Am Donnerstag erschien in der Zeit ein aufsehenerregender Text der Au­to­rin­nen Juliane Liebert und Ronya Othman, die beide 2023 Teil der Jury des Internationalen Literaturpreises des Hauses der Kulturen der Welt (HKW) waren. Sie schildern in dem Text Szenen aus den Jurysitzungen zur Vergabe des mit 35.000 Euro dotieren, renommierten Literaturpreises. Und greifen das Haus, den Direktor, und die Juymitglieder an: Obwohl das Gegenteil nach außen kommuniziert würde, werde der Preis nach identitätspolitischen Kategorien vergeben: „Es ging um Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, um Politik und nicht um Literatur“, schreiben Liebert und Othman.

Rigoros sei nach Hautfarbe und Herkunft ausgewählt worden, als Beispiel nennen sie die Schriftstellerin Mariette Navarro, die von der Shortlist geworfen sei, weil sie „eine weiße Französin“ war. Das HKW reagierte umgehend mit einer knappen Gegendarstellung, die Reaktion des deutschen Feuilletons auf den Text fielen drastisch aus. Nun meldet sich Juliane Liebert zu Wort. Hat sie das Bedürfnis, sich zu entschuldigen? Eher nicht.

Liebe Juliane Liebert, wie geht es Ihnen nach der Veröffentlichung Ihres Textes? Wie haben sie das Feedback wahrgenommen?

Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, keine Interviews zu geben, weil wir wollten, dass es um die Sache geht, nicht um uns. Aber unser Text wurde in der Rezeption teilweise so böswillig verfremdet, dass wir uns entschlossen haben, doch ein paar Sachen klarzustellen.

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Sie sind Schriftstellerin, kommen aus Halle in Sachsen-Anhalt. Haben Sie es im Literatur- und Kulturbetrieb eher als Vor- oder Nachteil erlebt, eine in Ostdeutschland geborene Frau zu sein?

Das müssen Sie die Jurys und Gremien fragen, aber bisher hat es für mich weder Preise noch Stipendien gehagelt. Ich liebe meine Heimatstadt Halle allerdings von ganzem Herzen und bin nach wie vor sehr gerne dort.

Das HKW hat Ihre Darstellungen mittlerweile zurückgewiesen, wirft Ihnen vor, Sie hätten die „journalistische Sorgfaltspflicht nicht eingehalten“. Sie haben die in Ihrem Text Zitierten vorher nicht informiert. War die Veröffentlichung ein Fehler?

Die gesamte Argumentation mit der Sorgfaltspflicht verfehlt das Thema, weil wir nicht als Journalistinnen über Missstände am HKW recherchiert haben, sondern unsere Erfahrungen als Jurorinnen beschreiben. Das HKW weiß, dass jeder Satz, den wir geschrieben haben, der Wahrheit entspricht. Wir haben E-Mail-Verläufe und Beweise für das Treffen mit Bonaventure und seinem Team. Deswegen dementiert das HKW auch nicht unsere Aussagen an sich, sondern weicht auf die Sorgfaltspflicht aus. Zudem wird mutwillig so getan, als hätten wir uns gegen den Preisträger gewandt. In unserem Text steht, dass Sarr ein verdienter Preisträger ist, wir haben ihn in der Jury sogar gegen die „auch ein schwarzer Autor darf das N-Wort nicht verwenden“-Argumentation verteidigt.

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Die FAZ beschreibt Ihr Verhalten als „Tabubruch“ und „Skandal“. Sie hätten Ihre Kolleginnen verpfiffen. Fühlen Sie sich als Whistleblowerin?

Ich war schon in einigen Jurys und habe bisher nie auch nur ein Wort über die internen Diskussionen verloren. Hier blieb uns keine Wahl, denn im vorliegenden Fall hat das HKW zugesehen, wie die Statuten des Preises offen verletzt wurden. Die betreffenden Mitglieder der Jury haben sich nicht einmal Mühe gegeben, es zu verbergen. Das HKW wird (soweit ich weiß) aus Steuergeldern finanziert. Die Öffentlichkeit darf erwarten, dass es sich an seine eigenen Regeln hält.

