Laura Giannini vs. Alfonso Pantisano. Was klingt wie die Ankündigung eines italienischen Schlagerwettbewerbs, ist die Teilnehmerliste einer Rangelei im Vorfeld der Wahl des neuen Landesvorsitzes der Berliner SPD.

Zu verfolgen war das Ereignis am Dienstagabend im Willy-Brandt-Haus in Kreuzberg während der Kandidaten-Kür. Und es wirft ein verstörendes Bild auf die scheinbar ewige Berliner Regierungspartei.

Kurz vor Schluss des Abends, an dem sich die drei Kandidaten-Duos für den künftigen Vorsitz vorstellten, schubste Laura Giannini, SPD, Alfonso Pantisano, ebenfalls SPD, rüde. Pantisano hatte in eine Rede der Kandidatin Nicola Böcker-Giannini hineingebrüllt. Schubserin Laura Giannini ist ihre Ehefrau.

Nun kann eine heftige Auseinandersetzung, selbst wenn sie körperlich ausgetragen wird, kein alleiniger Gradmesser für den Zustand der Berliner SPD sein. Sie zeigt aber doch, dass die Partei mal wieder und immer noch auf der Suche nach sich selbst ist.

Es ist gerade zwei Wochen her, da wurde Berlins Sozialdemokraten der Spiegel vorgehalten. Auf 50 Seiten nahmen der Wahlforscher und FU-Politologe Thorsten Faas und die Politikberaterin Jana Faus die Partei auseinander. Nicht einmal die Berliner SPD selbst wisse, wofür sie stehe. Und vor allem wofür sie künftig stehen wolle: Für „linke“, „konservative“ oder „pragmatische Politik“?

Außenstehende mögen geneigt sein zu sagen: Na ja, möglicherweise entscheidet man je nach Bedarf und Thema. Doch in der SPD geht es stets ums Ganze.

In dieser Gemengelage treten drei Duos um die Nachfolge der Doppelspitze Franziska Giffey/Raed Saleh an: Martin Hikel, Bezirksbürgermeister aus Neukölln, zusammen mit der früheren Staatssekretärin Nicola Böcker-Giannini. Kian Niroomand, stellvertretender Landesvorsitzender, mit Jana Bertels, Co-Chefin der Frauen-Arbeitsgemeinschaft. Raed Saleh, Partei- und Fraktionschef, zusammen mit der Kommunalpolitikerin Luise Lehmann aus Marzahn-Hellersdorf. Bis Mitte Mai kann die SPD-Basis entscheiden, der Parteitag am 25. Mai soll das Ergebnis bestätigen.

•gestern

•vor 8 Std.

•gestern

•gestern

•vor 8 Std.

Alles sechs versprechen einen Neuanfang – was zumindest aus dem Munde von Co-Chef Niroomand und Multifunktionär Saleh eigentümlich klingt. Es ist vor allem Salehs erneute Kandidatur, die bei vielen in und außerhalb der Partei auf Unverständnis stößt. Der 46-Jährige ist seit 13 Jahren Chef der Abgeordnetenhausfraktion und seit vier Jahren zugleich auch der Partei. In dieser Zeit wurde die durch langjähriges Mitregieren ausgezehrt wirkende SPD von Wahl zu Wahl schwächer. Negative Höhepunkte waren die Urnengänge 2021, 2023 und 2024. In verantwortlicher Position waren jeweils Franziska Giffey und Raed Saleh.

Ende vorigen Jahres gab Giffey ihren Verzicht bekannt. Sie zog damit zum einen die Konsequenz aus den Niederlagen. Zum anderen darf künftig nur noch ein Teil des Führungsduos eine Spitzenposition in Regierung oder Parlament innehaben. Das hieß, es konnte künftig nur eine(n) geben: Giffey oder Saleh. Nach ihrem Rückzug ließ sich Saleh ein paar Wochen Zeit, um dann seine erneute Kandidatur anzukündigen.

Nicht nur der Parteienforscher Gero Neugebauer von der FU erkennt darin „einen erstaunlichen Niedergang in der Kultur der SPD“. Denn eigentlich sei doch klar: „Wenn eine Partei eine Wahl verliert, treten die Chefs zurück.“ Seine Analyse ist knallhart: „Wir sehen den Verschleiß einer langjährigen Regierungspartei, die sich inhaltlich nicht mehr ausreichend erklärt und keine charismatischen Personen mehr gewinnt.“

Und dennoch ist diesmal einiges anders. Voriges Mal trat nur das aus machttechnischen Gründen zusammengestellte, sehr heterogene Duo Giffey/Saleh, an – und fuhr trotz fehlender Alternativen bemerkenswert schlechte persönliche Ergebnisse ein. Jetzt gehen jeweils politisch ähnlich ausgerichtete Persönlichkeiten als Teams an den Start. Es wird also deutlich homogener, vielleicht harmonischer.

