Fremdeln mit der Westbindung: Die Umerziehung der Ossis ist gescheitert
Eine starke, früh gefestigte Bindung schafft Urvertrauen. So ausgestattet gelingt es Partnern, in ihrer Beziehung mit Stress umzugehen sowie positive Gefühle zu teilen. Was für Familien, Kleinkinder, Freunde oder Geschäftsleute gilt, trifft nicht minder auf das weite Feld der internationalen Beziehungen zu. Man denkt nur nicht ständig darüber nach. Aber in diesen Wochen fällt etwas exorbitant auf: die Schwierigkeiten des Ostens mit der Westbindung.
Sie wurde dem Osten in der besinnungslosen Zeit nach dem 3. Oktober 1990 ohne Federlesen übergestülpt. Die Bedeutung dieses Teils der Überführung des untergegangenen Staates Ost war der großen Öffentlichkeit nicht bewusst – wohl aber den Einheitsgestaltern West. Warum wohl wollten Schäuble und Kohl die schnelle Einheit nach Artikel 23 des Grundgesetzes, also den Beitritt statt der Vereinigung Gleichberechtigter wie es der Artikel 146 vorsieht?
Man kann doch nicht im Ernst glauben, der kürzere Querfeldeinweg in die Einheit sei aus Rücksichtnahme auf die DDR-Bürger gewählt worden, die schnell ins Reich von Konsum und Freiheit eintreten wollten. Schaut man sich an, was den neuen Bundesbürger nach der Einheit zugemutet wurde – das Abräumen der DDR-Wirtschaft durch die Treuhand, die Millionen Arbeitslosen, das Umstülpen von Gesundheits- und Bildungswesen, die Nichtanerkennung von Berufsabschlüssen, der Exodus der Jugend und so fort – dann kann man getrost ausschließen, dass der Verzicht auf den längeren, demokratischen Einigungsprozess nach Artikel 146 aus Rücksichtnahme geschah.
Der Artikel besagt, das Grundgesetz verliere „seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“. Das wäre alle Anstrengung wert gewesen und gilt übrigens bis heute.
Warum sollte ein nicht westliches Land dem Westen noch gefallen wollen?
25.02.2024
Wenn die Mitte die Probleme nicht löst, sind um 2030 die Rechten an der Macht
13.07.2024
Nein, bei all der Eile ging es um die Westbindung, die Grundfeste, das Unverhandelbare, Unumstößliche im Selbstverständnis der alten Bundesrepublik. Das gleichberechtigte Zusammenführen beider deutscher Staaten hätte zwangsläufig eine Debatte über die Westbindung zur Folge haben müssen – und eine Definition des langfristigen Verhältnisses zur Sowjetunion beziehungsweise Russland. Dieses Riesenfass........
© Berliner Zeitung
visit website