Gewalt gegen Frauen – Überlebende erzählen

Triggerwarnung: Dieser Artikel behandelt sexualisierte Gewalt, einschließlich Vergewaltigung. Der Inhalt kann belastend oder retraumatisierend wirken. Bitte lies nur weiter, wenn du dich emotional sicher fühlst. Eine Liste mit Unterstützungseinrichtungen findest du am Ende des Textes.

„Ihr Mann wollte Sie umbringen, Frau Hofer.“ Die Worte des Polizisten dringen nur langsam zu Renate durch. Die 28-Jährige liegt im Krankenhausbett. Grelles Licht, Kopfschmerzen, ein Tubus im Hals. Renate weiß: Es gibt kein Zurück in ihr altes Leben. Doch wie es weitergehen soll, weiß sie nicht.

Heute, 23 Jahre später, ist Renate im Kampfmodus. In den braunen Augen der zierlichen 51-Jährigen mit dem Nasenpiercing blitzt es, wenn sie erzählt, was sie noch vorhat. Ihre Geschichte in die Welt hinausschreien, zum Beispiel. Renate will, dass die Gewalt endlich aufhört. Dass keine Frau mehr dasselbe durchmachen muss wie sie.

Renate wächst in der ländlichen Südsteiermark auf. Dort, wo niemand hinsieht, wenn Türen zufallen. Sie lernt früh, zu schweigen und zu funktionieren. Ein Mädchen muss unterwürfig sein, heißt es von ihren Eltern. „Ich war als Frau automatisch eine Marionette von anderen.“ Muckt sie auf, folgen daheim Kritik, Schläge, Psychoterror.

Thomas, der junge Mann aus dem Dorf 100 Kilometer weiter, wirkt auf die 18-Jährige wie der Ritter auf dem weißen Pferd. Er bietet ihr die Flucht von zu Hause – und den obersten Stock in seinem Elternhaus. Doch auch er denkt patriarchal: „Frauen sollten nach außen hin schön zu präsentieren sein und daheim vor dem Mann kuschen.“ Er schreit, droht, sperrt sie ein, kontrolliert sie. Renate heiratet ihn trotzdem, sie hat Hoffnung in die Beziehung, und „es gibt ja auch die schönen Zeiten“.

Mit 26 wird ein Jobwechsel in einen Supermarkt zum Wendepunkt. „Zum ersten Mal habe ich dort so richtig selbstbewusste Kolleginnen kennengelernt. Und einen Chef, der Frauen mit Respekt behandelt.“ Sie entwickelt Gefühle für ihren Vorgesetzten. „Daraus ist natürlich nichts geworden“, erzählt Renate heute. „Und erst viel später ist mir klar geworden, dass ich nur dort andocken wollte, um aus meiner Situation rauszukommen.“ Obwohl ihre Gefühle nicht erwidert werden, beschließt sie, ihrem Mann davon zu erzählen. Ihm zu sagen: „Ich will die Scheidung.“

Ab da zieht sich der Strick noch enger. Thomas lässt sie von seinen Eltern überwachen, zwingt sie zum Sex, nimmt ihr Geld weg, macht sie abhängig. „Die Polizei würde mir eh nicht glauben“, denkt sie verzweifelt. Im Dorf ist Thomas angesehen. Am Valentinstag sammelt sie ein letztes Mal ihren Mut: „Ich bin nicht dein Hund, ich bin nicht dein Besitz, es ist vorbei“, sagt sie. Dann Blackout. Vier Wochen Koma.

Thomas hat versucht, sie zu töten. Zugeben wird er das nie. Er behauptet, dass Renate Suizid begehen wollte und vom Balkon gesprungen ist. Ein Gutachten ergibt: Schweres Schädel-Hirn-Trauma – entweder hat Renate einen schweren Gegenstand auf den Hinterkopf bekommen oder sie wurde gegen eine Wand geschmissen. Thomas wird wegen des Mordversuchs zu 13 Jahren Haft verurteilt.

Renate hat überlebt. Anders als jene drei Frauen, die in Österreich im Schnitt jeden Monat von ihrem (Ex-)Partner getötet werden – das geht aus den Statistiken der letzten Jahre hervor. Femizid Nummer 15 in diesem Jahr: Stefanie P. (31) in........

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