Welterklärer Yuval Noah Harari: „Die Menschheit ist nun an der Stelle der Dinosaurier“
Der sensationelle Weltbestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ machte ihn zum wohl einflussreichsten Historiker der Gegenwart. Seit einigen Jahren beschäftigt Yuval Noah Harari sich mit künstlicher Intelligenz, sein neues Buch „Nexus“ kann als Warnung gelesen werden, auch als Apokalypse. Während des Interviews sitzt er wie ein Mönch da, eine starke Präsenz geht von ihm aus, durchaus auch ein prophetischer Vibe. Auf jede Frage kommt sofort eine fein geschnittene Antwort. Gerade noch hat der jüdische Welterklärer an einer virtuellen Pressekonferenz zu seinem Buch in Korea teilgenommen, am Tag davor war er bei Bundespräsident Steinmeier, am Abend bei Maischberger, dann nach Frankfurt. Alle wollen wissen: Sind wir noch zu retten?
Herr Harari, wenn Sie einmal in der Zeit zurück oder vorwärts reisen könnten. Was wäre Ihr Ziel?
Ich bin 48 Jahre alt und habe mich an unsere Welt gewöhnt. Wenn es allerdings nur ums Beobachten geht, wäre ich sehr daran interessiert, in die Steinzeit zu reisen. Schon allein da es so wichtig für das Verständnis der menschlichen Natur ist, würde ich gerne aus erster Hand erfahren, wie die Menschen tatsächlich gelebt haben. Und natürlich würde ich auch 100 Jahre in die Zukunft reisen, um zu sehen: Gibt es Überlebende? Und was für eine Gesellschaft haben wir mit dieser unglaublichen neuen Technologie der Künstlichen Intelligenz aufgebaut?
Darf ich Sie um eine Prognose bitten: Wann und wie wird die kurze Geschichte der Menschheit enden?
Das hängt allein von uns ab. Treffen wir die falschen Entscheidungen, wird es sehr bald zu Ende sein, möglicherweise sogar noch zu Lebzeiten. Das Aussterben der Spezies geschah nicht einmal in den Weltkriegen, aber die KI ist kein einzelner Supercomputer, sondern eine völlig neue Spezies, eine neue Art von Wesen. Wir müssen über eine Welt nachdenken, die von Milliarden von KI-Agenten bevölkert ist, die wirklich überall sind.
Sie sprechen auch von Alien-Intelligenz anstatt Künstlicher Intelligenz, richtig?
Es ist eine problematische, aber auch eine gute Metapher, wenn man sich eine solche Invasion vorstellt. Wenn man begreift, dass eine Flotte von Außerirdischen von einem anderen Planeten im Anmarsch ist. Und sie sind intelligenter als wir, sie haben völlig andere Vorstellungen vom Leben, von der Gesellschaft, von Politik. Sie können uns auch helfen. Sie haben womöglich das Heilmittel gegen Krebs. Sie könnten den Klimawandel lösen. Der einzige Unterschied ist, dass diese Flotte von Außerirdischen gar nicht von einem anderen Planeten kommt. Sie kommt aus Kalifornien. Und jetzt übernehmen sie die Macht. Die fremde Intelligenz ist bereits in den Banken. Sie sind im Militär. Sie sind in den Regierungen.
Sie geben in Ihrem Buch auf 600 Seiten zwei Ratschläge, die kaum beide zu befolgen sind: Wir sollten einen Gang herunterfahren, uns öfter entspannen. Und auf der anderen Seite schreiben Sie, dass es mit der Menschheit fast schon vorbei sei.
Ich warne vor den Gefahren. Und eigentlich handelt es sich auch um keinen Widerspruch. Denn es wird uns vernichten, wenn wir nicht langsamer machen. Die Tendenz geht dahin, immer schneller zu agieren, auch weil Krise ist. Aber das ist das Hauptproblem. Der Mensch ist unglaublich anpassungsfähig, aber braucht dafür Zeit. Wenn es uns gelingt, das Tempo der KI-Revolution zu verlangsamen und uns Zeit zu verschaffen, könnte es gut ausgehen.
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Aber vielleicht ist es ja überhaupt nicht gefährlich. Vielleicht war der Mensch ja nur eine verrückte Laune der Natur, ein Witz der Evolution, ein genialischer Fehler mit sehr großem Potenzial. Vielleicht existieren wir nur verhältnismäßig kurz auf der Erde, um einer neuen Lebensform bei der Geburt zu helfen. Von den Bakterien über die Menschheit zur KI, die keine Körper braucht, die in den Weltraum reisen kann, von der wir dann immer noch ein Teil sind.
Dass eine Lebensform eine andere Lebensform ersetzt, ist allerdings mehr eine philosophische Idee. Wir sprechen von........
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