Die Berliner SPD kommt nicht zur Ruhe. Wenige Wochen vor Start der Mitgliederabstimmung über den neuen Parteivorstand ist eine Analyse der für die SPD katastrophal verlaufenen jüngsten Wahlen in Berlin geleakt geworden – und hat die Genossen kalt erwischt. Der Ärger ist riesig.

Die Politikwissenschaftler Thorsten Faas und Jana Faus zeichnen in der Analyse, die auf Gesprächen mit Mitgliedern basiert, ein desaströses Bild. Wichtigste These: „Berlin und die SPD haben sich offenkundig auseinandergelebt.“ Und: „Im Umfeld der Wahl 2023 sahen die Berliner:innen die SPD mit immensem Vorsprung vor allen anderen Parteien verantwortlich für die Zustände bei den Berliner Behörden, die Pannen bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 und die fehlenden Wohnungen in der Stadt.“

Über allem aber stehe: „Die Partei ist tief gespalten, vor allem bezogen auf symbolische Personal- und Koalitionsfragen.“

Mehr noch als dieser schonungslose, von vielen Beobachtern aber als zutreffend eingeschätzte Bericht scheint die Partei umzutreiben, dass er zum jetzigen Zeitpunkt öffentlich wurde. Und zwar mitten im Rennen um die neue Doppelspitze. Es geht um die Nachfolge des bisherigen, gescheiterten Duos Franziska Giffey und Raed Saleh. Die Wirtschaftssenatorin tritt nicht mehr an. Sie zog damit die Konsequenz aus einem Parteitagsbeschluss, wonach künftig höchstens ein Teil des Duos in Führungspositionen sein dürfe.

Zur Wahl stehen drei Duos, jeweils statutenkonform sauber aufgeteilt in Frau und Mann: Jana Bertels/Kian Niroomand, Nicola Böcker-Giannini/Martin Hikel sowie Luise Lehmann/Raed Saleh. Ab dem 6. April können die rund 18.000 Mitglieder der Berliner SPD abstimmen. Spätestens am 18. Mai soll feststehen, wer gewonnen hat. Danach wird der neue Landesvorstand auf dem Parteitag gewählt.

So weit, so gut. Aber jetzt hat die Partei auch noch das Leak-Problem. Kandidatin Böcker-Giannini kritisiert die parteiinterne Durchstecherei scharf. In einem Statement, das exklusiv der Berliner Zeitung vorliegt, heißt es: „Der Umstand, dass das Ergebnis dieser Befragung zuerst in den Medien bekannt wird, bevor es den Gremien zur Verfügung steht, ist beschämend und zeigt die mangelnde Steuerungsfähigkeit des aktuellen Führungspersonals – das muss Konsequenzen haben.“

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04.03.2024

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Die Unsicherheit, mangelnde Transparenz und fehlende Kommunikation bezeichnen Hikel und Böcker-Giannini als überaus irritierend. „Zu einer seriösen Parteiführung gehört, dass solch ein Ergebnis in den Gremien und mit der Mitgliedschaft diskutiert wird, bevor es an die Öffentlichkeit gelangt“, kommentiert Böcker-Giannini und bemängelt die in ihren Augen fehlende Professionalität.

„Mit unserer Kandidatur stehen wir bereit für einen vollständigen personellen, kulturellen und inhaltlichen Neuanfang“, heißt es weiter in dem Statement. „Wir möchten die Partei künftig in voller Breite einbinden.“ Erneuerung dürfe ebenso keine Floskel sein, „wie eine Unterscheidung in ‚links‘ oder ‚rechts‘ getroffen“ werden dürfe.

Im parteiinternen Kanon gilt die Kombination Jana Bertels/Kian Niroomand als explizit links. So waren beide im vergangenen Jahr auch gegen eine schwarz-rote Koalition.

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Dagegen ist Raed Saleh als langjähriger Partei- und Fraktionsvorsitzender Chef-Manager der aktuellen Partnerschaft mit der CDU. Mit denen konnte er schon immer, aber auch mit den Grünen und Linken, mit denen die SPD auch unter seiner Ägide regiert hatte. Trotzdem bezeichnet sich Saleh selbst als Partei-Linker, ebenso wie seine Co-Frau Luise Lehmann.

Nicola Böcker-Giannini, bis vor wenigen Monaten Staatssekretärin in der Senatssportverwaltung, und der Neuköllner Bürgermeister Martin Hikel gelten eher als Parteirechte. Dabei versteht sich Böcker-Giannini selbst gar nicht so, wie sie im Gespräch mit der Berliner Zeitung sagt: „Ich war immer schon in allen Richtungen anschlussfähig.“

Das unterscheide sie selbst vom jetzt scheidenden Duo Giffey und Saleh. „Die haben es nicht geschafft, die Flügel der Partei zu verbinden.“ Giffey habe die Konsequenz gezogen und damit auch Verantwortung für die schlechten Ergebnisse und die schlechte Außendarstellung übernommen, sagt die Kandidatin. Sie braucht Raed Saleh nicht namentlich benennen, wenn sie sagt: „Es wäre ein erster Schritt, die eigene Verantwortung an der Entwicklung einzuräumen und anzuerkennen.“ So oder so sei klar: „Es kann kein Weiter-so mit dem bestehenden Personal geben.“

QOSHE - Berliner SPD im Selbstzerstörungsmodus: Kurz vor den Vorstandswahlen gibt es Streit um ein Leak - Elmar Schütze
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Berliner SPD im Selbstzerstörungsmodus: Kurz vor den Vorstandswahlen gibt es Streit um ein Leak

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06.03.2024

Die Berliner SPD kommt nicht zur Ruhe. Wenige Wochen vor Start der Mitgliederabstimmung über den neuen Parteivorstand ist eine Analyse der für die SPD katastrophal verlaufenen jüngsten Wahlen in Berlin geleakt geworden – und hat die Genossen kalt erwischt. Der Ärger ist riesig.

Die Politikwissenschaftler Thorsten Faas und Jana Faus zeichnen in der Analyse, die auf Gesprächen mit Mitgliedern basiert, ein desaströses Bild. Wichtigste These: „Berlin und die SPD haben sich offenkundig auseinandergelebt.“ Und: „Im Umfeld der Wahl 2023 sahen die Berliner:innen die SPD mit immensem Vorsprung vor allen anderen Parteien verantwortlich für die Zustände bei den Berliner Behörden, die Pannen bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 und die fehlenden Wohnungen in der Stadt.“

Über allem aber stehe: „Die Partei ist tief gespalten, vor allem bezogen auf symbolische Personal- und Koalitionsfragen.“

Mehr noch als dieser schonungslose, von vielen Beobachtern aber als zutreffend eingeschätzte Bericht scheint die Partei umzutreiben, dass er zum jetzigen Zeitpunkt öffentlich wurde. Und zwar mitten im Rennen um die neue Doppelspitze. Es geht um die Nachfolge des bisherigen,........

© Berliner Zeitung


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