Lokführer-Chef Claus Weselsky und Bahn-Personalvorstand Martin Seiler wirken unfähig zum Kompromiss. Jetzt können nur noch Schlichter die schwer erziehbaren Männer zu einer Lösung überreden.

Es ist unfassbar, dass sich der Bahn-Vorstand und die Lokführer-Gewerkschaft GDL immer noch nicht auf einen Kompromiss verständigt haben. Ein solches Maß an Einigungsverweigerung wirkt bizarr. Wie lange wollen Konzern-Personalboss Martin Seiler und Lokführer-Chef Claus Weselsky denn noch miteinander ringen, um sich in der Mitte, wo sie irgendwann ohnehin hinmüssen, zu treffen? Was kaum zu glauben ist: Die Streithähne haben seit 5. Februar nach einer langen Phase immer wieder aufflackernder Streiks ausgiebig verhandelt und hoch und heilig ein Schweigegelübde bis einschließlich 3. März abgelegt.

Eines muss man Weselsky zugutehalten: Er hält sich strikt an die Schweigeauflage und wird erst nach Ablauf der Friedenspflicht am Montag um 11 Uhr die Presse informieren. Alle Versuche, am Freitag mit ihm und seinem Stellvertreter Mario Reiß in Kontakt zu treten, prallen ab. Die GDL-Chefs sind konsequente Charaktere, diesbezüglich eine Rarität in der stets überaus mitteilsamen deutschen Streitrepublik. Die Lokführer-Chefs äußern sich also noch nicht zu den Hintergründen des überraschenden Abbruchs der Verhandlungen. Sie stellen jedoch entsetzt fest, dass die Nachricht des Scheiterns entgegen den Vereinbarungen mit der Bahn vor Montag ausgerechnet via Bild-Zeitung an die Öffentlichkeit gelangt ist. Wer Weselsky und Reiß kennt, weiß jedoch, dass sie diesem Medium schon lange keine Informationen mehr geben. Dass die GDL-Führungsleute nun vermuten, der vorzeitige Abbruch der Gespräche sei an das Blatt seitens der Bahn durchgestochen worden, zeigt, wie vergiftet das Verhältnis zwischen beiden Parteien ist.

Doch Tarifpartner können sich nicht wie Eheleute nach einem Rosenkrieg scheiden lassen und den Kontakt für immer abbrechen. Sie sind dazu verpflichtet, im Gespräch zu bleiben und auf Augenhöhe in Verhandlungen auszuloten, wie man bei allen Gegensätzen am Ende auf einen Nenner kommt. Das klappt in Deutschland meist gut. Hierzulande gibt es trotz Ausreißern wie bei der überaus konfliktträchtigen Bahn eine gediegene Tarifkultur, die sich über Jahrzehnte positiv entwickelt hat und sich auch international auf einem hohen Niveau befindet. Wie weitgehend geräuschlos Lohnverhandlungen über die Bühne gehen können, zeigte immer wieder die Chemie-branche. Auch in der Metallindustrie haben die Verhandlungsführer beider Seiten während der Finanzmarkt- oder Coronakrise am Ende ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein und Realitätssinn bewiesen.

Dass dies bei der Bahn nicht klappt und Tarifrunden oftmals einem Trauerspiel gleichen, hängt mit der besonderen Situation des Unternehmens und den männlichen Matadoren auf beiden Seiten zusammen. Einerseits befindet sich der Konzern in einem verheerenden Zustand. Die chronische Unpünktlichkeit der Bahn ist das Ergebnis jahrzehntelanger Unterfinanzierung durch die Politik und das Resultat langen Missmanagements. In einem solchen Unternehmen, für das es immer schwerer wird, ausreichend Personal und damit Lokführer zu finden, können die Verantwortlichen Maximalforderungen der Lokführer-Gewerkschaft GDL nicht einfach durchwinken.

