Der Parteivorsitzende Friedrich Merz will die AfD politisch stellen. Sein Engagement kommt ernsthaft und glaubhaft rüber. Aber womöglich hapert es am Ende an den eigenen Leuten.

Die Kühnen in der CDU geraten angesichts der neusten Meinungsumfragen ins Träumen. Der Grund: Das aktuelle ZDF-Politbarometer stellt parlamentarische Mehrheiten bereits ab 41 Prozent in Aussicht. Solch ein Ergebnis hatte die Union bei der Bundestagswahl 2013 erzielt, da ist der Gedanke an eine Alleinregierung zumindest in der Theorie nicht völlig abwegig. In der Praxis müssten CDU und CSU allerdings noch mindestens zehn Punkte drauflegen, derzeit stehen sie bei 31 Prozent.

Vor allem müssten sich die anderen Zahlen des Politbarometers bewahrheiten. Weder FDP noch Linkspartei würden mit jeweils vier Prozent den Einzug in den nächsten Bundestag schaffen. Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) käme demnach ebenfalls auf vier Prozent – ein realistischer Wert, nachdem der Medienhype der letzten Wochen etwas anderes suggerierte. In dieser Konstellation wären 41 oder 42 Prozent bei der Bundestagswahl tatsächlich die Mehrheit, realistischer sind jedoch Zweier-Koalitionen. Die AfD steht bei 22 Prozent, sie würde ihr Ergebnis der Bundestagswahl 2021 damit mehr als verdoppeln und vorerst ist keine Trendwende in Sicht.

Die CDU hat deshalb ein starkes Interesse daran, den rechtspopulistischen Scheinriesen auf Normalmaß zu schrumpfen. AfD und die ihr gedanklich nahestehende Werteunion ziehen den Christdemokraten überproportional Stimmen ab, das muss sich ändern. Das Treffen rechtsradikaler Menschen in Potsdam war ein letzter Warnschuss, der die Volkspartei in ihrer Komfortzone endgültig aufgeschreckt hat.

Markige Sätze wie die von einer Halbierung der AfD gehören nun der Vergangenheit an. Das Konrad-Adenauer-Haus ändert die Taktik, nimmt die Alternative endlich ernst und stellt sie politisch. Der Wille zur Auseinandersetzung zeigt sich daran, dass Merz und viele andere an der CDU-Spitze gegen ein Verbot der Partei sind. Sie überhöhen die AfD auch nicht dadurch, dass sie ihr zubilligen, sie könne die Demokratie ins Wanken bringen, wie es Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) getan hat.

Gleichzeitig kommt voraussichtlich im Mai das neue Grundsatzprogramm der Partei. Es ist vor allem nach innen gerichtet und muss diejenigen von der CDU überzeugen, die Abwanderungsgedanken hegen. In der Konsequenz wird der AfD ein heftiger Wind entgegenwehen. Er wird sie nicht hinwegfegen, die Rechtspopulisten aber zum Wegducken zwingen.

Die Theorie passt so weit, in der Praxis hat Merz allerdings ein Problem im politischen Kampf gegen die AfD, und das ist die Bequemlichkeit vieler Abgeordneter. In Ländern wie Sachsen, Thüringen oder Brandenburg kennen die Wählerinnen und Wähler ihre christdemokratischen Volksvertreter gar nicht, weil die – im Gegensatz zum AfD-Vertreter vor Ort – den Weg zum Feuerwehr- oder Schützenfest zu oft scheuen und lieber im sicheren Wohnzimmer verharren.

Der CDU-Vorsitzende hingegen setzt auf den Kretschmer'schen Weg: Der sächsische Ministerpräsident bricht nach einem zwölfstündigen Arbeitstag noch auf, um mit den Menschen zu reden. Merz hat deshalb Order gegeben, dass gefälligst „die gesamte Bundespartei“ in die Wahlauseinandersetzung zu gehen habe. Er wolle sich nicht den Vorwurf machen müssen „dass wir möglicherweise vor diesen Wahlen zu wenig getan haben“, warnte er. Es wird sich schon bald zeigen, ob die CDU ihrem Chef folgt. Im Juni sind Europawahlen, und auch die will die CDU nicht der AfD überlassen. Stellt sich die Partei der Fleißaufgabe nicht, hat sie am Ende selbst schuld.

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QOSHE - Nach dem Warnschuss von Potsdam ändert die CDU ihre Taktik  - Stefan Lange
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Nach dem Warnschuss von Potsdam ändert die CDU ihre Taktik 

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15.01.2024

Der Parteivorsitzende Friedrich Merz will die AfD politisch stellen. Sein Engagement kommt ernsthaft und glaubhaft rüber. Aber womöglich hapert es am Ende an den eigenen Leuten.

Die Kühnen in der CDU geraten angesichts der neusten Meinungsumfragen ins Träumen. Der Grund: Das aktuelle ZDF-Politbarometer stellt parlamentarische Mehrheiten bereits ab 41 Prozent in Aussicht. Solch ein Ergebnis hatte die Union bei der Bundestagswahl 2013 erzielt, da ist der Gedanke an eine Alleinregierung zumindest in der Theorie nicht völlig abwegig. In der Praxis müssten CDU und CSU allerdings noch mindestens zehn Punkte drauflegen, derzeit stehen sie bei 31 Prozent.

Vor allem müssten sich die anderen Zahlen des Politbarometers bewahrheiten. Weder FDP noch Linkspartei würden mit jeweils vier Prozent den Einzug in den nächsten Bundestag schaffen. Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) käme demnach ebenfalls auf vier Prozent – ein realistischer Wert,........

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