Der Nahostkonflikt zerreißt die Kulturszene. Was bei der Preisverleihung der Berlinale am Samstagabend geschah, hat es wieder klargemacht. Es geht nicht darum, dass Filmschaffende das Podium nicht nutzen dürfen, das Leid der Palästinenser im Gazastreifen zu benennen. Es geht um die vulgäre und undifferenzierte Art, mit er sie es tun. Da wurden politisch aufgeladene Begriffe wie Genozid und Apartheid in den Saal geschleudert und vom festlich gekleideten Publikum im Berlinale-Palast beklatscht.

Ein Filmteam aus den USA trug demonstrativ Palästinensertücher. Mehrere Jurymitglieder hatten sich Zettel angeheftet, auf denen „Ceasefire now“ stand, also Waffenstillstand jetzt, so als sei das eine Forderung, die sich nur auf diesem wohl als subversiv verstandenen Weg transportieren ließe. Die französische Regisseurin Mati Diop warf in ihrer Dankesrede für den Goldenen Bären ein „I stand in solidarity with Palestine“ in den Saal. Wie ein Ceterum Censeo klang es da schon. Applaus. Wobei schwer auszumachen ist, ob er nun vor allem diesem Satz galt.

Ja, es gab auf dem glitzernden Podium vor allem einseitige Solidaritätsbekundungen für die Palästinenser, während Israel vorgeworfen wird, im Westjordanland Apartheid zu praktizieren. Und Basel Adra, einer der Regisseure des als Bester Dokumentarfilm ausgezeichneten „No Other Land“ sagte, es falle ihm schwer zu feiern, während Palästinenser abgeschlachtet würden.

Die Einzige, die an das Massaker der Hamas erinnerte und die Freilassung der israelischen Geiseln forderte, war Mariette Rissenbeek aus der Berlinale-Leitung. Auch sie erhielt dafür übrigens Applaus. Nur war das am Anfang der Preisverleihung, zu einem Zeitpunkt, zu dem sich noch nicht absehen ließ, was noch passieren würde.

24.02.2024

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20.02.2024

Am Tag danach hat die Berlinale sich von den Äußerungen der Filmschaffenden zum Krieg in Nahost distanziert, jedoch auf recht unpersönliche Weise und erst nach Aufforderung. Man spürt aus jedem Wort den Wunsch, das alles schnell hinter sich zu lassen: Die Äußerungen seien unabhängige individuelle Meinungen, teilte eine Sprecherin des Festivals auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag mit. Sie würden in keiner Form die Haltung des Festivals wiedergeben. „Solange sie sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen bewegen, müssen wir sie akzeptieren.“ Und ja, es stimmt zum Glück! Jeder darf in Deutschland alles sagen, was er möchte, solange es nicht verboten ist. Aber: Man darf ihr oder ihm auch widersprechen.

Was man der Leitung der Berlinale vorwerfen kann, ist ein Versagen in einer Situation, in der es darauf angekommen wäre, etwas zu tun. Und die so unvorhersehbar doch nicht gewesen ist. Schon bei der Premiere von „No Other Land“ über das Westjordanland im Kino International war es zu Tumulten und antisemitischen Sprechchören gekommen.

In der Situation zu handeln – das ist schwer zu machen, es erfordert Reaktionsvermögen und Zivilcourage. Gefragt gewesen wäre zuallererst die Leitung der Berlinale. Aber es hätte auch der deutsche Regisseur Christian Petzold sein können, Mitglied der internationalen Jury, der die deutsche Debatte kennt.

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Und was ist eigentlich mit den beiden offiziellen Gäste aus der Politik, die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, aus deren Haus ein Großteil der Finanzierung des Festivals kommt, und Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner. Man sieht die beiden klatschen, als das Wort Apartheid fällt. Haben sie es nicht gehört, haben sie geklatscht, weil alle es taten?

Erst, als alles vorbei war und eigentlich zu spät, nahmen sie Abstand. Claudia Roth sagte am Montag, man werde die Vorkommnisse bei der Bären-Verleihung aufarbeiten. Es sei nicht akzeptabel, wenn an einem solchen Abend von den internationalen Filmschaffenden nicht der bestialische Terrorangriff der Hamas auf über tausend friedlich lebende und auch bei einem Festival feiernde Menschen und deren grausame Ermordung angesprochen werde.

Und Wegner twitterte bereits am Sonntag, dass das, was am Samstag auf der Berlinale vorgefallen sei, eine untragbare Relativierung gewesen sei. „In Berlin hat Antisemitismus keinen Platz, und das gilt auch für die Kunstszene. Ich erwarte von der neuen Leitung der Berlinale, sicherzustellen, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholen.“ Man kann nur hoffen, dass er mit dem letzten Satz nicht meint, die freie Rede in Deutschland müsse eingeschränkt werden.

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Aber untragbar und nicht akzeptabel? Das sind wohlfeile Plattitüden, denn Claudia Roth und Kai Wegner haben es ja getragen und akzeptiert. Ist ihrer nachträglichen Empörung wirklich zu trauen? Was wäre das für ein Moment gewesen, wenn einer aufgestanden wäre und gesagt hätte, er wolle daran erinnern, dass das Wort abschlachten vor allem auf das zutrifft, was die Hamas den Israelis angetan hat. Oder auch nur, wenn jemand die Einseitigkeit der Statements beklagt hätte. – Ob nicht auch dann applaudiert worden wäre? Denn es ist ebenso wohlfeil, im Nachhinein das gesamte Publikum unter Antisemitismusverdacht zu stellen.

Was festzustellen bleibt: Die Berlinale ist ihrem Selbstverständnis nach ein politisches Festival. Doch als ihr die Politik zu nahe gekommen ist, war sie unfähig, damit umgehen.

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Berlinale-Eklat: Die wohlfeilen Reaktionen von Claudia Roth und Kai Wegner am Tag danach

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26.02.2024

Der Nahostkonflikt zerreißt die Kulturszene. Was bei der Preisverleihung der Berlinale am Samstagabend geschah, hat es wieder klargemacht. Es geht nicht darum, dass Filmschaffende das Podium nicht nutzen dürfen, das Leid der Palästinenser im Gazastreifen zu benennen. Es geht um die vulgäre und undifferenzierte Art, mit er sie es tun. Da wurden politisch aufgeladene Begriffe wie Genozid und Apartheid in den Saal geschleudert und vom festlich gekleideten Publikum im Berlinale-Palast beklatscht.

Ein Filmteam aus den USA trug demonstrativ Palästinensertücher. Mehrere Jurymitglieder hatten sich Zettel angeheftet, auf denen „Ceasefire now“ stand, also Waffenstillstand jetzt, so als sei das eine Forderung, die sich nur auf diesem wohl als subversiv verstandenen Weg transportieren ließe. Die französische Regisseurin Mati Diop warf in ihrer Dankesrede für den Goldenen Bären ein „I stand in solidarity with Palestine“ in den Saal. Wie ein Ceterum Censeo klang es da schon. Applaus. Wobei schwer auszumachen ist, ob er nun vor allem diesem Satz galt.

Ja, es gab auf dem glitzernden Podium vor allem einseitige Solidaritätsbekundungen für die Palästinenser, während Israel vorgeworfen wird, im Westjordanland Apartheid zu praktizieren. Und Basel Adra, einer der Regisseure des als Bester Dokumentarfilm ausgezeichneten „No Other Land“ sagte, es falle ihm schwer zu feiern, während Palästinenser abgeschlachtet........

© Berliner Zeitung


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