Wenn es das nicht tut, kann man das nicht einfach ignorieren. Wir haben versucht, das Problem intern zu klären, und das HKW darauf angesprochen. Anschließend hat das HKW erst auf subtilen Druck hin überhaupt das Gespräch mit uns gesucht, und dann den Rest der Jury belogen. Das waren eben keine „normalen“ Machtspielchen, Hahnenkämpfe und Lobbykonkurrenzen, wie sie in jeder Jury vorkommen. Sondern es war die offene Missachtung des Primats der Literatur. Über die man anschließend die Öffentlichkeit belügt, wohlgemerkt. Natürlich spielen in jede Juryentscheidung alle möglichen Interessen hinein. Aber die künstlerische Qualität sollte das Kriterium sein, anhand dessen argumentiert wird.

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Sie schreiben: „Es ging um Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, um Politik und nicht um Literatur.“ War Ihnen bewusst, dass sie die Jury, den Preis, den Preisträger und auch sich selbst beschädigen?

Wir hatten das HKW intern darauf angesprochen, dass sie ihre eigenen Statuten nicht einhalten. Sie haben uns zugestimmt, versprochen, es besser zu machen, und uns dann ausgeladen. Sie haben den Rest der Jury bewusst im Unklaren über Gründe der Shortlist-Erweiterung gelassen. Nicht wir beschädigen die Jury, den Preis und den Preisträger, sondern die Verantwortlichen beim HKW. Wir weisen nur darauf hin, was passiert ist.

In der Süddeutschen Zeitung wird Ihnen vorgeworfen, zu verkennen, dass Sie selbst ja auch aus identitätspolitischen Gründen in die Jury gewählt worden wären. Was sagen Sie dazu?

Wird es nicht, die Autorin erklärt unsere Intervention am Ende ihres Textes sogar für legitim. Allerdings so verklausuliert, dass man es auch überlesen kann. Im Übrigen spielt es keine Rolle. Selbst wenn ich nur wegen meines unwiderstehlichen Lächelns in die Jury gewählt worden wäre, wäre es meine Pflicht, den Verstoß gegen die Statuten des Literaturpreises zu benennen. Die Statuten haben ja nicht wir uns ausgedacht, sondern das HKW.

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Wie sähe für Sie ein Weg nach vorne aus? Die Gesellschaft, in der wir zu leben versuchen, ist durch Klassismus, Rassismus und patriarchale Strukturen gebaut. Wie könnte man dem Ihrer Meinung nach im Rahmen einer Preisverleihung begegnen?

Ich denke, dass man Künstlern aller Ethnien und aus sämtlichen Regionen der Welt schuldig ist, ihre Kunst ernst zu nehmen. Wer offen sagt, dass er einen Roman nur aufgrund bestimmter Identitätsmerkmale der Autorin auf einer Shortlist sehen wolle, obwohl ein das Werk eines anderen Kandidaten eigentlich besser sei, zeigt damit im Grunde seine Verachtung gegenüber der Autorin und ihrer Literatur.

Welches Honorar haben Sie für Ihre Jury-Arbeit bekommen?

Nicht genug.

Sie schreiben, ein Jury-Mitglied habe Sie angeschrien: „Du als weiße Frau hast hier eh nichts zu sagen!“ Was haben Sie Ihr entgegnet?

Nichts, soweit ich mich erinnere. Was soll man dazu sagen?

Sie hätten das Gefühl gehabt, „Literaturfunktionärinnen“ zu sein. Können Sie einmal sagen, was eine Literaturfunktionärin ist?

Klar. Man erkennt sie an den kommentargewordenen Panikattacken, mit denen sie auf unseren Text reagiert haben. Gilt übrigens auch für männliche Literaturfunktionärinnen.

QOSHE - Juliane Liebert zum Streit um den HKW-Literaturpreis: Uns blieb keine Wahl - Timo Feldhaus
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Juliane Liebert zum Streit um den HKW-Literaturpreis: Uns blieb keine Wahl

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20.05.2024

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Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, keine Interviews zu geben, weil wir wollten, dass es um die Sache geht, nicht um uns. Aber unser Text wurde in der Rezeption teilweise so böswillig verfremdet, dass wir uns entschlossen haben, doch ein paar Sachen klarzustellen.

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