Zum 250. Geburtstag des großen romantischen, sächsischen, geheimnisvollsten deutschen Malers Caspar David Friedrich eröffnet in dieser Woche die Ausstellung „Unendliche Landschaften“. Es werden höchste Besucherzahlen und riesige Schlangen vor der Alten Nationalgalerie erwartet, dann folgt Dresden, wo der Landschaftsmaler aus Greifswald die längste Zeit lebte.

Mit Florian Illies wollen wir über die nie einfache, aber für Friedrich so wichtige Beziehung zur Hauptstadt sprechen. Illies hat letztes Jahr eine Biografie des Malers geschrieben. Wir treffen uns im Westen, Künstler-Café Manzini, Ferdinand von Schirach sitzt draußen und raucht. Mit Illies, der ein Meister darin ist, vergangene Zeit zum Leben zu erwecken, stürzen wir tief hinein ins 19. Jahrhundert. Hier in Berlin also, vor unseren Augen, vor über 200 Jahren, wurde Caspar David einmal zu Friedrich dem Großen.

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Herr Illies, was fasziniert uns heute noch so sehr an Caspar David Friedrich?

Dass ein Maler aus der sehr tiefen Vergangenheit plötzlich von Erfahrungen, von Sehnsüchten und Träumen spricht, die er noch gar nicht gemacht haben kann, und die sich wie heutige Empfindungen anfühlen. Ich glaube, das wird gerade in Berlin toll, eine Stadt, mit deren DNA ich als Bewohner immer wieder hadere: das ewig Vorwärts- und Vorwegstürmende, die permanent aufgeregte Selbsterneuerung. Dass in diese Stadt jetzt ein Künstler kommt, der wie ein Gegenmodell dazu wirkt, weil er die Zeit stillstehen lässt. 1824 malt er Landschaften, die uns 2024 aus der Seele sprechen.

12.04.2024

gestern

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Muss man beim Verhältnis Friedrich und Berlin nicht von einem Dreisprung sprechen? 1810 wurde er hier bekannt, etwa 100 Jahre später die Wiederentdeckung, und nun, nochmal etwa 100 Jahre später, die großen Weihen.

Friedrich war im Sommer 1798 zum ersten und letzten Mal hier, nur wissen wir darüber wenig. Er hat in Kopenhagen studiert und wandert danach von seiner Heimatstadt Greifswald nach Dresden. Dabei macht er Station in Berlin. Er hat über seine Zeit hier in einem Brief eine seltsame Formulierung gewählt: „... eine Zeitlang in Berlin aufgehalten und dort der Kunst oblegen“.

Was meint er damit?

Er hat sich wohl der Kunst gewidmet, womöglich hingegeben. Wir wissen allerdings, dass das nicht besonders erfolgreich war. Denn er geht schon im September wieder und beginnt auf dem Fußweg nach Dresden bereits, Wasserfälle und Bäume zu zeichnen. Er wollte ganz offensichtlich die Stadt schnellstens wieder verlassen. Also dieses alte Motto „be Berlin“ hat für ihn nicht funktioniert.

War Berlin ihm womöglich zu laut und kosmopolitisch? Es war die Stadt von Schinkel und den Humboldt-Brüdern, Rahel Varnhagen, Hegel, Caroline de la Motte Fouqué, E.T.A. Hoffmann, es war viel los. Friedrich blieb ein Maler des Ostens.

Er hat sich im Wesentlichen auf dem Staatsgebiet der DDR aufgehalten, also Greifswald, Dresden, westliche Ausdehnung nur bis zum Harz und östlich bis zum Riesengebirge. Da fühlte er sich wohl, und das erklärt auch die enge Beziehung, die in der DDR zu ihm bestand, und die vielen Sonderbriefmarken, die ihm gewidmet wurden. Man konnte mit ihm tatsächlich eine scheinbare historische Legitimität dieses Zuschnitts, eines besonderen Teils Deutschlands begründen.

Nach Italien wollte er jedenfalls nicht.

