Der Donnerstag war mal wieder einer dieser Tage, die zweifelhafte Fragen an eine Partnerschaft aufwarfen: Die Grünen und Linken im Abgeordnetenhaus stellten sich vor Beginn der Plenarsitzung vor die Presse und sagten quasi gemeinsam: „Wir sind schlicht sauer.“

In Person sagte es die Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch und meinte damit, die schwarz-rote Regierungskoalition in Berlin drücke sich vor einer Debatte über Haushaltsthemen. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hätte zumindest eine Regierungserklärung abgeben sollen. Hat er aber nicht. „So regiert man keine Stadt“, sagte Jarasch noch.

Raed Saleh als SPD-Landesvorsitzender abgewählt

•gestern

Katharina Günther-Wünsch: „Ich war die, die am häufigsten beim Direktor gesessen hat“

•vor 2 Std.

Einen Regierungschef zu drängen, gehört zum Wechselspiel zwischen Opposition und Regierung. Das eigentlich Bemerkenswerte an diesem Donnerstag war, dass man sich an das Setting schon gewöhnt hat: vier Menschen – die jeweilige Fraktionsdoppelspitze von Grünen und Linken -, eine Meinung.

Es vergehen keine zwei Tage, an denen nicht irgendwo Grüne und Linke gemeinsam den Senat kritisieren: zu wenige Radwege, (noch) keine Hauptstadtzulage für Personal der freien Träger, neue Flüchtlingseinrichtungen auf dem Tempelhofer Feld, das 29-Euro-Ticket, der Haushalt oder ganz aktuell die Wiedereinführung der Exmatrikulation an den Unis als Reaktion auf die antisemitischen Vorfälle der vergangenen Monate.

gestern

•vor 3 Std.

19.04.2024

So viel Gleichschritt, so viel Gemeinsamkeit, mag nach sechseinhalb gemeinsamen Jahren im Senat naheliegen, doch am Ende irritiert sie vor allem. Zumal beide, Linke wie Grüne, Anlass hätten, ihr Profil zu schärfen. Die Linke muss sich mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht auseinandersetzen, auch wenn die Sektierer in Berlin thematisch und personell noch keine große Rolle spielen. Doch schon am 9. Juni ist Europawahl, danach werden wir mehr wissen.

Und die Grünen müssen sich endlich ehrlich machen, was rund um die Wiederholungswahl Anfang vorigen Jahres geschehen ist. Wie es passieren konnte, dass sie nicht etwa im Roten Rathaus landeten, sondern in der Opposition. Sie müssen herausfinden, wie der Spagat zwischen Bürgertum auf der einen und großstädtischem Sympathisantentum mit ollen linken Dogmen, neuem woken Geschwurbel und identitätspolitischen Haarspaltereien auf der anderen Seite gelingen soll. Und sie müssen mit einer gewendeten Stimmung in Stadt und Land umgehen: Der Traum der Volkspartei ist fürs Erste ausgeträumt, der einstigen Öko-Partei weht der Wind scharf ins Gesicht.

Damit ist man auch wieder bei Bettina Jarasch. Als sie im Oktober 2020 überraschend zur Spitzenkandidatin gekürt wurde, galt sie als smarte Besetzung. Okay, die gebürtige Bayerin hatte die ersten Jahrzehnte ihres Lebens wenig mit Berlin und – bis heute – noch weniger mit dem Osten zu tun. Doch das hat bei den Berliner Grünen noch nie wirklich interessiert.

Aber Jarasch war die Klammer zwischen den starken Frauen der Partei, die zugleich ihre Flügel repräsentierten: der Wirtschaftssenatorin Ramona Pop von den Realos und Fraktionschefin Antje Kapek von den Fundis. Obwohl selbst eine Bürgerliche, schien Bettina Jarasch prädestiniert für den Job. Schließlich hatte sie von 2011 bis 2016 die zerstrittene Partei als Chefin geführt, befriedet und nach außen hin geeint. Sie verstehe sich als „Brückenbauerin“, sagte die damalige Integrationspolitikerin aus teils katholischem, protestantischem und jüdischem Elternhaus bei ihrer Vorstellung. Doch schon im Wahlkampf zeigte sich, dass noch viele Hürden auf ihrem Weg ins Rote Rathaus stehen sollten.

