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Egon Krenz im Theater Freiburg: Nachhilfeunterricht für grüne Schlauberger

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27.07.2024

Dies ist ein Open-Source-Beitrag. Der Berliner Verlag gibt allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten.

Der Mann am Nachbartisch wendet den Kopf und fragt: „Sind Sie Herr Krenz?“ Das kann der unschwer leugnen. Die versichernde Nachfrage wird häufig gestellt, wenn er im Osten unterwegs ist. Tief im Westen – wir sitzen in Freiburg im Breisgau auf der Terrasse eines Italieners – ist sie eher ungewöhnlich. Der Mann outet sich jedoch als Mecklenburger, der seit zwölf Jahren hier lebt und arbeitet.

Egon Krenz ist in diesem Teil der abgeschiedenen Welt den Einheimischen eher unbekannt. Vielleicht will ihn das hiesige Theater deshalb präsentieren. Nachhilfeunterricht sozusagen.

Der Ex-Staats- und Parteichef hatte lange mit einer Zusage gezögert. Das war weniger der niedrigen Gage als den großen Strapazen geschuldet. Über tausend Kilometer und das mit 87 Jahren. Wir sind doch verrückt, meinte er vom Beifahrersitz ein ums andere Mal und blickte zugleich entzückt auf die vorbeifliegende Landschaft. Die grünen Berge in der Ferne und erntereife Felder neben der Piste, in der Sonne glitzerten Gewässer und grüßten aus Tälern schlafende Siedlungen, von Kirchturmspitzen keck überragt, und über allem spannte sich ein strahlend blauer Juli-Himmel.

Diese freundlich-friedlichen Bilder würden ihn später veranlassen, dem erstaunten Publikum zu erklären, dass er Deutschland liebe, nicht aber dessen politisches System. Mit einer solchen Ansage hatte er bereits die drei Redakteure verblüfft, die ihn vorm Auftritt im Theater in der Redaktion der Badischen Zeitung interviewten. Das Blatt ist der Platzhirsch im Breisgau, die Auflage wohl um mehr als ein Drittel gesunken, aber noch immer sechsstellig.

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Die Frage nach seinem Befinden hatte Krenz – vermutlich entgegen ihrer Erwartung – nämlich positiv beantwortet: Er fühle sich ganz wohl in diesem Land. Wahrscheinlich war ein verbitterter Greis erwartet worden, der mit allem haderte, insbesondere mit seinem Schicksal. Stattdessen: Krenz „ist nicht ohne Charisma“, befinden sie, „ein freundlicher älterer Herr in weißem Hemd und hellen Leinenschuhen“, „ein wacher Geist, intellektuell denkend und rhetorisch versiert“.

Am Tag zuvor hatte die Zeitung sachlich darüber berichtet, dass hinter den Kulissen heftig über ihn gestritten würde. Insbesondere die Grünen hatten sich über den ostdeutschen Gast erregt, der ins beschauliche Freiburg kommen würde. Stadtrat Timothy Simms räsonierte auf einer Sitzung des Theaterausschusses, dass auf dem Plakat „nichts von den Wahlfälschungen“ stünde, „kein Wort davon, dass Krenz wegen der Todesschüsse an der Mauer verurteilt wurde“ und für........

© Berliner Zeitung


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