Ist das automatisch gut? Die Parteienforschung kennt drei entscheidende Kriterien für gute Führung einer Partei. Nur eines ist der Umgang innerhalb der Führung. Es bedarf auch einer Führung, die die Mitglieder mitnimmt und einbindet. Drittes Kriterium ist, dass die Führung auch Stimmungen aus der Partei aufnimmt.

Berliner SPD zerstört sich selbst und leakt Geheimpapier an die Presse

08.03.2024

Neuköllns Bürgermeister Hikel: „Offenheit für Antisemitismus in der arabischen Community größer“

26.11.2023

Und da deutet sich eine Wahl mit teilweise richtungsweisendem Charakter an. Es geht um eine Art neue Gerechtigkeit. Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini wollen Schluss machen mit der „Umsonst-Stadt für alle“, der Idee, dass möglichst viele Dinge in Berlin kostenlos sein sollen. Für alle.

Kostenlose Kitas, Schul-Essen und Schüler-ÖPNV und bald auch wieder das 29-Euro-Ticket für alle – das sind Errungenschaften, die vor allem Raed Saleh durchgesetzt hat und bis jetzt vehement für sich reklamiert. Doch genutzt hat die Politik der Wahlgeschenke wenig bis nichts.

Und ist die Gratis-Mentalität überhaupt gerecht? Nein, sagt Kandidatin Böcker-Giannini und blickt dabei auf ihren Co-Kandidaten, der als Bürgermeister rund 10.000 Euro im Monat verdient: „Warum kann Martin Hikel mit seinem 29-Euro-Ticket quer durch Berlin fahren und seinen Sohn zur Kita bringen, die auch nichts kostet?“ Es sei gerechter, diejenigen bezahlen zu lassen, die es können. Dieses Geld könnte dann den Einrichtungen und den wirklich Bedürftigen zugutekommen.

Es geht also um etwas in der Berliner SPD, es könnte sich etwas ändern. Könnte. Denn aus Salehs Lager ist zu hören, was passieren würde, wenn Hikel und Böcker-Giannini tatsächlich gewinnen würden. Die wären dann „Könige ohne Land“, so der Spruch. Soll heißen: Ganz oben an der Spitze mag sitzen, wer will. Die Partei und ihre Entscheider auf der mittleren Ebene bleiben links.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de

QOSHE - Tumulte, Streit, Skandale: Die Berliner SPD weiß nicht mehr, wofür sie steht - Elmar Schütze
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Tumulte, Streit, Skandale: Die Berliner SPD weiß nicht mehr, wofür sie steht

8 1
18.03.2024

Laura Giannini vs. Alfonso Pantisano. Was klingt wie die Ankündigung eines italienischen Schlagerwettbewerbs, ist die Teilnehmerliste einer Rangelei im Vorfeld der Wahl des neuen Landesvorsitzes der Berliner SPD.

Zu verfolgen war das Ereignis am Dienstagabend im Willy-Brandt-Haus in Kreuzberg während der Kandidaten-Kür. Und es wirft ein verstörendes Bild auf die scheinbar ewige Berliner Regierungspartei.

Kurz vor Schluss des Abends, an dem sich die drei Kandidaten-Duos für den künftigen Vorsitz vorstellten, schubste Laura Giannini, SPD, Alfonso Pantisano, ebenfalls SPD, rüde. Pantisano hatte in eine Rede der Kandidatin Nicola Böcker-Giannini hineingebrüllt. Schubserin Laura Giannini ist ihre Ehefrau.

Nun kann eine heftige Auseinandersetzung, selbst wenn sie körperlich ausgetragen wird, kein alleiniger Gradmesser für den Zustand der Berliner SPD sein. Sie zeigt aber doch, dass die Partei mal wieder und immer noch auf der Suche nach sich selbst ist.

Es ist gerade zwei Wochen her, da wurde Berlins Sozialdemokraten der Spiegel vorgehalten. Auf 50 Seiten nahmen der Wahlforscher und FU-Politologe Thorsten Faas und die Politikberaterin Jana Faus die Partei auseinander. Nicht einmal die Berliner SPD selbst wisse, wofür sie stehe. Und vor allem wofür sie künftig stehen wolle: Für „linke“, „konservative“ oder „pragmatische Politik“?

Außenstehende mögen geneigt sein zu sagen: Na ja, möglicherweise entscheidet man je nach Bedarf und Thema. Doch in der SPD........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play