Europas Politiker knicken in Windeseile vor den Wutbauern ein. Sie legitimieren damit all jene, die ihre Ziele mit Gewalt statt Argumenten verfolgen.

Für Benoît Durand, einen Geflügelzüchter aus einem Dorf nahe der französischen Stadt Chartres, war glasklar, weshalb er mit seinen Mitstreitern vorige Woche die Autobahn A11 nach Paris blockierte: „Das Ziel ist, die Pariser auszuhungern. Punkt.“ Diese Drohung, in eine TV-Kamera gesprochen, schlug rasch Wellen. Zwar ruderte Durand bald zurück. Er wünsche natürlich niemandem, ausgehungert zu werden. Er habe das nur so dahingesagt. Doch er bekräftigte seine Absicht: „Das Wesentliche ist, Frankreich zu lähmen.“

Das ist eine empörende Anmaßung. Man stelle sich vor, ein Klimaaktivist würde seine Protestaktion damit begründen, die Bürger einer Stadt aushungern zu wollen. All jene, die schon jetzt davon träumen, den Straftatbestand „Klimaterrorismus“ ins Leitbild der Nation zu schreiben, sähen sich bestätigt. Doch dem Hendlbauern Durand lässt man seine Gewaltandrohung – und was anderes als eine solche ist es, andere Menschen hungern lassen zu wollen? – achselzuckend durchgehen.

Mehr noch: In allen europäischen Staaten, in denen es seit dem Jahresbeginn Bauernproteste gibt, übertreffen Politiker einander darin, ihr vollstes Verständnis zu bekunden. Und sie erfüllen in Windeseile zahlreiche Forderungen der Wutbauern. Frankreichs vermeintlich wirtschaftsliberale Regierung erklärt das Freihandelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay für beerdigt. Die Europäische Kommission verlängert die Aufhebung der Pflicht, dass vier Prozent der urbaren Flächen brach liegen müssen, um die Artenvielfalt zu stärken und den ausgelaugten Böden die Möglichkeit zur Regeneration zu geben. Ebenfalls in Frankreich werden die Vorgaben zur Reduzierung des Einsatzes von Pestiziden aufgehoben, und 150 Millionen Euro Sondersubventionen gibt es dazu.

Mit der gewaltsamen Übernahme der Kontrolle über den öffentlichen Raum haben die Bauern binnen weniger Tage ihr Ziel erreicht: Die Politik ist verängstigt, denn vier Monate vor der Europawahl fürchtet sie einen zusätzlichen Zustrom für rechtsradikale und populistische Parteien. Kein Minister, kein Regierungschef wird auf absehbare Zeit fordern, dass auch die Landwirtschaft als große Emittentin von Treibhausgasen ihren Teil zum Klimaschutz leistet. Eine Debatte über die gesundheitsschädlichen Wirkungen zahlreicher Spritzmittel? Kurz gelacht.

Hier wurde eine Grenze überschritten, die in parlamentarischen Demokratien eigentlich die Willkür von der Vernunft scheiden soll. Nicht wer am lautesten schreit (oder den größten Traktor hat), gewinnt die politische Auseinandersetzung. Sondern wer die überzeugendsten Argumente ins Treffen führt und die größten Koalitionen schmiedet. So hörte man beispielsweise von den protestierenden Landwirten die begründete Klage, sie müssten strenge Umweltauflagen einhalten, während aus Übersee landwirtschaftliche Produkte in die EU importiert würden, die mit Pestiziden behandelt sind, die aus Europa dorthin exportiert wurden, während sie hier verboten sind. Das ist grotesk, und Europas Gesetzgeber sollten es rasch beenden. Wieso drängen die Bauern jene politischen Parteien, die dieses lukrative Exportgeschäft der europäischen Chemieunternehmen geschehen lassen, nicht zum Handeln?

Auch die seit einiger Zeit grassierende Unart, umweltbewusste Städter als weltfremd zu diffamieren, schadet den Landwirten. Denn genau diese vermeintlichen Bobo-Deppen, die angeblich nicht wissen, wo bei der Kuh vorn und hinten ist, sind bereit, jene deutlich höheren Preise zu zahlen, die die Bauern zu Recht für ihre Lebensmittel fordern. Hier könnte man die abgedroschene Floskel vom Gemeinsamen, das man vor das Trennende stellen solle, in die politische Realität umsetzen.

Denn von hungernden Städtern hat kein Landwirt etwas. Der Affekt der Straße wiederum darf nicht Leitmotiv der politischen Auseinandersetzung in Europa werden. Denn sonst werden sich rasch jene ermächtigt fühlen, die für Demokratie und Kompromisskultur nur Verachtung übrig haben.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

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In der Demokratie geht das Recht nicht von der Straße aus

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04.02.2024

Europas Politiker knicken in Windeseile vor den Wutbauern ein. Sie legitimieren damit all jene, die ihre Ziele mit Gewalt statt Argumenten verfolgen.

Für Benoît Durand, einen Geflügelzüchter aus einem Dorf nahe der französischen Stadt Chartres, war glasklar, weshalb er mit seinen Mitstreitern vorige Woche die Autobahn A11 nach Paris blockierte: „Das Ziel ist, die Pariser auszuhungern. Punkt.“ Diese Drohung, in eine TV-Kamera gesprochen, schlug rasch Wellen. Zwar ruderte Durand bald zurück. Er wünsche natürlich niemandem, ausgehungert zu werden. Er habe das nur so dahingesagt. Doch er bekräftigte seine Absicht: „Das Wesentliche ist, Frankreich zu lähmen.“

Das ist eine empörende Anmaßung. Man stelle sich vor, ein Klimaaktivist würde seine Protestaktion damit begründen, die Bürger einer Stadt aushungern zu wollen. All jene, die schon jetzt davon träumen, den Straftatbestand „Klimaterrorismus“ ins Leitbild der Nation zu schreiben, sähen sich bestätigt. Doch dem Hendlbauern Durand lässt man seine Gewaltandrohung – und was........

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