Es ist sicher gemein, aber eigentlich sind von Bettina Jarasch aus diesem Wahlkampf nur zwei Stichworte hängengeblieben – und beide stehen für die Auseinandersetzungen in und um die Partei, die bis heute anhalten: Indianerhäuptling und Bullerbü.

Einmal erzählte Jarasch, dass sie als Kind gerne „Indianerhäuptling“ gewesen wäre. Dass sie aus der eigenen Partei wegen des inkorrekten Worts für die amerikanischen Ureinwohner kritisiert wurde, ist keine Comedy, sondern bitterer Ernst in hysterischen Zeiten. Bei „mehr Bullerbü“ verniedlichte die Kandidatin die Herkulesaufgabe eines klima- und fahrradgerechten Umbaus der Stadt. Das sollte sich anderthalb Jahre später bitter rächen.

Vor neun Jahren versprachen Politiker, dass Flüchtlinge Gold wert sind – was sagen sie heute?

•vor 3 Std.

Anfang 2023 sollten die Berliner schon wieder wählen. Bettina Jarasch war zwischenzeitlich zur Verkehrssenatorin mutiert – schließlich ist es immer gut, dass sich die Frontfrau für das Schlüsselressort der Partei interessiert und dort keine Konkurrenz wachsen lässt.

Doch was dann kam, war den Grünen in Berlin noch nie passiert. An den Wahlkampfständen wurden sie beschimpft, die Polarisierung war enorm. Dabei hatte sich Jarasch zweier ur-grüner Volksentscheide entledigt. „Berlin autofrei“ wollte die Fahrten von Privatautos in und durch die Innenstadt massiv begrenzen. Und „Berlin 2030 klimaneutral“ war voller hehrer Ziele, aber komplett unrealistisch.

Das Verkehrsexperiment in der Friedrichstraße kostete fast drei Millionen Euro

28.06.2023

Wer sollte eine Politikerin wählen, die so etwas ernsthaft plant? Also stellte sich Jarasch gegen beide Initiativen. „Wir brauchen keine autofreie Innenstadt“, stellte sie fest. Bei der Ablehnung beider Volksbegehren wisse sie sich „getragen von der Fraktion und der Partei“. Peng!

Den dicksten grünen Zopf aber ließ sie dran: Die Schließung der Friedrichstraße für den Autoverkehr hatte die fachfremde Politikerin von ihrer Vorgängerin geerbt und hielt daran fest. So wurde „Bullerbü“ zum Schimpfwort und sie selbst zur Verliererin einer Wahl, die sie nie hätte verlieren sollen.

Es gibt Sozialdemokraten, die sagen, dass Jarasch gewonnen hätte, wenn sie im Wahlkampf still zu Hause gesessen hätte. Dann hätte sich der gesamte Frust daran, dass überhaupt noch einmal zur Wahl gerufen wurde, an der SPD entladen: Diese stellte bei der 2021er-Chaoswahl den Regierenden Bürgermeister und den Innensenator, mehr Verantwortung geht nicht!

Aber Jarasch und die Grünen verteidigten die autofreie Friedrichstraße. Gegen jede Vernunft.

Was folgte, gehört ins Geschichtsbuch: Der notorisch unterschätzte Kai Wegner holte mit seiner CDU einen Erdrutschsieg. Die SPD fuhr ihr nächstes historisch schlechtestes Ergebnis ein. Die Grünen verloren nur leicht, ließen aber Potenzial liegen. Am Ende landeten sie gleichauf mit den Sozialdemokraten, aber mit ein paar Dutzend Stimmen weniger. Was für ein Drama.

