Es war still geworden um das Verhältnis im Berliner Senat zwischen dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch. Nun führt die innerbetriebliche Liebschaft zu einer ungewöhnlichen Konstellation: Erstmals muss Finanzsenator und Vize-Regierungschef Stefan Evers (alle CDU) vermitteln. Nun geht es nicht etwa um Wegner, sondern um einen Konflikt zwischen dem Bildungsressort und der Integrationsverwaltung, geführt von Katharina Günther-Wünsch beziehungsweise Cansel Kiziltepe (SPD). Das Ergebnis soll nach der Senatssitzung am Dienstag vorgestellt werden.

Der Streit zwischen den beiden Fachsenatorinnen entspinnt sich vordergründig an der Frage, wo in Berlin schulpflichtige Flüchtlingskinder unterrichtet werden sollen. Nach dem Willen der Bildungssenatorin soll dies in den großen Gemeinschaftsunterkünften vor Ort – etwa Tegel oder Tempelhof – geschehen, weil es an Regelschulen nicht ausreichend Plätze gebe. Die Integrationssenatorin ist dagegen und warnt davor, geflüchtete Kinder isoliert zu unterrichten. Das sei der Integration nicht zuträglich, diese funktioniere nur in gemischten Klassen.

Normalerweise würde sich der Regierende Bürgermeister in so einem Fall einschalten. Da dieser jedoch mit der Bildungssenatorin liiert ist, sollen Interessenkollisionen durch eine komplizierte Regelung vermieden werden: Bei Konflikten zwischen dem Bildungsressort und einem anderen Haus soll Vize Evers übernehmen. Ist er selbst betroffen, ist Wirtschaftssenatorin und Vize-Chefin Franziska Giffey (SPD) in der Pflicht.

Wir können derzeit nicht alle unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten an Regelschulen unterbringen.

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22.03.2024

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In diese Familienaufstellung hinein platzen Meldungen, wonach der Senat von weiter steigenden Zahlen an unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten ausgeht. Senatorin Günther-Wünsch wies anlässlich eines Besuchs einer Unterkunft am Montagvormittag in Hohenschönhausen auf die Herausforderungen hin, für diese Menschen in Berlin ausreichend Schulplätze zu finden. „Die Zahl der Geflüchteten, die zu uns kommen und in den nächsten Monaten kommen werden, nimmt zu“, sagte sie. „Wir können derzeit nicht alle unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten an Regelschulen unterbringen.“

Tatsächlich lag die Zahl dieser minderjährigen Unbegleiteten 2023 in Berlin bei gut 3100 und damit auf vergleichbarem Niveau wie im Jahr davor, heißt es von der Senatsverwaltung. Seit 2021 sei die Zahl der Plätze in Unterkünften mit Erstaufnahme und Clearingstelle für diese Personengruppe auf knapp 1800 Plätze erhöht.

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16.01.2024

Günther-Wünschs Staatssekretär Falko Liecke (ebenfalls CDU) wies bei der Gelegenheit darauf hin, dass es bisher gelungen sei, alle unbegleiteten Minderjährigen in angemessenen Unterkünften mit Rund-um-die-Uhr-Betreuung und tagesstrukturierenden Maßnahmen unterzubringen. Innerhalb von zwei Jahren seien mehr als 6000 untergebracht worden. „Parallel wurden 40 Unterkünfte mit Personal für die Erstaufnahme bereitgestellt und neu eröffnet.“ Doch jetzt sei es höchste Zeit, die soziale Infrastruktur dorthin zu bringen, wo sich die Menschen aufhielten. Liecke meint die Flüchtlingsunterkünfte.

Und diese Unterkünfte, sagte vergangene Woche CDU-Fraktionschef Dirk Stettner, sollten künftig eher größer als kleiner werden. Allein die Großunterkunft am früheren Flughafen Tempelhof solle noch einmal um 3000 Plätze aufgestockt werden. Es gehe nicht anders, so Stettner.

Aus Tempelhof würde damit quasi ein Tegel II. Auf dem anderen ehemaligen innerstädtischen Flughafen sind derzeit 5400 Menschen untergebracht, Platz ist für bis zu 7000. Vor zwei Wochen kam es in Tegel zu einem Brand, bei dem 1000 Menschen in Sicherheit gebracht werden mussten. Verletzt wurde niemand.

