Vom Amoklauf zu TikTok-Fanpages: Wie Täter zu Idolen werden

Was mich beim Scrollen zunächst fassungslos macht, entpuppt sich als digitales Muster: Der Täter wird nicht verurteilt, sondern bewundert. Ich schreibe einige User:innen an, die Videos dieser Art posten oder kommentieren. Ihre Antworten geben Einblick in eine Welt, in der Täter zu Projektionsfiguren werden.

Vlada, eine TikTok-Nutzerin, die sich selbst als Teil der True-Crime-Community bezeichnet, erzählt im Chat von ihrer ersten Begegnung mit der Szene. „Am Anfang fand ich das bloß unterhaltsam. Ich dachte, die anderen würden das nicht ernst meinen. Aber mit der Zeit fühlte ich mich immer stärker hingezogen. Irgendwann wurde es ein romantisches Gefühl“, schreibt sie über den Täter von Graz.

Sie erklärt, dass es bei vielen in der Community um eine romantisierte Vorstellung gehe. „Meistens ist es etwas Romantisches. Viele verlieben sich in das idealisierte Bild des Täters. Ich würde es in meinem Fall nicht als Leidenschaft bezeichnen, sondern eher als morbide Obsession.“ Vlada beschreibt die Szene als Nischen-Community, in der sich vor allem junge Mädchen mit psychischen Problemen aufhalten, die sich mit den Tätern und deren Weltsicht identifizieren, aber niemandem etwas antun würden, außer vielleicht sich selbst. Auf die Frage, ob sie je an die Familien der Opfer gedacht habe, sagt sie: „Ja, aber ehrlich gesagt nicht oft. Man vergisst leicht, dass das echte Menschen und Geschichten sind.“

Auch Richie, ein anderer User, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Zuerst hat mich das alles abgestoßen und ich wollte damit nichts zu tun haben. Aber irgendwann bin ich wieder darauf gestoßen. Ich war damals ausgebrannt, hatte Probleme mit der Uni-Bewerbung, vielleicht war ich auch depressiv. Wenn man sich so lange mit einem Fall beschäftigt, entsteht automatisch eine Art Bindung.“ Viele in der Community seien sehr jung, behauptet er. Manche........

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