Ich glaube, er war dafür zu ängstlich. Friedrich hat die Sonne gemieden. Selbst die Dresdner Sonne war ihm zu viel, er ist ja nur in der Dämmerung morgens und abends vor die Tür gegangen. Friedrich war ein Mann des Nordens, der Ostsee.

War er ein politischer Künstler?

Interessant ist, dass es damals noch nicht die Möglichkeit gab, den Kriegsdienst zu verweigern und dafür nach West-Berlin zu ziehen. Als Napoleons Truppen kommen, macht er dies aber doch, indem er in ein Fischerdorf in der Sächsischen Schweiz flüchtet, wo dann absurderweise vier Wochen später tatsächlich Napoleon durchmarschiert, auf der Suche nach einer Route nach Böhmen. In der Praxis seiner Malerei war Friedrich allerdings ein großer Unterstützer des deutschen Widerstands gegen Napoleon. In dieser Bedrohungssituation war er tatsächlich ein glühender Patriot.

Ein Nationalist auch. Wobei das ein Wort ist, das vor 200 Jahren einen anderen Klang hatte, oder?

Nationalist bedeutete damals eigentlich Demokrat. Es gab keinen einheitlichen deutschen Staat, den aber wollte auch Friedrich. Gegen die Fürsten, gegen die Franzosen. Seine Kriegsbegeisterung führte dann zu einem Echo im Nationalsozialismus. In der NS-Propagandazentrale Berlins wird der Maler zum Urahn der deutschen Kunst gemacht. Es werden sogar kleine Broschüren mit seinen Bildern gedruckt, die die Soldaten in ihren Manteltaschen auf die Schlachtfelder begleiten.

Leni Riefenstahl ist ganz vernarrt in Friedrich. Der „Wanderer im Nebelmeer“ und die berühmten „Kreidefelsen“ wurden letztlich von Nazis „entdeckt“, wie Sie in Ihrem Buch schreiben. Muss man ihnen dankbar sein?

Nein, nie. Die Werke haben es zum Glück immer wieder geschafft, sich diesen ideologischen Umklammerungen zu entziehen. Seine Bildideen haben eine solche Kraft, dass sie gerade in Bildern denkenden Menschen wie Leni Riefenstahl auf der einen Seite, aber eben auch Walt Disney oder Murnau – quasi zur selben Zeit um 1930 – Vorlagen lieferten für Einstellungen in ihren Filmen.

Thomas Mann gab Walt Disney bei einer Dinnerparty den Tipp für seinen Film „Bambi“, Disney kauft dann bändeweise Friedrich-Kataloge und legt die seinen Zeichnern in Hollywood vor, sodass seine Landschaften wirklich im Film landen.

Friedrich schafft eine Bildmotivik, die in seiner Zeit die Menschen völlig ratlos zurückgelassen hat. Man wusste einfach nicht: Was meint er damit? Nun, zwei Jahrhunderte später, spricht er zu uns – gerade weil seine Bilder so ‚offen‘ sind.

Er gibt keine Antworten.

Goethe wollte, dass die Kunst Antworten liefert, dass sie den Menschen belehrt, bessert und belebt. Friedrich hat sich in allem dem zeitgenössischen Geschmack verweigert. Deswegen hat er zu Lebzeiten darben müssen und oft nicht gewusst, wie er seine Familie ernähren soll. Doch genau diese Offenheit ist heute ein Schlüssel, um seine ungeheure Popularität zu erklären. Ich denke, er ist nie populärer gewesen.

In der Alten Nationalgalerie rühmt man sich zu Recht, eine der größten Friedrich-Sammlungen zu besitzen. Kann man eigentlich sagen, dass alles nur auf dem melancholischen Gemüt eines 15-Jährigen beruht?

Ja. Im Oktober 1810 geht der 15-jährige preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm in die erste Berliner Ausstellung, in der Bilder des Malers Friedrich gezeigt werden. Er sieht den „Mönch am Meer“ und sagt zu seinem Vater: Das möchte ich haben! Und der Vater sagt: Nein, das ist viel zu deprimierend. Aber man weiß, wenn ein 15-Jähriger etwas unbedingt haben will, was kein digitales Gerät ist, dann sollte man es unbedingt kaufen. Und so kauft dieser konservativste König Europas das progressivste Bild seiner Zeit.

