Der erste gemeinsame Auftritt der Kandidaten für den neuen SPD-Landesvorsitz endete in Geschrei und Geschubse. Alfonso Pantisano, die vom Senat ernannte „Ansprechperson Queeres Berlin“, hatte vom Rand des Auditoriums im Willy-Brandt-Haus in die Rede einer Kandidatin hineingebrüllt. Es fielen Begriffe wie „Rassismus“ und „Homophobie“ – Kampfbegriffe der Identitätspolitik. Kurz darauf war die Veranstaltung beendet. Zurück blieben Fragen über den Zustand der SPD. Und wie miteinander umgegangen wird.

Den Anlass für Pantisanos Entgleisung gab ursprünglich Martin Hikel. Der Neuköllner Bürgermeister will mit der früheren Staatssekretärin Nicola Böcker-Giannini den SPD-Vorsitz übernehmen. Die Wahl wird notwendig, weil auf dem nächsten Parteitag am 25. Mai Nachfolger für das Duo Franziska Giffey/Raed Saleh gekürt werden müssen. Giffey tritt nicht mehr an, Saleh in anderer Konstellation. Aber nicht nur deswegen erkennen Beobachter eine feine Ironie darin, wenn nun alle drei Duos mehr oder minder wortgleich einen Neuanfang versprechen, sollten sie gewinnen.

So etwas klingt vielleicht gut in den Ohren derjenigen, die der SPD die Treue halten oder sogar ein rotes Parteibuch besitzen. Und um diese – ja, vielleicht ja sogar Herzen – sollte es an diesem Dienstagabend gehen. Schließlich sollen die Mitglieder, die viel besungene Parteibasis, per Abstimmung über das neue Führungsduo entscheiden.

Für eine sach- und personengerechte Entscheidung ist auch das Lager innerhalb der Partei entscheidend: Saleh und Luise Lehmann sowie das Duo Kian Niroomand/Jana Bertels sind dem linken Flügel der Partei zuzuordnen, Hikel und Böcker-Giannini gelten als Vertreter des rechten Flügels in der Berliner SPD.

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11.03.2024

12.03.2024

•vor 8 Std.

Vor allem Hikel profilierte sich als Mann des klaren Wortes. So verurteilte er klar den grassierenden Antisemitismus auf Berlins Straßen, in Kulturinstitutionen und an Universitäten nach dem Hamas-Überfall auf Israel und den darauffolgenden Militäreinsatz im Gazastreifen. Das hinderte den Neuköllner Bürgermeister aber nicht daran, auf seiner Facebook-Seite einen „gesegneten und friedlichen Ramadan“ zu wünschen. Die Zeit des Ramadan sei „eine Zeit der Einkehr, der Gemeinschaft, der Begegnung und des Friedens. Gerade in diesem Jahr teile ich den Wunsch nach Frieden. Viele Familien leiden unter dem Krieg, der – ausgelöst durch den Terror-Anschlag der Hamas – gerade in Gaza tobt. Auch in Neukölln und in Berlin. Hoffen wir gemeinsam, dass bald Frieden einkehren kann und eine friedlichere Zukunft des Miteinanders möglich ist“, schrieb er.

Für so viel Differenzierung war am Dienstagabend im Willy-Brandt-Haus keine Zeit. Es ist Wahlkampf. Und in diesem Wahlkampf, in einer nach zwei Stunden zunehmend hitzigeren Atmosphäre, in der mancher im Saal der Konkurrenz von CDU und AfD generell „anti-muslimischen Rassismus“ unterstellte, bezweifelte Kandidat Hikel, ob es so etwas wie anti-muslimischen Rassismus überhaupt gebe. Schließlich sei „der Islam keine Rasse“.

Im daraus folgenden Getöse sprang Böcker-Giannini ihrem Partner bei und sagte, die SPD müsse unterschiedliche Meinungen aushalten. In dem Moment platzte es aus dem streitbaren Queer-Aktivisten Alfonso Pantisano heraus. „Rassismus und Homophobie sind keine Meinung“, brüllte er.

