Vor wenigen Tagen hat die chinesische Regierung eine offizielle „Standard-See-Karte“ veröffentlicht, auf der sie das gesamte südchinesische Meer kurzerhand für sich beansprucht. Eine Welle der Empörung aller Anrainerstaaten war die Folge. Vietnam, Taiwan, Malaysia, Brunei, Indonesien und die Philippinen haben in seltener Einigkeit diplomatische Proteste adressiert. Doch nun folgt den territorialen Ansprüchen Pekings eine direkte Konfrontation. Chinesische Kriegsschiffe haben eine Blockade errichtet, um philippinischen Streitkräften die Zufahrt zu den per Karte annektierten Inseln und Buchten zu verwehren. Manila schickt nun seinerseits Militär, die Feindseligkeiten verschärfen sich. Aus Peking und Manila kommen aggressive Töne wechselseitiger Vorwürfe.

Chinesische Kriegsschiffe haben sogar schwimmende Barrieren ausgelegt, um philippinischen Fischerbooten die Zufahrt zum sogenannte Scarborough-Riff zu verwehren. Die philippinische Küstenwache macht sich nun daran, die Sperren zu entfernen, ein militärischer Poker der Nadelstiche hat begonnen.

Das weitgehend versunkene Atoll ist nur 19 km breit und 13 km lang; es liegt 250 Kilometer westlich vor der philippinischen Küste und 800 Kilometer südöstlich von der chinesischen Insel Hainan. Eine Vielzahl von Schiffen sank hier bereits, darunter 1748 das britische Fracht- und Passagierschiff Scarborough, das dem Riff seinen westlichen Namen gab. Nachdem China das Riff (die Chinesen nennen es Huangyan Dao) im Jahr 2012 besetzte, klagte die philippinische Regierung vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof in Den Haag, der 2016 die chinesischen Ansprüche auf das Atoll für unrechtmäßig erklärte. China akzeptiert das völkerrechtliche Urteil jedoch nicht und beruft sich – wie Russland im Ukraine-Krieg – auf vermeintliche historische Rechte. Zum Wochenauftakt läßt Peking offiziell vermelden, die Inseln gehörten rechtmäßig zum Territorium Chinas.

Schon im August hatten chinesische Kriegsschiffe philippinische Boote mit Wasserwerfern auf einer weiter südlich gelegenen Inselgruppe nahe der Second-Thomas-Untiefe abgedrängt und an der Durchfahrt durch die Meeresregion gehindert. Manila hatte dort vor 24 Jahren das aus dem Weltkrieg stammende Panzerlandungsschiff „BRP Sierra Madre“ absichtlich auf Grund gesetzt und den Vorposten mit Soldaten besetzt, um die eigenen Ansprüche auf die Region zu unterstreichen. Die Soldaten müssen auf dem verrosteten Kriegsschiff versorgt werden, doch die Chinesen wollen das unbedingt verhindern.

Die Philippinen vermuten, dass China nun das Scarborough Riff zu einer Insel aufschütten und zu einer Militärbasis ausbauen will. Peking hat das in den letzten zehn Jahren mit mehreren Atollen in der weiter südlich gelegenen Spratly-Inselgruppe bereits getan. Daneben unterhält die Volksbefreiungsarmee Stützpunkte weiter westlich in der Paracels-Gruppe, die wiederum von Vietnam beansprucht wird. Die Spratlys, die Paracels und Scarborough bilden zusammen ein strategisches Dreieck. Mit Stützpunkten an den drei Eckpunkten könnte China das südchinesische Meer militärisch kontrollieren und eine Invasion Taiwans vorbereiten. China treibt die Militarisierung der Region jedenfalls systematisch voran. Gewaltakte und Schikanen gegen philippinische Fischer und Seeleute gehören dazu. Peking nutzt dabei auch chinesische Fischerboot­besatzungen, die wie Milizen im Verbund mit der Küstenwache in philippinischen Gewässern operieren.