Anderseits prallen mit Seiler und Weselsky zwei schwer erziehbare Männer aufeinander, deren Kompromisskünste dringend nachgeschult werden müssten. Selbst zwei angesehene Politiker wie der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière und der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther haben die beiden sturen Zeitgenossen zuletzt nicht als Moderatoren auf Abrüstungskurs schicken können. Der Konflikt droht weiter zu eskalieren. Das ist letztlich vor allem das Resultat wilder GDL-Träume. Die Lokführer-Gewerkschaft will schließlich partout die Wochenarbeitszeit im Schichtdienst von 38 auf 35 Stunden – und das bei vollem Lohnausgleich – absenken. Dies passt nicht in die Zeit der Arbeitskräfteknappheit.

Solche Forderungen nach einer deutlichen Arbeitszeitverkürzung gehen für Arbeitgeber ans Eingemachte und lösen ihrerseits Abwehrreaktionen aus. Der ruppige Arbeitskampf in der Metallindustrie mit Streiks und Aussperrungen zur Durchsetzung der 35-Stunden-Woche dauerte 1984 fast sieben Wochen. Um ein derartiges, nicht in Zeiten der Rezession passendes Spektakel zu vermeiden, bleibt bei der Bahn im Sinne ohnehin geplagter Fahrgäste nur ein Ausweg: Da die beiden Politmoderatoren Seiler und Weselsky nicht bändigen konnten, müssen echte Schlichter ran, die am Ende den Parteien einen Kompromissvorschlag präsentieren und sie im Gegensatz zu Moderatoren unter Druck setzen können. Mit gutem Willen und Freundlichkeit allein lassen sich die verfahrenen Tarifverhandlungen bei der Bahn schon lange nicht mehr lösen.

Sie haben nicht die Berechtigung zu kommentieren. Bitte beachten Sie, dass Sie als Einzelperson angemeldet sein müssen, um kommentieren zu können. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an moderator@augsburger-allgemeine.de.

Um kommentieren zu können, gehen Sie bitte auf "Mein Konto" und ergänzen Sie in Ihren persönlichen Daten Vor- und Nachname.

Bitte melden Sie sich an, um mit zu diskutieren.

QOSHE - Gescheiterte Bahn-Verhandlungen: Wenn Männer auf stur schalten - Stefan Stahl
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Gescheiterte Bahn-Verhandlungen: Wenn Männer auf stur schalten

3 0
01.03.2024

Lokführer-Chef Claus Weselsky und Bahn-Personalvorstand Martin Seiler wirken unfähig zum Kompromiss. Jetzt können nur noch Schlichter die schwer erziehbaren Männer zu einer Lösung überreden.

Es ist unfassbar, dass sich der Bahn-Vorstand und die Lokführer-Gewerkschaft GDL immer noch nicht auf einen Kompromiss verständigt haben. Ein solches Maß an Einigungsverweigerung wirkt bizarr. Wie lange wollen Konzern-Personalboss Martin Seiler und Lokführer-Chef Claus Weselsky denn noch miteinander ringen, um sich in der Mitte, wo sie irgendwann ohnehin hinmüssen, zu treffen? Was kaum zu glauben ist: Die Streithähne haben seit 5. Februar nach einer langen Phase immer wieder aufflackernder Streiks ausgiebig verhandelt und hoch und heilig ein Schweigegelübde bis einschließlich 3. März abgelegt.

Eines muss man Weselsky zugutehalten: Er hält sich strikt an die Schweigeauflage und wird erst nach Ablauf der Friedenspflicht am Montag um 11 Uhr die Presse informieren. Alle Versuche, am Freitag mit ihm und seinem Stellvertreter Mario Reiß in Kontakt zu treten, prallen ab. Die GDL-Chefs sind konsequente Charaktere, diesbezüglich eine Rarität in der stets überaus mitteilsamen deutschen Streitrepublik. Die Lokführer-Chefs äußern sich also noch nicht zu den........

© Augsburger Allgemeine


Get it on Google Play