Artikel vom 07.03.2024

Ein neuer Wirtschaftsplan wird die Deflation nicht beenden, auch wenn der Präsident damit seinen Premierminister ins Abseits stellt. Von der Eröffnungssitzung der Politischen Konsultativkonferenz in der Großen Halle des Volkes.

Da Chinas politisches System immer geschlossener wird, bieten öffentliche Veranstaltungen einen der wenigen verbliebenen Einblicke in die Entscheidungsfindung. Die wichtigste dieser jährlichen Versammlungen, die des Parlaments, das mit einem Stempel versehen ist, findet derzeit in Peking statt. Die Spitzenpolitiker und Tausende von Delegierten werden eine Woche lang daran teilnehmen. Bislang sind die Signale nicht beruhigend. Sie deuten darauf hin, dass es China an einem soliden Plan zur Bewältigung seiner Wirtschaftskrise mangelt und dass einige seiner Ziele phantasievoll sind. Die Macht wird noch weiter in den Händen von Präsident Xi Jinping konzentriert.

Beginnen wir mit den wirtschaftlichen Aspekten. In einer Rede vor der Versammlung gab Chinas Premierminister Li Qiang ein BIP-Wachstumsziel von rund 5 Prozent im Jahr 2024 bekannt. Außerdem stellte er einen langfristigen Plan unter dem Motto "neue Produktivkräfte" vor. Dabei geht es vor allem um die Umstellung von einem aufgeblähten Immobiliensektor, schuldenfinanzierten Investitionen und der verarbeitenden Industrie auf hochproduktive Branchen wie grüne Energie, künstliche Intelligenz und digitale Dienstleistungen. Chinas Machthaber glauben, dass sie mit der Immobilienkrise angemessen hart umgegangen sind, diszipliniert auf den Abschwung reagiert haben und eine kohärente Vision haben.

Doch bei näherer Betrachtung fällt das Bild auseinander. Das Ziel liegt über dem Durchschnitt der Wachstumsprognosen der Wirtschaftswissenschaftler von 4,6 Prozent. Um es zu erreichen, braucht China mehr Anreize. Das für 2024 angestrebte Haushaltsdefizit von 3 Prozent, das durch die Emission langfristiger Anleihen und andere außerbudgetäre Mittel aufgestockt werden soll, ist jedoch zu gering. Wie in der Vergangenheit hat Li auch für die Inflation de facto eine Obergrenze von 3 Prozent festgelegt. Doch im Gegensatz zu früher ist China jetzt mit einer Deflationskrise konfrontiert: Die Verbraucherpreise sind im Januar im Vergleich zum Vorjahr um 0,8 Prozent gefallen. Früher setzte sich China Ziele und übertraf sie. Jetzt sind die Ziele von der Realität halb abgekoppelt.

Um seine Wirtschaft wieder anzukurbeln, muss China den privaten Sektor nutzen. Die privaten Investitionen machen die Hälfte des nationalen Gesamtvolumens aus, gingen aber 2023 um 0,4 Prozent zurück, was vor allem auf den Einbruch des Immobilienmarktes zurückzuführen ist. Doch angesichts der instabilen Regulierung und der behördlichen Paranoia hat die Regierung keine gute Möglichkeit, das Vertrauen der verunsicherten Unternehmer wiederherzustellen. Multinationale Investitionen befinden sich auf einem 30-Jahres-Tief. Die Anleger sind so desillusioniert, dass der Bewertungsabschlag für chinesische Aktien gegenüber amerikanischen Aktien 54 Prozent erreicht hat.

Inmitten dieses Unbehagens deutet die politische Choreografie darauf hin, dass Xi immer weniger bereit ist, die Macht zu teilen, selbst mit seinen handverlesenen Untergebenen. In seiner Rede erwähnte Li seinen Chef häufiger als frühere Premierminister. Und entgegen einer bis in die 1980er Jahre zurückreichenden Konvention wird Li auf dem Kongress keine Pressekonferenz abhalten dürfen. Dies war die einzige Gelegenheit für die Bürger, einen so hochrangigen Politiker auf Fragen antworten zu hören. Jetzt ist selbst dieser kleine Wink mit dem Zaunpfahl der Transparenz verschwunden. In der Zwischenzeit werden Technokraten an den Rand gedrängt und unvorteilhafte Daten unterdrückt. Je weniger überzeugend Chinas Wirtschaftsstrategie wird, desto mehr verschärft Xi die Kontrolle.

Obwohl das Treffen eine innenpolitische Angelegenheit ist, kann es sich auf Chinas Beziehungen zu Amerika auswirken. Da das Rennen um das Weiße Haus so unsicher ist, versuchen Chinas Machthaber, keine Kontroversen zu schüren. Li erwähnte in seiner Rede die "friedliche Entwicklung" der Beziehungen zu Taiwan und spielte die Exporte als Wachstumsmotor herunter, vermutlich um Protektionisten im Ausland nicht zu provozieren.

Dennoch gab es zahlreiche Hinweise darauf, dass sich das chinesische Regime in einem langfristigen kalten Krieg sieht. Die Verteidigungsausgaben werden in diesem Jahr um 7 Prozent steigen und liegen damit über den meisten Prognosen für das nominale Bruttoinlandsprodukt. Die Ausgaben der Zentralregierung für die Wissenschaft steigen rasant an. Zu Beginn des Treffens unterzeichnete China ein neues Verteidigungsabkommen mit den Malediven, was die Spannungen im Indischen Ozean erhöht. Die chinesische Politik ist undurchsichtiger denn je, aber die eigentliche Botschaft ist unmissverständlich: Die Wirtschaft läuft aus dem Ruder, die Macht konzentriert sich und Xi fokussiert sich unbeirrt auf den Wettstreit mit Amerika.

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Xi Jinpings Machthunger schadet Chinas Wirtschaft

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07.03.2024

Artikel vom 07.03.2024

Ein neuer Wirtschaftsplan wird die Deflation nicht beenden, auch wenn der Präsident damit seinen Premierminister ins Abseits stellt. Von der Eröffnungssitzung der Politischen Konsultativkonferenz in der Großen Halle des Volkes.

Da Chinas politisches System immer geschlossener wird, bieten öffentliche Veranstaltungen einen der wenigen verbliebenen Einblicke in die Entscheidungsfindung. Die wichtigste dieser jährlichen Versammlungen, die des Parlaments, das mit einem Stempel versehen ist, findet derzeit in Peking statt. Die Spitzenpolitiker und Tausende von Delegierten werden eine Woche lang daran teilnehmen. Bislang sind die Signale nicht beruhigend. Sie deuten darauf hin, dass es China an einem soliden Plan zur Bewältigung seiner Wirtschaftskrise mangelt und dass einige seiner Ziele phantasievoll sind. Die Macht wird noch weiter in den Händen von Präsident Xi Jinping konzentriert.

Beginnen wir mit den wirtschaftlichen Aspekten. In einer Rede vor der Versammlung gab Chinas Premierminister Li Qiang ein BIP-Wachstumsziel von rund 5 Prozent im Jahr 2024 bekannt. Außerdem stellte er einen langfristigen Plan unter dem Motto "neue Produktivkräfte" vor. Dabei geht es vor allem um die Umstellung von........

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