Einige Wochen lang schien Schwarz-Grün als natürliche Gewinnerkoalition. Doch dazu kam es nicht. Weder die CDU noch die Grünen – in Berlin seit Generationen quasi natürliche Feinde – trauten sich. Also einigte sich die SPD mit der CDU. Und die Grünen waren raus.

Als der Gang in die Opposition anstand, rollte doch noch ein Kopf. Es war aber nicht der der Frau, die zweimal Regierungschefin werden wollte und zweimal scheiterte. Statt eines Rückzugs „muss ich wohl“ Fraktionsvorsitzende werden, sagte Jarasch – auch um von dieser Position aus womöglich ein drittes Mal antreten zu können. 2026 wäre das.

Dafür musste die Gesundheitspolitikerin Silke Gebel weg, eine gestandene Co-Fraktionschefin auf dem Ticket der Realos. Jarasch setzte sich durch, Silke Gebel trat „einen Schritt beiseite“, wie es hieß. Ein bitterer Abgang.

Kaum ins Fraktions-Spitzenamt gehievt, kündigte Bettina Jarasch an, ihre gescheiterte Wahlkampagne „persönlich und auch selbstkritisch“ aufarbeiten zu wollen. Darauf warten viele bis heute. Ihre einfache Formel, sie habe ja nicht verloren, schuld sei die hassgeliebte SPD, ist allenfalls ein Teil der Wahrheit.

Mehr als ein Jahr ist das jetzt her, der Ärger bleibt. Vor dem Parteitag vorigen Herbst kam es zum Eklat. Die Realos hatten wenig zu sagen, die Fundis dominierten. Die Realo-Parteichefin Susanne Mertens blieb still bis zur Unkenntlichkeit.

Doch nun gab es eine Gegenkandidatin. Tanja Prinz trat an, eine außerhalb der Partei kaum bekannte Referentin der Bremer Landesvertretung im Bund. Sie propagierte eine stärkere Eigenständigkeit gegenüber Linken und SPD und insgesamt einen Schwenk ins Bürgerliche. Künftig solle man auch Gemeinsamkeiten mit der CDU ehrlich ausloten. Bei einer Probeabstimmung siegte Prinz gegen Mertens, die daraufhin zurückzog.

Tanja Prinz ist aus Tempelhof-Schöneberg, gepusht wurde sie jedoch aus Mitte. Dort werkelt seit einiger Zeit die Realo-Gruppierung „GR@M“. Diese Gräm, wie man sie wohl aussprechen muss, sind den Fundis ein Dorn im Auge. Entsprechend schwierig war Prinz’ Kampagne, sie endete in einer Schlammschlacht. Neun von zwölf Kreisvorständen prangerten an, Prinz und Co. hätten Mitglieder „psychisch unter Druck“ gesetzt, es sei eine „Kultur des Misstrauens“ entstanden. Ob das je gestimmt hat, ist offen.

Es kam, wie es kommen musste: Beim Parteitag wenige Tage nach dem Rufmord fiel Tanja Prinz durch. Nach dem dritten Wahlgang verließ sie unter Tränen den Saal. Verstörende Bilder für eine Partei, die so viel darauf hält, lieber miteinander zu kuscheln als sich zu kloppen.

Am Ende wurde Nina Stahr reaktiviert. Die zwischenzeitlich in den Bundestag gewählte Ex-Parteivorsitzende (2016 bis 2021) übernahm den Realo-Part an der Parteispitze interimistisch. Seit sie bei der Teilwiederholung der Bundestagswahl vor drei Monaten ihr Mandat verlor, ist der Weg frei. Stahrs Wahl zur Co-Parteichefin neben dem Fundi Philmon Ghirmai am 3. Mai gilt als sicher.

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Dann ist nämlich schon wieder Parteitag. Und im Hotel Estrel in Neukölln wird sich erneut zeigen, dass das grüne Aufarbeiten der vergeigten 23er-Wahl, das Abarbeiten aneinander nicht zu Ende ist.