Dennoch ist das Feuer nur einer der Gründe, weshalb Integrationssenatorin Kiziltepe von der SPD gegen einen weiteren Ausbau der Großunterkünfte ist. Ziel müsse es sein, die Menschen in der gesamten Stadt zu verteilen.

Es klingt wie ein klassischer schwarz-roter Konflikt: knallharter Pragmatismus à la CDU versus sozialdemokratischer Idealismus. Umso absurder mutet die umständliche Konstellation mit der Liebelei an der Senatsspitze an.

Als wäre die Situation angesichts des umstrittenen Themas Migration nicht komplex genug, birgt die Senatssitzung am Dienstag noch eine weitere Kuriosität. Die Landesregierung verlässt mal wieder ihr angestammtes Habitat Rotes Rathaus und reist in einen Berliner Bezirk.

Am Dienstagvormittag tagt man in Neukölln, genauer im Süden am (Schul-)Campus Efeuweg. Anschließend steht eine Tour im Problembezirk an, mit den Stationen Kombibad Gropiusstadt, Großwohnsiedlung Gropiusstadt, Vivantes-Klinikum, BSR-Recyclinghof in Britz, Estrel-Baustelle (dort entsteht Berlins höchstes Haus) sowie zum Abschluss eine Wärmestube für Obdachlose in Neukölln-Nord.

Das große Geschäft mit minderjährigen Geflüchteten in Berlin – und wer davon profitiert

02.03.2024

Zumindest bei einigen dieser Termine wird Bezirksbürgermeister Martin Hikel dabei sein. Das ist dieser Tage und Wochen heikel. Schließlich bewirbt sich der Gastgeber um den Landesvorsitz der Berliner SPD. Einer seiner Kontrahenten ist Partei- und Fraktionschef Raed Saleh. Hikel benennt Schwierigkeiten mit straffälligen Migranten in seinem Bezirk klar. Saleh ist erklärter Unterstützer von Integrationssenatorin Kiziltepe. Und nun erhält Hikel Unterstützung vom Senat?

Das Zusammentreffen von Neukölln-Tour und Kandidatur „ist totaler Zufall“, sagt Senatssprecherin Christine Richter auf Nachfrage der Berliner Zeitung. Solche Besuche, die zwischen allen Senatsverwaltungen abgestimmt werden müssen, hätten einen langen Vorlauf. Zu diesem Zeitpunkt habe niemand etwas von Hikels Ambitionen wissen können. Mutmaßungen darüber hinaus seien abwegig, so Richter.

QOSHE - Streit um Integration: Sollen Flüchtlinge in ihren Lagern unterrichtet werden? - Elmar Schütze
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Streit um Integration: Sollen Flüchtlinge in ihren Lagern unterrichtet werden?

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25.03.2024

Es war still geworden um das Verhältnis im Berliner Senat zwischen dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch. Nun führt die innerbetriebliche Liebschaft zu einer ungewöhnlichen Konstellation: Erstmals muss Finanzsenator und Vize-Regierungschef Stefan Evers (alle CDU) vermitteln. Nun geht es nicht etwa um Wegner, sondern um einen Konflikt zwischen dem Bildungsressort und der Integrationsverwaltung, geführt von Katharina Günther-Wünsch beziehungsweise Cansel Kiziltepe (SPD). Das Ergebnis soll nach der Senatssitzung am Dienstag vorgestellt werden.

Der Streit zwischen den beiden Fachsenatorinnen entspinnt sich vordergründig an der Frage, wo in Berlin schulpflichtige Flüchtlingskinder unterrichtet werden sollen. Nach dem Willen der Bildungssenatorin soll dies in den großen Gemeinschaftsunterkünften vor Ort – etwa Tegel oder Tempelhof – geschehen, weil es an Regelschulen nicht ausreichend Plätze gebe. Die Integrationssenatorin ist dagegen und warnt davor, geflüchtete Kinder isoliert zu unterrichten. Das sei der Integration nicht zuträglich, diese funktioniere nur in gemischten Klassen.

Normalerweise würde sich der Regierende Bürgermeister in so einem Fall einschalten. Da dieser jedoch mit der Bildungssenatorin liiert ist, sollen Interessenkollisionen durch eine komplizierte Regelung vermieden werden: Bei Konflikten zwischen dem Bildungsressort und einem anderen Haus soll Vize Evers übernehmen. Ist er selbst........

© Berliner Zeitung


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