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Tags darauf legte Pantisano in einem länglichen Post auf seiner Facebook-Seite nach. Darin nennt er Hikels Argumentation „nicht nur verkehrt auf so vielen Ebenen, sondern auch unverschämt und dumm“. Aber das reichte ihm noch nicht. „Und es ist verletzend“, schrieb er. Außerdem: „Ich denke, dass wenn Menschen in Machtpositionen einen solchen Unfug von sich geben, dann tun sie es bewusst, weil sie spalten, abgrenzen und verletzen wollen.“

Jene „Homophobie“, von der er am Dienstagabend im selben Atemzug mit Rassismus gesprochen hatte, ließ Pantisano inmitten all seiner starken Worte in dem Post wohlweislich weg. Schließlich hatte er diesen Vorwurf in dem Wortgefecht ausgerechnet Nicola Böcker-Giannini entgegengeschleudert – sie ist lesbisch und lebt mit einer Frau zusammen. Entsprechend verwahrte sie sich dagegen, womöglich lesben- oder sonst wie feindlich zu sein. Das habe er nicht behauptet, schrie Pantisano zurück. „Doch, hast du“, rief sie ins Mikrofon. Bei ihr sei das genau so angekommen.

Als Pantisano sich immer noch nicht beruhigen wollte, wurde er von einer Frau, die neben ihm am Rande des Publikums stand, grob geschubst und deutlich zurechtgewiesen. Noch Minuten später lief er aufgebracht durch den Saal, mehrere Genossen liefen zu ihm, um ihn zu beruhigen.

Im Laufe des Mittwochs meldete sich auch das Duo Hikel/Böcker-Giannini zu Wort. „Wer Vielfalt will, muss sie gleichzeitig auch ertragen – denn das Schüren von Ressentiments innerhalb der Partei hat die SPD dorthin geführt, wo sie heute ist“, erklärt darin Nicola Böcker-Giannini. Damit dürfte sie die schlechten Berliner Wahlergebnisse der vergangenen Jahre gemeint haben, in denen die Partei einen Minusrekord nach dem anderen aufstellte. Und sicher auch die innerparteiliche Debattenkultur, das Miteinander, wie es sich am Dienstagabend für manchen exemplarisch offenbarte.

Und Hikel schrieb: „Wir beide haben unsere Überzeugungen und unsere Haltung. Aber die konkrete Position der Berliner SPD zu den einzelnen Themen wollen wir gemeinsam mit den Mitgliedern erarbeiten – im Miteinander statt im Hinterzimmer.“

Das „Hinterzimmer“ ist eine Anspielung auf Raed Salehs Politikstil. Nach 13 Jahren Verantwortung an der Spitze der Fraktion, nach vier Jahren Verantwortung zugleich auch an der Spitze der Partei, gilt er als König des Hinterzimmers. Am Abend selbst hatte Saleh den Tumult für einen sarkastischen Seitenhieb Richtung Hikel und Böcker-Giannini genutzt: „Gratuliere, wie ihr die Partei an diesem Abend zusammengeführt habt.“

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QOSHE - Tumult bei SPD-Treffen: Berlins Queer-Beauftragter beleidigt Kandidatin und wird geschubst - Elmar Schütze
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Tumult bei SPD-Treffen: Berlins Queer-Beauftragter beleidigt Kandidatin und wird geschubst

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14.03.2024

Der erste gemeinsame Auftritt der Kandidaten für den neuen SPD-Landesvorsitz endete in Geschrei und Geschubse. Alfonso Pantisano, die vom Senat ernannte „Ansprechperson Queeres Berlin“, hatte vom Rand des Auditoriums im Willy-Brandt-Haus in die Rede einer Kandidatin hineingebrüllt. Es fielen Begriffe wie „Rassismus“ und „Homophobie“ – Kampfbegriffe der Identitätspolitik. Kurz darauf war die Veranstaltung beendet. Zurück blieben Fragen über den Zustand der SPD. Und wie miteinander umgegangen wird.

Den Anlass für Pantisanos Entgleisung gab ursprünglich Martin Hikel. Der Neuköllner Bürgermeister will mit der früheren Staatssekretärin Nicola Böcker-Giannini den SPD-Vorsitz übernehmen. Die Wahl wird notwendig, weil auf dem nächsten Parteitag am 25. Mai Nachfolger für das Duo Franziska Giffey/Raed Saleh gekürt werden müssen. Giffey tritt nicht mehr an, Saleh in anderer Konstellation. Aber nicht nur deswegen erkennen Beobachter eine feine Ironie darin, wenn nun alle drei Duos mehr oder minder wortgleich einen Neuanfang versprechen, sollten sie gewinnen.

So etwas klingt vielleicht gut in den Ohren derjenigen, die der SPD die Treue halten oder sogar ein rotes Parteibuch besitzen. Und um diese – ja, vielleicht ja sogar Herzen – sollte es an diesem Dienstagabend gehen. Schließlich sollen die Mitglieder, die viel besungene Parteibasis, per Abstimmung über das neue Führungsduo entscheiden.

Für eine sach- und personengerechte Entscheidung ist auch das Lager innerhalb der Partei entscheidend: Saleh und Luise Lehmann........

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