Es gibt dazu einen Antrag zum Thema Deutsche Wohnen Enteignen. Er verdammt die Idee einer Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen. Die Abrechnung mit den sozialistischen Fantasien des Ex-Partners tragen vor allem die Bürgerlichen bei den Grünen: Viele ehemals große Namen stehen unter dem Antrag, Marianne Birthler, Sybille Volkholz, Stephan von Dassel, Volker Ratzmann, Franziska Eichstädt-Bohlig. Natürlich auch Tanja Prinz.

Der Name Bettina Jarasch fehlt. Das erinnerte ein wenig an eine Episode kurz vor der Wahl 2021. Damals wurde die Kandidatin zum Volksbegehren befragt. Wie würde sie abstimmen? Sie persönlich halte nichts von Enteignung, werde aber dafür stimmen, sagte sie. Druck sei wichtig.

Dieser Wunsch, Regierung und Opposition in einem zu sein, kennzeichnet die Berliner Grünen, seit sie 1989 erstmals mitregierten. Jetzt trieb es den einstigen Wunschpartner SPD in die Flucht – und in die offenen Arme von Kai Wegner.

QOSHE - Berliner Grüne: Von der Lust am Regieren und am Dagegensein - Elmar Schütze
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Berliner Grüne: Von der Lust am Regieren und am Dagegensein

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21.04.2024

Der Donnerstag war mal wieder einer dieser Tage, die zweifelhafte Fragen an eine Partnerschaft aufwarfen: Die Grünen und Linken im Abgeordnetenhaus stellten sich vor Beginn der Plenarsitzung vor die Presse und sagten quasi gemeinsam: „Wir sind schlicht sauer.“

In Person sagte es die Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch und meinte damit, die schwarz-rote Regierungskoalition in Berlin drücke sich vor einer Debatte über Haushaltsthemen. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hätte zumindest eine Regierungserklärung abgeben sollen. Hat er aber nicht. „So regiert man keine Stadt“, sagte Jarasch noch.

Raed Saleh als SPD-Landesvorsitzender abgewählt

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Es vergehen keine zwei Tage, an denen nicht irgendwo Grüne und Linke gemeinsam den Senat kritisieren: zu wenige Radwege, (noch) keine Hauptstadtzulage für Personal der freien Träger, neue Flüchtlingseinrichtungen auf dem Tempelhofer Feld, das 29-Euro-Ticket, der Haushalt oder ganz aktuell die Wiedereinführung der Exmatrikulation an den Unis als Reaktion auf die antisemitischen Vorfälle der vergangenen Monate.

gestern

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So viel Gleichschritt, so viel Gemeinsamkeit, mag nach sechseinhalb gemeinsamen Jahren im Senat naheliegen, doch am Ende irritiert sie vor allem. Zumal beide, Linke wie Grüne, Anlass hätten, ihr Profil zu schärfen. Die Linke muss sich mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht auseinandersetzen, auch wenn die Sektierer in Berlin thematisch und personell noch keine große Rolle spielen. Doch schon am 9. Juni ist Europawahl, danach werden wir mehr wissen.

Und die Grünen müssen sich endlich ehrlich machen, was rund um die Wiederholungswahl Anfang vorigen Jahres geschehen ist. Wie es passieren konnte, dass sie nicht etwa im Roten Rathaus landeten, sondern in der Opposition. Sie müssen herausfinden, wie der Spagat zwischen Bürgertum auf der einen und großstädtischem Sympathisantentum mit ollen linken Dogmen, neuem woken Geschwurbel und identitätspolitischen Haarspaltereien auf der anderen Seite gelingen soll. Und sie müssen mit einer gewendeten Stimmung in Stadt und Land umgehen: Der Traum der Volkspartei ist fürs Erste ausgeträumt, der einstigen Öko-Partei weht der Wind scharf ins Gesicht.

Damit ist man auch wieder bei Bettina Jarasch. Als sie im Oktober 2020........

© Berliner Zeitung


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