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Politik Backstage: Wendejahr 2026

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20.12.2025

Wann immer im Hohen Haus Sitzungstage anstehen, kommen die Fraktionen am Tag davor zu einer Klubsitzung zusammen. So auch Dienstagnachmittag der zweiten Dezemberwoche, als die letzten drei Plenartage des Jahres anstanden. Die Stimmung war vorweihnachtlich und auch politisch weitgehend friktionsfrei. Leichte Unruhe kam auf, als sich gegen Ende ein Urgestein der Fraktion zu Wort meldete.

Norbert Sieber hat bereits zwanzig Jahre als Abgeordneter im Nationalrat zugebracht. Der Bauernbund-Vizepräsident in Vorarlberg ist aktuell Bautensprecher der ÖVP, davor war er auch einmal schwarzer Familiensprecher. Der 56-Jährige ist ein fleißiger, in vielen Ausschüssen tätiger Mandatar, öffentlich aber vollkommen unauffällig geblieben. Politisch steht der Hinterbänkler für einen konservativen, traditionellen Kurs der ÖVP.

Norbert Sieber hatte bei einer der jüngsten Parlamentssitzungen ein Debattenbeitrag seines Abgeordnetenkollegen Andreas Hanger nachhaltig irritiert. Jetzt, wo der Chef wieder an Bord war, sah er den richtigen Zeitpunkt, das zum Thema zu machen.

Die Freiheitlichen hatten mit einem Antrag, Mann und Frau als einzige Geschlechter im Staatsgrundgesetz festzuschreiben, im November eine hitzige Debatte im Hohen Haus provoziert. Alle übrigen Parteien pochten auf die Rechte von intergeschlechtlichen Personen. Die Gender-Debatte könne man übertreiben, monierte auch Andreas Hanger: „Liebe FPÖ, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, es gibt intersexuelle Menschen.“

Der niederösterreichische Mandatar ist ein strammer Parteisoldat und hat reichlich politische Nahkampferfahrung mit den Blauen in Untersuchungsausschüssen. Auch seine Wortmeldung in Sachen Gender war primär als Abwehrmanöver denn als Offensive für ein drittes Geschlecht gedacht.

Für Sieber war es ein Bruch mit seinem Weltbild, aber auch mit dem bisherigen Kurs der ÖVP. Noch im geplatzten blau-schwarzen Koalitionspakt war festgehalten worden: „Biologisch gesehen gibt es zwei Geschlechter.“ Auf diese Formel zog sich dann auch ÖVP-Chef Stocker zurück, als er Sieber beruhigen wollte, ohne seinen Parteifreund und langjährigen Kollegen im U-Ausschuss Hanger zu korrigieren.

Die Episode stand für Sitzungsteilnehmer symbolisch für den inneren Zustand der Noch-Kanzler-Partei ÖVP: Wer bin ich – und, wenn ja, wie viele?

Hier geht es zur neuen Podcastfolge von Politik Backstage - erzählt von der KI-generierten Stimme von trend-Kolumnist Josef Votzi.

Die Volkspartei, die einst mit dem Anspruch angetreten war, alle gesellschaftlichen Gruppen von den Bauern über die Arbeitnehmer bis zu den Unternehmern in einer Partei zu repräsentieren, tut sich mehr denn je schwer mit den neuen Zeiten. Die traditionellen Werte sind im Umbruch. Die Ära des Laissez-faire mit politischer Moral und juristischen Spielregeln in der Ära Türkis liegt nach wie vor bleischwer über der Partei – wie am Fall Wöginger wieder schlagartig sichtbar wurde.

Zu den komplexen inneren Befindlichkeiten kommt schlicht wachsende Panik vor nachhaltigem Machtverlust. Vor fünfzehn Monaten musste die ÖVP nach beinahe zwei Jahrzehnten nicht nur die Nummer-eins-Position abgeben. Zur stärksten Partei samt Anspruch auf den Regierungschef stieg nun erstmals auch bundesweit die FPÖ auf. Die schwarz-türkise Strategie, sich auf Herbert Kickl einzuschießen und diesen als Zerstörer blauer Koalitionschancen zu framen, war nicht aufgegangen.

Durch den Anfang des Jahres gescheiterten Anlauf, mit ihm doch noch ins politische Geschäft zu kommen, hat die Glaubwürdigkeit der ÖVP zusätzlich gelitten.

In der Dreierkoalition hat die ÖVP neuerlich den Part übernommen, mit allen Mitteln Wähler von der FPÖ zurückzuerobern. Innenminister Gerhard........

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