China wagt den Vorstoß auf das Scarborough Riff womöglich auch deshalb jetzt, weil auf den Philippinen ein noch junger, unerfahrener Präsident im Amt ist. Ferdinand (genannt „Bongbong“) Marcos junior gewann vor anderthalb Jahren mit einem Erd­rutschsieg die Präsidentschaftswahlen der Philippinen. Der Sohn des 1986 gestürzten Diktators Ferdinand Marcos müht sich seither um ein freundliches, liberales Profil – vor allem aber um eine Wiederannäherung an die USA. Marcos studierte in Oxford (England) und an der Wharton School (Pennsylvania ,USA) und will sich – anders als sein Vorgänger Duterte – westlich orientieren. So hielten die USA und die Philippinen Anfang 2023 unter dem Namen Balikatan eine demonstrativ großes gemeinsames Militärmanöver ab.

US-Präsident Joe Biden hat bei Marcos‘ Besuch in Washington die Verbindung der USA zu den Philippinen als „eisern“ bezeichnet hat, vor allem wenn es um die Konflikte im südchinesischen Meer geht. Für Washington gelten die philippinischen Inseln als Aufmarschgebiet der Chinesen zur befürchteten Eroberung Taiwans. Biden betonte daher bei dem Treffen mit Marcos, „dass ein bewaffneter Angriff auf die philippinischen Streitkräfte, Schiffe oder Flugzeuge im Pazifik nicht geduldet werden kann“.

Sicherheitsexperten in Washington warnen daher, dass an einem der verkehrsreichsten Seewege der Welt jederzeit ein Krieg ausbrechen kann. In Peking wird bereits offen der geostrategische Konflikt mit den USA beschworen. Chinas Propaganda sieht die Vereinigten Staaten als Hauptverursacher des Philippinenkonflikts. Der staatliche Fernsehsender CCTV bezeichnete die jüngsten Zwischenfälle auf See als „Vorwand zur Normalisierung“ der US-Militärpräsenz in der Region. Die Tageszeitung China Daily veröffentlichte eine Karikatur, in der Washington die Philippinen zu einem „Henkersknecht“ degradiert und das Land dazu benutzt, China aus der Ferne anzugreifen. In einem anderen Kommentar in Sohu wird die Führung in Manila gewarnt, dass Washington, Tokio und Canberra „die Philippinen nicht einfach unterstützen“, sondern sie als „Kanonenfutter“ im Rahmen des größeren Plans zur Eindämmung Chinas benutzen wollten. Peking attackiert auch das Den Haager Schiedsverfahren von 2016, das die chinesischen Hoheitsansprüche im Südchinesischen Meer zurückwies. In einem auf der chinesischen Medienwebsite CRI Online veröffentlichten Kommentar wird das Schiedsverfahren als „Altpapier“ bezeichnet. Chinas Marine agiert genau auf dieser Linie.

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Achtung Kriegsgefahr: China will philippinische Inseln gewaltsam annektieren

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27.09.2023

Vor wenigen Tagen hat die chinesische Regierung eine offizielle „Standard-See-Karte“ veröffentlicht, auf der sie das gesamte südchinesische Meer kurzerhand für sich beansprucht. Eine Welle der Empörung aller Anrainerstaaten war die Folge. Vietnam, Taiwan, Malaysia, Brunei, Indonesien und die Philippinen haben in seltener Einigkeit diplomatische Proteste adressiert. Doch nun folgt den territorialen Ansprüchen Pekings eine direkte Konfrontation. Chinesische Kriegsschiffe haben eine Blockade errichtet, um philippinischen Streitkräften die Zufahrt zu den per Karte annektierten Inseln und Buchten zu verwehren. Manila schickt nun seinerseits Militär, die Feindseligkeiten verschärfen sich. Aus Peking und Manila kommen aggressive Töne wechselseitiger Vorwürfe.

Chinesische Kriegsschiffe haben sogar schwimmende Barrieren ausgelegt, um philippinischen Fischerbooten die Zufahrt zum sogenannte Scarborough-Riff zu verwehren. Die philippinische Küstenwache macht sich nun daran, die Sperren zu entfernen, ein militärischer Poker der Nadelstiche hat begonnen.

Das weitgehend versunkene Atoll ist nur 19 km breit und 13 km lang; es liegt 250 Kilometer westlich vor der philippinischen Küste und 800 Kilometer südöstlich von der chinesischen Insel Hainan. Eine Vielzahl von Schiffen sank hier bereits, darunter 1748 das britische Fracht- und Passagierschiff Scarborough, das dem Riff seinen westlichen Namen gab. Nachdem China das Riff (die Chinesen nennen es Huangyan Dao) im Jahr 2012 besetzte,........

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