 ja einfach wieder aus der Luft. Nur: Einfach ist an diesen kühnen Ideen nichts, das zeigen die folgenden fünf Beispiele.

Der Ozean ist........

© der Freitag


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