Was zieht den Jungen, der selbst ganz gut malen kann, zu dem Bild?

Friedrich hat ein Leben lang unter dem Verlust seiner Mutter gelitten. Sie starb, als er drei war. Auch der junge Friedrich Wilhelm hat drei Monate zuvor seine Mutter verloren.

Die berühmte Königin Luise. Wahrscheinlich gab es noch nie zuvor und seitdem eine Frau, die in Berlin beliebter war als sie.

Bis zu Katharina Thalbach und Brigitte Mira, ja. Der Junge jedenfalls fiel in eine tiefe Depression. Wie Friedrich fühlt er sich mutterseelenallein. Ein wunderschönes, sehr präzises deutsches Wort. Und da gab es offenbar eine Verbindung, durch die sich der junge Prinz, wie man heute sagen würde, gesehen fühlt. Er fühlt sich nicht mehr allein in seiner Trauer. Und überzeugt den Vater, das Bild zu kaufen. Was auch insofern eine Leistung darstellte, als Preußen überhaupt kein Geld hatte.

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Die meisten Berliner sind damals weniger überzeugt von Friedrich. Sie reagieren „verwirrt und verstört. Es wird gespottet“, schreiben Sie in Ihrem Buch über Friedrich. Dann jedoch erscheint dieses Dreigestirn der jungen deutschen Literatur: Achim von Arnim und Brentano schreiben eine Kritik für Heinrich von Kleists legendäre Zeitschrift Berliner Abendblätter. Dieser macht daraus eine der berühmtesten Reviews der Kunstgeschichte, in der er seinen Eindruck vor dem Bild schildert: „Als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären.“

Es gibt darin außerdem die Formulierung, „die ganze Welt liegt da wie nach der Apokalypse“. Also „Apocalypse Now“ bei diesem Mönch, der an einem leergefegten Strand vor einem dunklen Himmel steht. Ohnehin muss man sagen, dass diese Berliner Abendblätter das Spektakulärste sind, was journalistisch in Berlin je entstanden ist. Als ich vor 25 Jahren hierherkam, um die Berliner Seiten der FAZ zu gründen, habe ich von morgens bis abends darin gelesen, um zu verstehen, wie man den Geist und die Kraft einer Gegenwart in eine Berliner Zeitung umsetzten kann. Und Kleist schreibt dann, was ich so unheimlich finde: „Was dieses Bild weiter in mir auslöst, wage ich nicht aufzuschreiben.“ Nur wenige Monate später wird er sich in einem Szenario erschießen, das dem des Mönchs entspricht. Nämlich an einem Sandhügel am Kleinen Wannsee unter wolkenverhangenem Himmel. Und das finde ich wieder so einzigartig, dass ein und dasselbe Bild im selben Jahr bei Goethe Achselzucken auslöst, einen traurigen Prinzen aufheitert und Kleist die eigene Verlorenheit bestätigt.

Das Wesen der Bilder Friedrichs scheint, dass sie zu allen Seiten auszuschlagen imstande sind, gerade weil sie so bedeutungsoffen daliegen.

Richtig. Und Berlin ist dabei letztlich der neuralgische Punkt. In diesem Moment ist er am Gipfel seines Ruhms, er wird ihn danach nie wieder erreichen. Da ist Caspar David wirklich ganz kurz Friedrich der Große.

Er war da ungefähr so alt wie Jesus bei seinem Tod, nicht?

Da ist er 36. Aber wir müssen noch einen weiteren Bogen schlagen. Denn es gibt eine zweite Herrscherfamilie, die ihn sammelt. Die heiß geliebte Schwester des 15-jährigen Kronprinzen, Charlotte, wird später die Frau von Zar Nikolaus in Russland. Und sie schickt ihren Mann ins Atelier von Friedrich, sorgt so für das frühe russische Interesse und die wichtigen Käufe von bedeutenden Friedrichs. Letztlich, weil Charlotte im Zimmer ihres Bruders den „Mönch am Meer“ hängen sieht. Auch deswegen kann man sagen, dass Berlin für die Anerkennung Friedrichs der zentrale Ort ist.

