In Belgiens Hauptstadt wird ein U-Bahn-Bau zum milliardenschweren Fass ohne Boden.

Neulich erklärte die Brüsseler Verkehrsministerin Elke Van den Brandt von den Grünen, sie hoffe, auch nach den Regionalwahlen am 9. Juni ihre Vision von Brüssel als „Wohnzimmer-Stadt“ fortzusetzen. Als Einwohner Brüssels und Benutzer seiner öffentlichen Räume und Infrastrukturen hat mich das ein wenig erheitert. Gewiss sind in Van den Brandts Amtszeit in der rot-grün-liberalen Regierung der Brüsseler Hauptstadtregion viele löbliche Dinge geschehen, allen voran die schrittweise Einführung von Fußgängerzonen im vor allem touristisch genutzten historischen Zentrum der Stadt. Doch seit einiger Zeit fühlen sich viele Brüsseler in dieser „Wohnzimmer-Stadt“ nicht mehr so recht wohl, was vor allem auf die von der Regierung viel zu lange ignorierte Crack-Epidemie zurückzuführen ist, die das U-Bahn-Fahren bisweilen schon im Frühverkehr zu einer olfaktorischen und visuellen Grenzerfahrung macht. Von den schießfreudigen Drogenbanden, die ihre Konflikte fast jede Nacht und immer öfter mit Kalaschnikows regeln, ganz zu schweigen.

Und dann wäre da noch das Projekt der U-Bahn-Linie 3. Sie soll den Süden der Stadt mit dem Norden verbinden. Seit Jahren wird daran herumgedoktert, vielerorts stehen die Arbeiten still, weil der berüchtigte sandige Boden für statische Überraschungen sorgt, die Kosten haben sich bereits auf mehr als vier Milliarden Euro verdoppelt. Zum Vergleich: Für alle Sozialleistungen gibt die Region ungefähr die Hälfte davon aus. Kein Infrastrukturprojekt der Hauptstadt war bisher teurer, rechnete das Investigativmagazin „Médor“ vor – nicht einmal die pharaonenhafte Eisenbahnverbindung zwischen dem Nord- und Südbahnhof im vorigen Jahrhundert, für die ganze historische Stadtviertel planiert wurden. Die „Brüsselisation“ ist seither ein geflügeltes Wort brutaler Stadtplanung. Offenkundig ist diese Tradition weniger einfach zu beenden, als erhofft.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

QOSHE - Brüsseler Pharaonenwahn, einst und heute - Oliver Grimm
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Brüsseler Pharaonenwahn, einst und heute

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02.04.2024

In Belgiens Hauptstadt wird ein U-Bahn-Bau zum milliardenschweren Fass ohne Boden.

Neulich erklärte die Brüsseler Verkehrsministerin Elke Van den Brandt von den Grünen, sie hoffe, auch nach den Regionalwahlen am 9. Juni ihre Vision von Brüssel als „Wohnzimmer-Stadt“ fortzusetzen. Als Einwohner Brüssels und Benutzer seiner öffentlichen Räume und Infrastrukturen hat mich das ein wenig erheitert. Gewiss sind in Van den Brandts Amtszeit in der rot-grün-liberalen Regierung der Brüsseler........

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