Der Maler verschwindet dann bald von der Bildfläche, bis zur Wiederentdeckung 1906 bei der sogenannten Jahrhundertausstellung.

Nach seinem Tod 1840 gerät Friedrich komplett in Vergessenheit, ja. Er galt als vollkommen altmodisch. Dann, es ist gerade die „Brücke“ in Dresden, Ernst Ludwig Kirchner, wir sehen bereits den Impressionismus und Picasso. Und in diesem Augenblick, in dem die moderne Kunst beginnt, ist Friedrich plötzlich mit 30 Gemälden vertreten. Es ist eine Sensation, ein Augenöffner. Man versteht, dass man einen, wenn nicht den größten Maler des 19. Jahrhunderts völlig vergessen hatte.

QOSHE - Florian Illies: Das Motto „be Berlin“ hat für Caspar David Friedrich nicht funktioniert - Timo Feldhaus
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Florian Illies: Das Motto „be Berlin“ hat für Caspar David Friedrich nicht funktioniert

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14.04.2024

Zum 250. Geburtstag des großen romantischen, sächsischen, geheimnisvollsten deutschen Malers Caspar David Friedrich eröffnet in dieser Woche die Ausstellung „Unendliche Landschaften“. Es werden höchste Besucherzahlen und riesige Schlangen vor der Alten Nationalgalerie erwartet, dann folgt Dresden, wo der Landschaftsmaler aus Greifswald die längste Zeit lebte.

Mit Florian Illies wollen wir über die nie einfache, aber für Friedrich so wichtige Beziehung zur Hauptstadt sprechen. Illies hat letztes Jahr eine Biografie des Malers geschrieben. Wir treffen uns im Westen, Künstler-Café Manzini, Ferdinand von Schirach sitzt draußen und raucht. Mit Illies, der ein Meister darin ist, vergangene Zeit zum Leben zu erwecken, stürzen wir tief hinein ins 19. Jahrhundert. Hier in Berlin also, vor unseren Augen, vor über 200 Jahren, wurde Caspar David einmal zu Friedrich dem Großen.

Marius Babias vom n.b.k.: „Wir wollen uns politisch nicht instrumentalisieren lassen“

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Dass ein Maler aus der sehr tiefen Vergangenheit plötzlich von Erfahrungen, von Sehnsüchten und Träumen spricht, die er noch gar nicht gemacht haben kann, und die sich wie heutige Empfindungen anfühlen. Ich glaube, das wird gerade in Berlin toll, eine Stadt, mit deren DNA ich als Bewohner immer wieder hadere: das ewig Vorwärts- und Vorwegstürmende, die permanent aufgeregte Selbsterneuerung. Dass in diese Stadt jetzt ein Künstler kommt, der wie ein Gegenmodell dazu wirkt, weil er die Zeit stillstehen lässt. 1824 malt er Landschaften, die uns 2024 aus der Seele sprechen.

12.04.2024

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Friedrich war im Sommer 1798 zum ersten und letzten Mal hier, nur wissen wir darüber wenig. Er hat in Kopenhagen studiert und wandert danach von seiner Heimatstadt Greifswald nach Dresden. Dabei macht er Station in Berlin. Er hat über seine Zeit hier in einem Brief eine seltsame Formulierung gewählt: „... eine Zeitlang in Berlin aufgehalten und dort der Kunst oblegen“.

Was meint er damit?

Er hat sich wohl der Kunst gewidmet, womöglich hingegeben. Wir wissen allerdings, dass das nicht besonders erfolgreich war. Denn er geht schon im September wieder und beginnt auf dem Fußweg nach Dresden bereits, Wasserfälle und Bäume zu zeichnen. Er wollte ganz offensichtlich die Stadt schnellstens wieder verlassen. Also dieses alte Motto „be Berlin“ hat für ihn nicht funktioniert.

War Berlin ihm womöglich zu laut und........

© Berliner Zeitung


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